Er fährt den DDR-"Porsche"

Er fährt den DDR-"Porsche"
Zeitgeschichte. Ein Wiener rettet ein einzigartiges Auto vor dem Verrosten und Vergessen.
Von Uwe Mauch

Es ertönt ein brachiales Donnern, ein sattes Röhren, wenn Alexander Diego Fritz seinen Boliden in der Garage startet. Solche Motorengeräusche hat man hier in Hietzing lange nicht gehört. Der Jurist und Autoliebhaber strahlt. Sein blitzblanker Oldtimer erregt im Wiener Nobelbezirk mehr Aufmerksamkeit als jeder Porsche Cayenne. "Hat sich damit nicht der James Dean der’stessn?" Fragt ein älterer Connaisseur an der Jet-Tankstelle am Hietzinger Kai. Der Fahrer schüttelt freundlich den Kopf. Seine Story hat noch viel mehr Zündstoff.

Es ist die unglaubliche Geschichte von Falk und Knut Reimann. Die beiden Zwillingsbrüder aus Dresden waren noch mehr Draufgänger als der früh verstorbene Hollywood-Gigant James Dean. Denn sie hatten damals, in den 1950er-Jahren, ein reales, ein wenig realsozialistisches Ziel vor Augen. "Sie wollten unbedingt Porsche fahren", erzählt der Wiener Oldtimer-Fan an der Tankstelle. Weil sie aber im Arbeiter- und Bauernstaat keinen Sportwagen vom Klassenfeind kaufen konnten, bauten sich die Fahrzeugbau-Studenten ihren eigenen, eine Art DDR-Porsche.

Vom Morsche zum Porsche

Er fährt den DDR-"Porsche"
Bilder aus dem Buch über den DDR-Porsche von Alexander Fritz zur einmaligen Verwendung
Denn sie wussten, was sie taten: Die Karosserie, die ein wenig an den Käfer erinnert, und den Unterbau schweißten die Brüder gemeinsam mit dem Fahrzeugbauer Lindner aus Überresten alter Kübelwagen zusammen. Die Einzelteile dieser Wehrmacht-Fahrzeuge kauften sie nach dem Weltkrieg ostdeutschen Bauern ab (Blech war im Osten Mangelware). Den VW-Motor tunten die findigen Brüder dank illegaler Hilfe aus dem Westen.

"Von Ferry Porsche persönlich", weiß Alexander Diego Fritz, während er mit 30 Sachen durch die Hietzinger Hauptstraße tuckert. 120 km/h sind laut Tacho möglich. Damit waren die Reimanns die Landstraßen-Prinzen von Sachsen. Schwarz-weiß-Fotos zeigen die beiden Lauser, die gemeinsam nur einen Führerschein besaßen und mit falschem Zollkennzeichen ihren "Porscheli" durch halb Europa bewegten, immer begleitet von bildhübschen jungen Frauen.

Schon in seiner Studentenzeit brachte Alexander Diego Fritz kaputte Autos wieder in die Gänge. Doch zuletzt raubten ihm die Fantasiepreise für durchgerostete Käfer und halbtote VW-Busse die Lust am Renovieren. Bis der heute 41-jährige Wiener jenes verzogene, rostige, modernde, morsche, stinkende Wrack bei einem befreundeten Autohändler sah. "Niemand wollte das hässliche Entlein haben, von dem auch niemand wusste, wer es gebaut hat." Also begann der findige Akademiker mit dem Faible fürs Schrauben und Sammeln auf zwei Ebenen zu rekonstruieren. Über Umwege machte er dabei auch die beiden geistigen Väter des scherzhaft "Morsche" genannten Wagens ausfindig.

Jenseits von Dresden

Im letzten Moment, denn Falk und Knut Reimann verstarben während der technischen Wiedervereinigung ihres Jugendtraums. Neben dem Tacho ist eine versilberte Rose angesteckt. Den Fahrer drückt es merklich bei seiner Erläuterung: "Die Rose habe ich von Falks Begräbnis in Budapest mitgenommen, als ein Andenken an ihn." 7000 Arbeitsstunden hat er in das DDR-Original investiert, selbst die Sitzbänke und Scheibenheber wurden detailgetreu nachgebaut. Viel Zeit hat Fritz mit dem alten Falk diskutiert und renoviert. "Dabei hat sich zwischen uns eine echte Vater-Sohn-Beziehung entwickelt. Er war ein Sachse, stur, streng, knorrig, aber er hat sich bis zuletzt seine Spitzbübigkeit bewahrt."

Noch heute hörte er ihn knurren: "Wenn du es wagst, diese hässliche Windschutzscheibe einzubauen, so kündige ich dir die Freundschaft." Und schon im nächsten Moment lachte er. In der Werkstatt vertraute ihm der väterliche Freund auch an, wie sein Bruder und er nach der misslungenen Republikflucht zwei Jahre lang im Gefängnis Hohenschönhausen malträtiert wurden.

Er fährt den DDR-"Porsche"
Beim Heimrollen durch die Auhofstraße erklärt der "Nachfahre" bewundernd: "Mich hat beeindruckt, wie sich die beiden Brüder über alle politischen Konventionen hinweg gesetzt haben, wie sie sich – dem Regime zum Trotz – ihren eigenen Traum gebaut haben.“ Nachsatz: „So viel Liebe, so viel Leidenschaft würde uns heute gut tun."

Sein "Porscheli", einer von nur 13 Exemplaren, die gebaut wurden, und sein jüngst in Berlin präsentiertes Buch (siehe oben) sind somit eine späte Rehabilitierung der beiden Pioniere der deutsch-deutschen Automobilgeschichte. Schon öfters hat man Alexander Diego Fritz in Hietzing und anderswo gefragt, wie viel sein schmuckes Automobil wert sei. Doch da winkt er ab. Wahre Freundschaft und echte Leidenschaft, sagt er, lassen sich nicht mit Geld aufwiegen.

Buchtitel: Lindner Coupé. DDR Porsche aus Dresden.“ 159 Seiten mit vielen Fotos, 49 Euro. Verlag Hollinek.

Er fährt den DDR-"Porsche"
Buch über den DDR-Porsche
Der Autor: Alexander Diego Fritz arbeitet als Jurist in Wien, und in seiner Freizeit immer an sehr Schönem.

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