Der Liebe wegen: Von Indien nach Schweden mit dem Rad

"Wer sein Glück mit anderen teilt, der verdoppelt es." Es gibt nicht viele Menschen, denen man so einen Satz abnimmt. Doch bei Pikay und Lotta wird auch der größte Zyniker weich.
Ein Straßenkünstler legte 7000 Kilometer zurück, um seine große Liebe wiederzufinden. 40 Jahre später ist das Paar noch immer glücklich.

Man habe sie prüfen wollen. Habe den einen nach der Lieblingsmusik, der Lieblingsfarbe des anderen befragt. Man habe ihre Story einfach nicht glauben wollen.

Denn sie ist fast zu schön, zum wahr zu sein: Die Liebesgeschichte von Pikay und Lotta, die vor 40 Jahren in Indien begann.

Der Liebe wegen: Von Indien nach Schweden mit dem Rad
Fahrradinder
Die Geschichte des kastenlosen Pradyumna Kumar, genannt Pikay, aufgewachsen in ärmsten Verhältnissen, und der adeligen Schwedin Charlotte von Schedvin, kurz Lotta, die als junges Hippiemädchen, inspiriert von der Indien-Reise der Beatles, nach Neu-Delhi kam. Um sie wiederzusehen, fuhr Pikay 7000 Kilometer mit dem Fahrrad von Asien nach Schweden, wo die beiden seither glücklich verheiratet auf einem Bauernhof leben.

Kann so eine Geschichte wahr sein? Wer die beiden erlebt, wer ihre Blicke sieht, der spürt, dass dieses moderne Märchen wahr ist.

Vor zwei Jahren hat der Journalist Per J. Andersson ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben. Der stillen Lotta ist es anfangs schwergefallen, sie zu teilen. "Aber ich habe verstanden, dass die Welt nach einer Geschichte wie der unseren hungert."

Zyniker werden weich

"Wer sein Glück mit anderen teilt, der verdoppelt es." Es gibt nicht viele Menschen, denen man so einen Satz abnimmt. Doch bei Pikay, heute 66, und Lotta, 60, wird auch der größte Zyniker weich.

Man hatte Pikay, als er vor bald vierzig Jahren nach Europa reiste, gewarnt: Die Straßen hier seien sauber, aber die Menschen kalt. Doch Dr. Pradyumna Kuman Mahandia, pensionierter Kunstlehrer, Vater zweier erwachsener Kinder, angegrautes Haar, entwaffnendes Lächeln, hat die Sache mit den kalten Herzen nie geglaubt. "Ich habe auf der ganzen Reise keinen einzigen Menschen getroffen, den ich nicht mochte", erinnert er sich.

Entlang des Hippie-Trails

Und man versteht, warum Pikay auf seiner langen Reise von Delhi nach Schweden entlang des berühmten Hippie-Trails über Kabul, Teheran, Baku und Istanbul nur freundliche Menschen traf. Warum man ihm zu essen und einen Schlafplatz gab und als Gegenleistung, wenn überhaupt, nur eine Porträtzeichnung erwartete. Dieser Mann hat Geheimwaffen: Seine bestechende Liebenswürdigkeit, sein Glaube an das Gute und eine Zähigkeit, die ihn nicht aufgeben lässt.

Geboren wurde Pikay im indischen Dorf Kondpoda am Rand des Dschungels, seine Mutter pflegte es das "älteste Dorf" im "größten Wald" zu nennen. Der Besuch einer Kobra in seinem Babykorb, den er unverletzt überstand, brachte ihm das Stigma eines Wunderkindes ein. Die göttliche Schlange habe ihn beschützt! Pikay war kein gewöhnliches Baby und folglich wusste auch der herbeigerufene Astrologe Außergewöhnliches zu prophezeien: Der Kleine werde ein Mädchen heiraten, das "nicht aus unserem Land stammt", noch dazu eines im Sternzeichen des Stiers – beides sollte auf Lotta zutreffen.

"Wie ein Samen"

An Vorhersehung glauben die beiden trotzdem nicht uneingeschränkt: Das Schicksal sei "wie ein Samen, den man gießen und pflegen muss, damit er auch gedeiht", sagt Pikay. Seine Ausgangslage machte es dem jungen Inder allerdings denkbar schwer.

