Käse machen wie früher: Wie eine junge Städterin zur Sennerin wurde
Über Heidelbeerfelder kullern, mit Kälbern und Lämmern kuscheln, Kakao mit Rum trinken und Sternschnuppen beobachten – Wochentage, Ampeln oder der Blick in die Speisekarte spielen auf der Schweizer Ziegenalp Malschüel keine Rolle. Beim Gespräch mit dem KURIER lässt die junge Sennerin mit den dunklen Haaren den Blick über den schneebedeckten Alvier schweifen – das Rheintal und die Grenze Österreichs liegen ihr zu Füßen.
Neben ihr genießt der Sennenhund die Sonnenstrahlen auf 1.500 Höhenmetern, die 344 Appenzeller- und Toppenburgerziegen am Hang gegenüber lässt er nicht aus den Augen. Vor drei Jahren packte Marlene Kelnreiter erstmals ihre Sachen und zog auf die Alm – und das tut sie seitdem jeden Sommer. Die Wienerin ist jetzt Sennerin.
Um selbst Käse herzustellen, brauchen Sie weder dicke Anleitungen noch spezielle Werkzeuge mit komplexen Namen.
- Topf: Edelstahl, doppelwandig, alles erlaubt
- Küchenthermometer
- Herd: Elektroherde sind wegen der Restwärme etwas besser geeignet
- Bruchmesser: Jedes Messer mit glatter Klinge
- Schneebesen
- Kochlöffel
- Schopflöffel
- Käseform: Für Weichkäse eignen sich weiche Joghurtbecher
- Käsepresse: Tassen, Töpfe, Einmachgläser oder Blumentöpfe passen schnell mal in die Käseform hinein und auf den Käse hinauf. Für das passende Gewicht lassen sich diese mit mit Büchern, Steinen oder gar Sporthanteln beschweren
- Käsetuch: Baumwolltuch, das kochfest ist
- Sieb: Durchmesser von mindestens 15 cm
- Küchenwaage
- Abtropfgitter: Es reicht der Küchenrost
- Plastikbox, Einmachgläser, Kühlbox, Weinschrank oder Kühlschrank (dann dauert es etwas länger) zum Reifen
Anfangs sei sie wie ein "Träumelinchen" an den Quereinstieg – von Ausstieg spricht sie nicht – herangegangen. Was sollte denn schon schiefgehen, wenn man Käse nach uralten Rezepten herstellt, dachte sich die PR-Expertin. Heute sagt sie, sie habe einfach das Leben angepackt – und die Käselaibe.
Warum sie diesen neuen Lebensabschnitt gewagt hat: "Das Wandern und das Arbeiten mit Tieren in der Natur sowie die Faszination des Käsens waren sicher Gründe, aber ich hatte auch das intensive Bedürfnis, in der Welt und für die Welt etwas Sinnvolles zu machen. Etwas Existenzielles."
Der Alltag auf der Alm
Jeden Tag steht Kelnreiter um 5 Uhr morgens auf, heizt den Kessel für das Käsen ein und mischt die frisch gemolkene Morgenmilch mit der Abendmilch. Was die Städterin macht, machen Bauern und Bäuerinnen mit ihrem Vieh schon seit Jahrhunderten: Sie ziehen über den Sommer in die Berge.
Dann können die Flächen im Tal zwischenzeitlich anders genutzt werden – die Tiere wiederum bekommen das saftige Grün auf den Almen und kommen im Herbst fitter ins Tal zurück. Durch das Abgrasen pflegen sie ganz nebenbei die Landschaft und tragen zur alpinen Biodiversität bei.
Zutaten für 250 g Frischkäse
1 l pasteurisierte Milch
Saft von 1 Zitrone
Zubereitung
- Milch in einem Topf langsam auf 80–90 °C erwärmen
- Zitrone auspressen und den Saft bereitstellen
- Kurz bevor die Milch überschäumt, den Topf vom Herd nehmen und den Zitronensaft unterrühren. Den Topf zehn Minuten lang ruhig stehen lassen
- Sieb mit einem Geschirrtuch auslegen, den Käse vorsichtig hineinschöpfen und abtropfen lassen. Nachdem er abgekühlt ist, kann er gegessen werden
Noch sind die Temperaturen frisch, doch Frauenmantel, Trollblume oder Gelber Enzian blühen bereits und geben ihre ätherischen Öle in Form von chemischen Verbindungen namens Terpene an die Milch weiter. Wird diese hochwertige Milch direkt auf der Alm verarbeitet, spricht man von Almkäse. Bergkäse bezeichnet hingegen jenen Käse, der ganzjährig von in Bergregionen beheimateten Käsereien hergestellt wird.
Der Charakter des Almkäses kommt nicht nur durch die regional unterschiedlichen Kräuter und Blumen zustande – auch die regional unterschiedlichen Bakterienkulturen und die verschiedenen Verarbeitungsmethoden spielen eine Rolle.
Käsen ist meditativ
Die 39-jährige Sennerin macht dieser Tage den traditionsreichen Schweizer Käse namens Mutschli – den ersten frischen Käse nach den kalten Monaten. Die vielen Schritte der Käse-Herstellung wie Rühren, Säuern, Ausruhen oder Abfüllen sind für Kelnreiter keinesfalls eintönig: "Die Arbeiten empfinde ich als meditativ. In diesem Flow-Moment vergesse ich alles, was mich gerade beschäftigt."
Ihre Erfahrungen als Sennerin veröffentlicht Kelnreiter diesen Herbst als Buch ("Käseglück", Löwenzahn Verlag) – zudem startet sie nach dem Sommer mit Kursen, damit das alte Wissen nicht verloren geht.
