Es beginnt meistens recht harmlos, mit einer unverfänglichen Nachrichtenanfrage auf Social Media. Man klickt nichts ahnend hinein – und sieht sich plötzlich mit einem erigierten Penis am Bildschirm konfrontiert.
Dazu gibt's vielleicht noch ein grinsendes Emoji, wahlweise ein paar provozierende Worte. Eine Aufforderung der Empfängerin hat es davor jedoch nicht gegeben.
Dick Pics: Nun auch in Österreich strafbar
Das Versenden von Penisbildern, sogenannter Dick Pics, hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Die Hälfte der Frauen zwischen 18 und 36 hat schon welche erhalten, ergab eine Umfrage des britischen Meinungsforschungsinstituts Yougov. Und 89 Prozent davon sei das mindestens einmal unaufgefordert passiert.
Dass die Absender sich eine erfreute Rückmeldung erhoffen, ist stark zu bezweifeln. Die meisten Frauen reagieren eher verärgert oder verstört bis hin zu angewidert darauf, wie eine weitere Studie zeigt. Im schlimmsten Fall können die Bilder bei Personen mit Missbrauchserfahrung auch zu einer Form der Retraumatisierung führen.
Das unaufgeforderte Versenden solcher Bilder wird nun auch in Österreich strafbar, wie Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) im Ministerrat unlängst ankündigte. Umfasst von der gesetzlichen Regelung soll jegliche Form der elektronischen Kommunikation sein, von Social Media bis hin zum Fax. "Vor allem junge Frauen sind von dieser Form der Belästigung betroffen – das lassen wir nicht länger zu", so Sporrer.
Wer künftig also solche Bilder verschickt, um andere zu belästigen, muss nun auch hierzulande mit Strafanzeige und gerichtlicher Verfolgung rechnen.
Aber was bringt manche Männer überhaupt erst auf die Idee, ungebeten Fotos ihres Geschlechtsteils zu verschicken? Der KURIER sprach mit Žiga Jereb, Psychotherapeut und Obmann der Männerberatung Wien, über die Dynamiken, die zum Versenden von Dick Pics führen.
KURIER: Was treibt Männer dazu an, über Tinder, Instagram, WhatsApp und Co. ungefragt Bilder von ihrem Penis zu verschicken?
Jereb: Es sind in der Regel patriarchale und frauenfeindliche Strukturen, die es möglich machen, so grenzüberschreitend zu agieren. Männer, die solche Bilder verschicken, glauben bis zu einem gewissen Grad, dass ihnen das zusteht, sie empfinden es als ihr Privileg. Und es ist "ja nichts dabei", sie gehen davon aus, dass ihnen keine Konsequenzen drohen, insbesondere im digitalen Raum.
Glauben diese Männer ernsthaft, dass sie Frauen mit so einem Bild imponieren können? Oder geht es mehr um eine Demonstration von Macht?
Sowohl als auch. Dieses "Weil ich es kann"-Gefühl schwingt natürlich stark mit, das auf dem eben genannten Macht-Privileg unter Männern beruht, was wiederum zu einem Bagatellisieren von Grenzen führen kann – sowohl der eigenen als auch der von anderen Menschen. Man nimmt nicht mehr wahr, wo beim Gegenüber das Maß voll ist – und dass man vielleicht zuerst nachdenken sollte, bevor man handelt.
Im Übrigen sind nicht nur Frauen und Mädchen betroffen, auch immer mehr männliche Jugendliche bekommen Dick Pics zugeschickt.
Žiga Jereb von der Männerberatung Wien: "Viele Männer wissen nicht, wie sie mit einem 'Nein' umgehen sollen."
Steckt auch sexuelle Frustration dahinter? Oder eine Art Trotz-Reaktion auf Ablehnung?
Viele Männer haben nie gelernt, dass es normal und okay ist, wenn ein Wunsch mal nicht in Erfüllung geht, sprich ein "Nein" zu bekommen. Anstatt mit der Kränkung umzugehen oder über Handlungen, Ausdrucksformen und Wünsche im Gespräch zu bleiben, geraten sie in einen Zustand der Ohnmacht – und Ohnmacht befürwortet Macht: Dann zeigen sie lieber, dass sie "der starke Mann" sind, dass sie "Kraft" haben, was dann solche Handlungen zur Folge haben kann.
Also lieber mit so einem Bild verstören, als mit Desinteresse gestraft werden?
