Eine Jugendliche erzählt: Mein Weg aus der Depression
Ihre Augen leuchten. Ihr Lachen wirkt herzlich und ehrlich, ihre Körperhaltung selbstbewusst und aufgeweckt. Motiviert, fröhlich, engagiert. So würde Laura Schuh sich heute selbst beschreiben. Dass das nicht immer so war, verraten vor allem die vielen zarten, weißen Narben, die sich über ihre beiden Unterarme ziehen.
Leistungsdruck, Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und vor allem die Corona-Pandemie und der damit einhergehende erste Lockdown haben bei Laura tiefe Spuren hinterlassen. Und damit ist die Schülerin keinesfalls alleine: Eine Studie der Donau-Universität Krems aus dem Vorjahr hat ergeben, dass mehr als jeder zweite Jugendliche an depressiver Symptomatik leidet, jeder sechste hat sogar Suizidgedanken.
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Kriseninterventionszentrum: https://kriseninterventionszentrum.at/
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147 Rat auf Draht: https://www.rataufdraht.at/?msclkid=3...
Dass es durch die Pandemie einen starken Anstieg an Betroffenen - sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen - gegeben hat, bestätigt auch Barbara Haid vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP). Auch jetzt steigen die Anfragen wieder: „Der Ukraine-Krieg hat die eh schon sehr belastende und belastete Situation noch einmal wirklich befeuert, im wahrsten Sinne des Wortes. In den letzten drei bis vier Wochen sind die Anfragen explodiert“, sagt Haid.
Harter Weg
Laura Schuh wächst auf einem Bauernhof in einem kleinen Ort im Waldviertel auf: „Ich war ein total positives Kind. Ich hatte die schönste Kindheit, die man sich nur wünschen konnte.“ Mit 14 ist sie für die Schule nach Wien gekommen. Mit der Zeit wird ihre Lebensfreude von Selbstzweifel und steigendem schulischen Druck überschattet. In der Oberstufe fühlt sie sich schließlich nicht mehr wie sie selbst. Sie weint viel, verspürt keine Freude. Bereits als sie 15 Jahre alt ist, hat sie Suizidgedanken: „Manchmal habe ich meine Mama angerufen und gesagt ‚Mama, ich möchte nicht mehr Leben‘.“
Ihre Mutter ist geschockt, organisiert der Tochter sofort einen Therapieplatz. Doch wirklich annehmen kann das Mädchen die Therapie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Als der erste Lockdown verhängt wird, zieht sie zurück aufs Land. Das Gefühlt von eingesperrt sein, die Isolation, das Home-Schooling und die ungewisse Zeit machen alles nur noch schlimmer: „Ich bin täglich in meinem Zimmer gesessen und habe mich selbst verletzt, bis ich wirklich stark geblutet habe.“ Wie schlecht es ihr damals geht, kann sie sowohl vor ihren Eltern als auch vor ihrer Therapeutin geheim halten. Im Alter von 16 versucht sie schließlich zweimal sich das Leben zu nehmen.
Laura Schuh und ihre Mutter fahren daraufhin in eine psychiatrische Klinik. Eine Tasche gepackt hat sie nicht, sie ist davon überzeugt, dass sie gleich wieder heimfahren darf. Wie schlecht es ihr tatsächlich geht, realisiert sie erst nach 1,5 Monaten in der Psychiatrie. Nach guten zwei Monaten, darf sie die Klinik verlassen. Heute nimmt sie noch Medikamente und geht weiter in Therapie, die sie auch nie wieder missen möchte: „Therapie ist etwas total Gutes, es sollte nichts sein, wovor man Angst hat.“
Das Schweigen brechen
Keine Angst davor zu haben, ist leichter gesagt als getan. Denn die Begriffe Therapie oder Psychiatrie lassen bei vielen Menschen noch veraltete Bilder von Zwangswesten, kahlen Gängen und grellen Lichtern aufpoppen. Der Realität entspricht das jedoch ganz und gar nicht mehr, erzählt Laura: „Es war total angenehm und nicht annähernd wie in einem Krankenhaus. Es gab Außenbereiche, man konnte sich austoben und es gab auch Events. Zu Ostern gab es etwa eine große Suchaktion“, erzählt Schuh. Und auch vor einer Therapie muss man keine Angst haben, wichtig ist nur, dass man die richtige Therapie für sich findet: „Es gibt so viele Möglichkeiten: Kunsttherapie, Gesprächstherapie, Ergotherapie, Physiotherapie, Musiktherapie. Man muss sich nur durchprobieren, wie als würde man Schuhe kaufen. Der eine passt mir besser, der andere vielleicht nicht so gut.“
So offen wie Laura Schuh es macht, wird selten über Depressionen, Therapie oder psychische Gesundheit im Allgemeinen gesprochen. Psychische Erkrankungen werden oft als Zeichen von Schwäche gesehen und den Betroffenen wird in vielen Fällen Schuld für ihre eigene Situation zugesprochen, erklärt Haid: „Wenn jemand eine körperliche Erkrankung hat - zum Beispiel Krebs – wird wahrscheinlich kaum jemand sagen ‚da bist du doch selber Schuld‘ oder ‚reiß dich ein bisschen zusammen‘. Wenn jemand an einer schweren Depression erkrankt, dann hört man das schon öfter.“ Wenn es nach Schuh geht, sollte über psychische Gesundheit genau so offen gesprochen werden wie über einen Zahnarztbesuch oder ein gebrochenes Bein.
