Kunstschnee: Der gekaufte Winter
Auf dem Kulm im steirischen Bad Mitterndorf gehen heute, Dienstag, die ersten Skiflieger vom Backen. Für die am Donnerstag beginnende Skiflug-WM ist angerichtet, freut sich Schneemeister Sepp Pürcher. Und das liegt nicht am Winterwetter: Seit Anfang Dezember produziert man direkt auf dem steilen Aufsprunghügel mit fünf Kanonen Kunstschnee. Alles im grünen Bereich, beteuert Pürcher: "Wir verwenden hier nur Wasser und Luft."
Die Begeisterung über die moderne Technologie, die den WM-Veranstalter vor einer Absage und einem Millionenminus bewahrt, ist aber nur eine Seite der Medaille. Der sportliche Leiter der WM am Kulm, Jürgen Winkler, sagt offen: "Der Kunstschnee wird uns in Österreich noch ein paar Jahre aushelfen, aber dann werden wir damit nicht mehr das Auslangen finden."
Winkler kann sich dabei auf Studien berufen, die vor allem den Skigebieten in niedrigen Lagen eine düstere Ski-Zukunft voraussagen. Walter Friedl, Betriebsleiter der Ötscherlifte in Lackenhof am Schneeberg, will die Untergangsszenarien nicht hinnehmen. Zwar können in seinem Skigebiet derzeit nur vier der 16 Kilometer auf Kunstschnee befahren werden, Friedl glaubt dennoch, dass es weitergehen wird.
Am Kunstschnee-Tropf
Die Skiindustrie hängt heute in jedem Fall am Kunstschnee-Tropf. In neun von zehn österreichischen Skigebieten muss bereits künstlich nachgeholfen werden. "Würden wir im November und Dezember nicht beschneien und es fiele kein Schnee, würde das ein Minus von 4,2 Millionen Skitagen ergeben. Da würde uns alleine in diesen zwei Monaten ein Umsatz von einer halben Milliarde Euro fehlen", rechnet Josef Ölhafen in der Wirtschaftskammer Tirol.
Eine ganze Industrie ist entstanden, die gut am fehlenden Schnee verdient: Hinter der weißen Kunst-Pracht aus der Maschine steckt viel Aufwand. Alle Schneekanonen haben einen unterirdischen Starkstrom- und Wasseranschluss.
Umweltschützer stört vor allem der enorme Wasserverbrauch. Eine Schneekanone benötigt für einen Kubikmeter Schnee durchschnittlich 1000 Liter Wasser. Für ein Skigebiet, etwas größer als die Salzburger Sportwelt, sind 600.000 Kubikmeter Wasser nötig – nur für die Grundbeschneiung. Das entspricht dem jährlichen Wasserbedarf von 14.000 Österreichern. Um diese Mengen liefern zu können, wurden unzählige Speicherseen angelegt. Auch die werden von natürlichen Flüssen, Bächen und Seen gespeist. Ebenfalls problematisch: Bei der Beschneiung selbst verdunsten dreißig Prozent des Wassers. Nur ein Teil fällt als Schnee auf die Pisten. Die künstliche Beschneiung drohe daher die Alpen auszutrocknen.
Große Wasserschlucker
Kritisiert wird ferner, dass die Schneekanonen viel Wasser in einer Jahreszeit verbrauchen, in der es in den Alpen von Natur aus wenig davon gibt. Damit fehle das Nass, um die natürlichen Feuchtgebiete zu versorgen. Niedrigwasser bedroht die Fische. Die Vorarlberger Naturanwältin Katharina Lins sagt: "Kunstschnee hat eine andere Konsistenz, er ist fester und massiver, weshalb er länger auf dem Boden liegen bleibt." Was speziell für sensible Vegetation schädlich ist. Es besteht Erosionsgefahr.
Immerhin ist die Erzeugung heute nicht mehr so brutal wie noch vor ein paar Jahren: "Chemikalien sind nicht mehr erlaubt", erklärt der Tiroler Josef Ölhafen von der Wirtschaftskammer. "Im Gegenteil, der Schnee muss Trinkwasserqualität haben, was durch UV-Anlagen gewährleistet ist." Die Effizienz steigert heute der Computer: Er wird mit Tausenden GPS-Daten gespeist, unter anderem mit Daten über Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Sonneneinstrahlung. Eingerechnet wird auch, wie schnell die Skifahrer unterwegs sind und dabei die Piste belasten. Eine hochkomplexe Materie, daher haben die meisten Liftbetreiber eigene Schneemeister engagiert.
Als Vorreiter in Sachen Kunstschnee gilt Obergurgl, wo seit dem vergangenen Winter im sogenannten Neuschnee-Labor der erste "grüne Schnee" getestet wird. Forscher der TU Wien haben eine neue Technologie entwickelt, mit der sie hochwertigen Neuschnee mit relativ geringer Dichte produzieren können, der dem Pulverschnee sehr ähnlich ist. Außerdem brauche man viel weniger Energie und Wasser, sagt der wissenschaftliche Leiter Michael Bacher: "Herkömmliche Schneekanonen erzeugen aus einem Kubikmeter Wasser nur rund zwei Kubikmeter Schnee, wir können aus einem Kubikmeter Wasser bis zu 15 Kubikmeter Pulverschnee produzieren."
Grillen statt Wedeln
Dennoch dürfte der Kunstschnee nur eine Übergangslösung sein. Touristiker sind jedenfalls gut beraten, über schneeunabhängige Angebote nachzudenken. Vorreiter gibt es bereits: So wurde das Gschwender Horn in Süddeutschland als Skigebiet rückgebaut und in ein Winter- und Sommerwandergebiet umgewandelt.
Auch steirische Tourismus-Manager versuchen sich auf neuen Wegen: Auf dem Zirbitzkogel bietet man den Gästen heuer erstmals "Berg-aufrodeln" an (mit einer speziellen Sicherheitseinrichtung geht es mit dem Lift rauf, mühsames Hinaufstapfen entfällt. Und wenn gar nix mehr geht, dann gibt es auf der Planai Wintergrillen mit dem Starkoch Johann Lafer.
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