Genau. Sie wollen eine Reaktion hervorrufen und dabei demonstrieren: "Ich bin stark". Alles besser, als Einsicht oder gar Verletzlichkeit zu zeigen. Sie bauen lieber diese Wand der Gewalt auf – denn Gewalt ist das Mittel der Wahl, das sie eben kennen. Womit wir wieder beim Grundproblem des Patriarchats wären: Dass Gewalt in jedweder Form geduldet und bagatellisiert wird. Genau deshalb ist es wichtig, digitale Räume und Männerbilder zu schaffen, in denen alternative Vorstellungen von Männlichkeit sichtbar werden – solche, die auf Verbundenheit, Fürsorge und zwischenmenschlicher Nähe beruhen.
Sind sich diese Männer also bewusst, dass das ungefragte Verschicken solcher Bilder eine Form von Gewalt ist?
Ich glaube nicht. Das Bewusstsein dafür, dass sie Betroffenen damit wirklich schaden können, scheint teilweise komplett zu fehlen. Einer macht es, die anderen imitieren es, es wird dadurch "gängig". Darum ist es so wichtig, dass mehr Awarenessgeschaffen wird. Gerade im digitalen Raum haben wir noch unheimlich viel Arbeit vor uns, denn hier werden mitunter die primitivsten Impulse quasi ungestört ausgelebt.
Im Diskurs ist nur von Penissen die Rede, nicht von Vulven. Legen Männer eine größere "Zeigefreudigkeit" an den Tag als Frauen?
Zwar kenne ich hierbei keine genauen Zahlen, aber ich glaube, dass Frauen tendenziell Grenzen viel stärker beachten als Männer – weil sie mehr daraufhin erzogen wurden und weil das Sensible und Zurückhaltende bis zu einem gewissen Grad die Erwartungshaltung für "Weiblichkeit" in unserer Gesellschaft ist. Im Gegensatz zum bereits genannten "starken Mann", der seine "Kraft" durch das Überschreiten von Grenzen demonstriert.
Männer verschicken oft Dick Pics, weil sie sich etwas im Gegenzug erhoffen. Ist das Versenden solcher Bilder vielleicht auch der einzige ihnen bekannte Weg, um sich als erotisch begehrenswert zu präsentieren?
Vielen Männern fehlt die Erfahrung des (gemeinsamen) Entdeckens, was sexuelle Intimität eigentlich für sie bedeutet. Stattdessen machen sie ihr Genital zum Objekt – woraufhin die Misogynie ebenfalls durchschlägt: Die Frau ist kein Mensch mit Gefühlen mehr, sondern auch nur ein Objekt, das ihre Bedürfnisse zu erfüllen hat. Ihnen fehlt das Wissen, wer sie selbst als sexuelles Wesen sind. Und somit fehlt es ihnen auch an Fantasie. Ein Umstand, der mitunter durch den Konsum pornographischer Inhalte noch verstärkt wird.
Stichwort Victim Blaming: Kehren diese Männer die Schuldfrage um, etwa, indem sie Frauen, die sich in sexy Kleidung oder im Bikini auf Instagram zeigen, vorhalten: "Was erwartest du denn, wenn du dich so präsentierst?"?
Das kommt definitiv vor. Diese Männer zeigen mit dem Finger auf Frauen, anstatt die Verantwortung für ihre Handlungen bei sich selbst zu suchen. Wieder ein Verhaltensmuster, das durch patriarchale Strukturen gefördert wird – und was in letzter Zeit leider einen Aufwind erlebt. Darum ist es so wichtig, dass wir Männer andere Männlichkeitsentwürfe vorgelebt bekommen.
Wie kann man mehr für das Problem Dick Pics sensibilisieren?
Ich kann es nicht genug betonen: Wir Männer müssen viel mehr darüber sprechen, Awarenessfür Sexualität und Konsens schaffen und diese stärker zum Thema machen. Das sollte nicht die Aufgabe von Frauen und Mädchen sein. Das neue Gesetz in Österreich ist gut und sehr wichtig, aber wir wissen, dass Prävention stets weitaus nachhaltiger wirkt. Deshalb braucht es frühzeitige Aufklärung, Gespräche über Grenzen – und letztlich auch eine Enttabuisierung von Sexualität. Denn ein Teil dieses Problems hat auch mit Scham, Unsicherheit und fehlender Reflexion über das eigene Begehren zu tun.
Wenn ein Freund von Ihnen zugeben würde, so ein Bild ungefragt verschickt zu haben – was würden Sie ihm raten?
Ich würde ihm zunächst sagen, dass es gut ist, dass er selbst erkennt, dass sein Handeln Betroffenheit verursacht – und dass er sich mir gegenüber öffnet. Dann würde ich ihm anregen, eine Form von Beratung oder Therapie zu machen, damit er über Themen wie Konsens, Sexualität, Selbstwahrnehmung und Männlichkeit sprechen kann. Im nächsten Schritt würde ich ihn dazu ermutigen – wenn das vielleicht sogar mehrmals vorgekommen ist – eine Selbstanzeige zu machen.
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