Erste Anzeichen
Je früher mit einer passenden Behandlung begonnen wird, desto besser, denn Zeit ist in solchen Fällen von höchster Bedeutung. Doch wie merkt man überhaupt, ob jemand Hilfe benötigt? Das sei nicht immer leicht, ein Schema F gebe es nicht. In vielen Fällen jedoch erste Anzeichen, erklärt Haid: „Das sind gewisse Wesensveränderungen, die dann andauern. Also zum Beispiel, wenn ein eher aufgewecktes, meistens fröhliches Kind, Jugendlicher oder auch Erwachsener sich zusehends zurückzieht. Wenn ein an und für sich ruhiger, ausgeglichener Mensch öfters extrem aggressiv reagiert.“ Weitere Anzeichen können laut der Expertin auch beginnende Essstörungen, ein vermehrter Konsum von Substanzmitteln oder andauernde Schlafstörungen sein.
Sollten derartige Anzeichen auffallen, fühlen sich viele Menschen im Umfeld hilflos. Wie geht es weiter? Was kann ich tun? Wie soll ich mit der Situation umgehen? Haid: „Der erste Schritt sollte sein, mit der Person das Gespräch zu suchen. Es ist immer besser mit, als nur über eine Person zu sprechen. Wichtig sind auch ein guter Zeitpunkt, ein guter Ort und dass Ich-Botschaften verwendet werden, dann kann die andere Person die Botschaften besser annehmen.“
Mit Zuversicht in die Zukunft
Laura Schuh hat diese dunkle Zeit hinter sich gelassen. Die Narben sind zwar noch zu sehen, sie erinnern sie aber daran, dass sie es geschafft hat, diese Zeit zu überstehen. Angst davor, dass es ihr wieder einmal so schlecht wie vor zwei Jahren gehen könnte, hat Laura nicht: „Ich habe auch keine Angst davor, irgendwo hinunterzufallen, oder mir den Arm zu brechen. Wenn es so kommt, dann kommt es so. Ich weiß jetzt, was ich in solchen Situationen tun muss.“
Ihr großer Wunsch ist es, dass das Thema mentale Gesundheit stärker anerkannt wird, dass es kein Tabuthema mehr ist. Um das zu erreichen, ist sie das Gesicht der Initiative „Gut, und selbst?“, welche sich unter anderem für mehr Supportpersonal an den Schulen, Präventionsworkshops und eine Eingliederung des Themas psychische Gesundheit im Lehrplan einsetzt. Auch ein Volksbegehren (Eintragungswoche 2. - 9. Mai) wurde eingereicht. Unterstützt wird die Initiative bereits von berühmten Persönlichkeiten wie Autor und Kabarettist Michael Buchinger, Musikerduo Pizzera und Jaus, Arzt und Politiker Marco Pogo oder Ex-Skirennläuferin Lizz Görgl.
Hilfestellungen
Wenn Sie oder eine Ihnen nahe stehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich an die Telefon-Seelsorge, kostenlos unter der Rufnummer 142. Unter www.suizid-praevention.gv.at findet man Infos zu Hilfsangeboten.
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