Sarah Wiener: "Landwirtschaft zu sehr von Pestiziden und Dünger abhängig"

Sarah Wiener: "Landwirtschaft zu sehr von Pestiziden und Dünger abhängig"
Aus der Schulabbrecherin wurde eine Gastronomin und Politikerin. Seit ihrem Einzug in das EU-Parlament kocht Sarah Wiener seltener: Am 27. August feiert sie ihren 60. Geburtstag.

Viele Restaurants mit hochwertigen und nachhaltigem Angebot sind laut Starköchin und EU-Politikerin Sarah Wiener bedroht. Gäste seien wegen minderwertiger und billiger Angebote großer Gastronomiekonzerne weniger bereit, faire Preise für Qualität zu bezahlen. "Ich sehe die Gefahr, dass die individuelle, engagierte Gastronomie radikal dezimiert wird und nur die gleichgeschalteten leblosen Ketten übrig bleiben werden", sagte die Grünenabgeordnete im Europaparlament der Deutschen Presse-Agentur vor ihrem 60. Geburtstag.

Wiener zufolge steigen Preise von Lebensmitteln auch deshalb, weil die Landwirtschaft zu sehr von Pestiziden und Düngern abhängig sei, die mit hohem Energiebedarf hergestellt würden. Dass die Erzeugnisse lokaler Bauern nun als Luxusgüter zu teuer würden, lässt sie nicht gelten: Trotz bestehender sozialer Probleme könne sich ein großer Teil der Bevölkerung angemessene Preise für solche Produkte durchaus leisten. "Die Frage stellt sich: Sollen ärmere Menschen nicht vielfältig, ökologisch, frisch und gesund essen dürfen?"

Statt Essen, das noch billiger und schlechter sei, brauche es Antworten auf diese Frage.

Mehrmals im Leben neu erfunden

Die Gastronomie-Unternehmerin wurde zu einer berühmten Fernsehköchin, und seit drei Jahren ist sie vor allem als Abgeordnete der Grünen im Europaparlament tätig. "In die Politik zu gehen, ist ein kleiner, einfacher Schritt. Politik zu lernen und zu machen, ist dann noch mal eine ganz andere Dimension", gibt Wiener im Gespräch mit der dpa unumwunden zu.

Am 27. August feiert das in Westfalen geborene und in Wien aufgewachsene Multitalent seinen 60. Geburtstag.

Als "große Kraftanstrengung" bezeichnet Wiener ihren Quereinstieg in die EU-Politik, für die sie aber "Feuer gefangen" habe. Es sei schwierig, die Systeme, die unnötig komplizierte Fachsprache, die Rituale, die Akteure und die Hierarchien zu durchschauen - besonders, wenn man so wie sie nicht auf politische Netzwerke zurückgreifen könne. Während der Corona-Pandemie habe sie jedoch Zeit gefunden, sich viel Wissen anzueignen, erzählt sie.

Die Vielfalt an Interessen wurden Wiener in die Wiege gelegt. Sie wurde 1962 in Halle (Westfalen) als Tochter der Grafikerin und Zeichnerin Lore Heuermann geboren. Ihr Vater Oswald Wiener war ein bekannter Literat, Jazzmusiker, Informatiker und Gastronom.

Als Jugendliche brach sie die Schulausbildung ab, trampte durch Europa und kam schließlich in den 80er Jahren nach West-Berlin, wo sie ihren Sohn zur Welt brachte und ihre gastronomische Laufbahn begann: erst als Küchenhilfe und Konditorin im Exil, dem Szene-Restaurant ihres Vater in Kreuzberg, dann als Catering-Unternehmerin für Filmproduktionen und als eigenständige Restaurant-Betreiberin.

Nach ein paar Talkshow-Auftritten Anfang der 2000er landete Wiener mit ihrer Rolle als Mamsell in der ARD-Zeitreise-Doku "Abenteuer 1900 - Leben im Gutshaus" im Jahr 2004 endgültig in der Welt des Fernsehens. Es folgten viele Kochsendungen, darunter "Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener", bei der sie verschiedene Länder bereiste und regionale Speisen nachkochte - sozusagen als Wegbereiterin für Tim Mälzer, der später mit "Kitchen Impossible" eine testosterongeladene Version des Formats präsentierte.

"Das Fernsehen geht mir auch ab und zu ab", sagt die Politikerin Wiener heute. "Ich tröste mich damit, dass ich ja noch jung bin. Das kann ja wiederkommen."

Tour durch Österreich

In der Doku-Serie "Sarah und die Küchenkinder" widmete sich Wiener dem gesunden und lustvollen Kochen mit Kindern - ein Anliegen, das auch die von ihr ins Leben gerufene Stiftung mit verschiedenen Projekten verfolgt. "Kochen ist politisch", sagte die Star-Köchin und Mutter eines Sohnes schon einige Jahre, bevor sie 2019 für Österreichs Grüne zur Wahl antrat. Der Kampf gegen industrielle Lebensmittelproduktion und für lokale, nachhaltige Landwirtschaft gehören zu ihren Kernthemen.

Doch Wieners Leben besteht nicht nur aus TV- und Wahlerfolgen. Im Jahr 2014 trennten sich Schauspieler Peter Lohmeyer und sie im siebten Jahr ihrer Beziehung. 2020 meldete sie während der Corona-Pandemie Insolvenz für ihre Berliner Restaurants und ihren Catering-Service an.

"Die Gastronomie selber vermisse ich nicht so sehr wie den Akt des Kochens", sagt Wiener, die viel Zeit in Straßburg und Brüssel verbringt. Ihre anderen Unternehmen laufen weiter, darunter eine Bäckerei und ein Bio-Bauernhof in ihrer Wahlheimat in der Uckermark.

An ihrem runden Geburtstag lässt sich Sarah Wiener bekochen und feiert mit Familie und engen Freunden. Danach folgt eine Tour durch Österreich, um mit Wählerinnen und Wählern zu diskutieren und zu essen. "Es kann sein, dass ich bei diesen Veranstaltungen auch das eine oder andere Mal den Kochlöffel in die Hand nehme", erzählt sie.

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