- Wärmen: Die Zieltemperatur der Milch liegt zwischen 29 und 34 °C
- Säuern: Ist die Milch auf 29–34 °C erwärmt, mischen Sie den Säurewecker unter. Einmal mit dem Säurewecker und etwaigen Schimmelsporen versetzt, lassen Sie die Milch 30–60 Minuten lang abgedeckt "bebrüten" oder auch "vorreifen", damit sich die erwünschte Milch gut ausbilden kann
- Einlaben: Milch sollte eine Temperatur von 30–35 °C haben. Bei 5 Litern Milch im Topf brauchst du also 1 Milliliter Lab – das sind rund 20 Tropfen. Egal ob Tablette oder Pulver: Zuerst wird das Lab in 5–10-facher Menge kaltem Wasser verdünnt, damit es sich gleichmäßig in der Milch verteilt
- Festigkeitsprobe: Nach 30–60 Minuten sollte die Milch dickgelegt sein. Man spricht jetzt auch von "Gallerte" oder "Dickete". Setze mit einem Messer einen Schnitt in die Mitte des Topfes. Bleibt die Schnittstelle bestehen und verläuft nicht gleich wieder, ist die Dickete fest genug für den nächsten Schritt
- Schneiden: Jetzt wird die Dickete in drei Durchgängen zum sogenannten "Käsebruch" geschnitten. Je kleiner die Bruchkorngröße, desto fester wird der Käse – genauere Angaben dazu findest du beim jeweiligen Rezept
- Ausruhen: Je nach Rezept dauert dieser Vorgang bis zu einer Stunde. Dabei wird der Käsebruch in der Molke über längere Zeit und bei gewissen Temperaturen mit einem Kochlöffel umgerührt. Dadurch zieht sich das Korn zusammen, verfestigt sich und gibt mehr und mehr Molke ab. Das Bruchkorn ist in der Regel dann lange genug ausgerührt und für den nächsten Schritt "trocken" genug, wenn es die Konsistenz von gekochten Eiern hat
- Abfüllen: Ist der Bruch entsprechend der jeweiligen Zeit- und Temperaturangaben lange genug ausgerührt, können Sie die Bruchmasse abfüllen: entweder in eine Käseform oder in ein mit einem Käse- oder Geschirrtuch ausgelegtes Sieb. Während des Abfüllens können Sie immer wieder eine Prise getrockneter Kräuter, Gewürze oder Salz einstreuen und durch Schütteln oder leichtes Verrühren mit einem Löffel etwas vermengen
- Pressen und Abtropfen: Bei Frisch- und Weichkäse genügt das Eigengewicht, aber Schnitt- oder Hartkäse muss gepresst werden. Dadurch wächst die Käsemasse gut zusammen und die weitere Entmolkung wird unterstützt. Wichtig ist, dass der Käse in den Formen jetzt nur langsam abkühlt und warmgehalten wird. Damit der Käse keine nassen Füße bekommt und in der eigenen Molke sitzt, stelle ihn auf ein Abtropfgestell
- Wenden: Dadurch kann die Molke gleichmäßig aus der Käsemasse abfließen und sich die Rinde auf der Ober- und Unterseite gut schließen. Nach 15–30 Minuten ist die Käsemasse so weit zusammengewachsen, dass Sie sie zum ersten Mal wenden können. Diesen Wendevorgang wiederholen Sie in den folgenden Stunden mit immer länger werdenden Abständen gelegentlich und insgesamt 3–5-mal
- Salzen: Durch die Behandlung mit Salz wird dem Käse Feuchtigkeit entzogen, die Rinde verfestigt sich und im Käseinneren werden Geschmack, Säuerung und Keimentwicklung reguliert. Dafür setzen Sie ein Salzbad an, in das Sie den Käse einlegen: Es kommen also 150–200 Gramm Salz in 1 Liter Leitungswasser. Die Idealtemperatur der Salzlake liegt bei 9–15 °C
- Trocknen: Den gesalzenen Käse lassen Sie nun zur Lufttrocknung bis zu 24 Stunden bei Raumtemperatur auf dem Abtropfgitter liegen. Zur Halbzeit drehen Sie den Käse nochmal um, damit alle Seiten gleichmäßig trocknen können
- Reifen: Um sich ideal entwickeln zu können, muss er auf trockenem Untergrund liegen (z. B. aus Holz), bei Temperaturen um die 9–13 °C und einer hohen Luftfeuchtigkeit von circa 90 Prozent . Von Tag 1–10 wird der Käse täglich gewendet und an der Oberseite und an den Rändern mit der sogenannten "Schmiere" eingerieben. Um diese anzusetzen, versetzen Sie Wasser mit 10–15 Prozent Salz. Ab diesem Zeitpunkt genügt es, den Käse nur noch alle 2–3 Tage umzudrehen und zu schmieren. Die generell empfohlenen Reifezeiten liegen bei 2–6 Wochen für Weichkäse, 1–3 Monaten für Schnittkäse und bis zu 3 Jahre für Hartkäse
Buch-Tipp: Marlene Kelnreiter, Käseglück, Löwenzahn Verlag, erscheint Herbst 2023
Für das Käsen braucht es keine speziellen Werkzeuge. Wer zu Hause starten will, sollte sich zuerst an einem "einfachen Rezept für einen schnellen Frischkäse oder einem indischen Paneer erproben", empfiehlt die Sennerin. "So lässt sich der Prozess bewusst erleben: Am wichtigsten sind Genauigkeit und Achtsamkeit."
So wie die Käse schmecken, sei der Charakter des Herstellers, glaubt die junge Frau. Ihr sanftes Wesen spiegle sich in den milden, leichten Nuancen ihrer Käselaibe wider.
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