Als Mitglied der untersten Gesellschaftsschicht Indiens, der kastenlosen "Unberührbaren", durfte er zwar theoretisch die Schule besuchen, nicht aber die Klasse betreten. Die anderen Kinder spielten nicht mit ihm und auch der Lehrer wollte nicht im selben Raum mit ihm sein. Dieser offen zur Schau gestellte Rassismus hat Narben hinterlassen. "Ich war weniger wert als eine Kuh", erinnert er sich verbittert an seine Zeit als Ausgestoßener. Diskriminierung der Kastenlosen, der untersten Gesellschaftsschicht, ist in Indien zwar seit 1948 verboten, aber auf dem Land scherte sich niemand um die Gesetze der Engländer. Später, in der Großstadt Neu-Delhi, wo sich Pikay seinen Weg auf die Kunstuniversität erkämpfte und sich als Porträtzeichner durchschlug, litt er Hunger, schlief unter Brücken und wusste oft nicht weiter.

Der Montmartre von Delhi

Zehn Minuten, zehn Rupien stand auf dem Schild, das er auf dem Platz vor dem Springbrunnen aufgestellt hatte, wo sich Touristen anstellten, um Porträtzeichnungen bei den jungen Künstlern in Auftrag zu geben. Der Montmartre von Delhi.

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Im Oktober 1975 setzte sich das zwanzigjährige Hippiemädchen Lotta in Südschweden hinter das Steuer ihres grünen VW-Busses, um mit Freunden über die Landroute nach Indien aufzubrechen. Die junge Krankenschwester, die von Kindheit an von Indien geträumt hatte, muss von einer bemerkenswerten Bestimmtheit gewesen sein, die ihren Eltern keine Chance auf Widerspruch ließ. Und Pikay wusste, kaum dass er das blonde, blasse Mädchen an einem kalten Dezemberabend an seinem Platz vor dem Springbrunnen in Delhi kennengelernt hatte: Das ist sie, die Frau aus den Vorhersagungen. Eine Fremde, Sternzeichen Stier. Meine Frau. Davor habe er nur ans Überleben gedacht, mit Lotta habe das Leben einen Sinn bekommen.
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Man kann es als naiv bezeichnen, doch hat ihn sein unerschütterliche Glaube an die Liebe nie im Stich gelassen. Nicht, als Lotta zwei Monate später zurück nach Schweden musste, und nicht, als er aus Geldmangel den bemerkenswerten Entschluss fasste, sie per Fahrrad wiederzufinden. Die Reise mag beschwerlich gewesen sein, doch die einzige wirkliche Gefahr lauerte nicht in Afghanistan und auch nicht im Iran : Das erste Mal brenzlig für Pikay wurde es in Deutschland, als Grenzbeamte ihn zurück nach Indien schicken wollten. Was er in diesem Fall getan hätte? "Nun, ich dachte, dann werde ich Lotta eben in einem anderen Leben wiederfinden." Aber ernsthaft geglaubt hat er nie, dass er sie nicht wiedersehen würde.
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Als Pikay viereinhalb Monate und fünf Fahrräder weiter Borås in Südschweden erreichte, hatte Lotta auf ihn gewartet. Das Wiedersehen? Sprachlos. Tränen. "Wir wussten, endlich sind wir daheim."

40 Jahre später haben Pikay und Lotta ihren Sohn Karl-Sidharta mit auf Interviewtour. Er ist ein bekannter DJ in Schweden, fast berühmter als die Eltern, erzählt der stolze Vater. Tochter Emelie unterstützt ein Charity-Projekt in Indien, in einem Haus, das die Eltern im Geburtsort des Vaters gebaut haben.

Mit Fremden über ihre persönliche Geschichte zu sprechen war für Lotta zunächst schwierig, nicht aber für Pikay. "Es gibt keine Fremden. Wir sind alle Menschen, wir kommen von derselben Quelle. Es gibt keinen Unterschied zwischen dir und mir". Und dann sagt er noch: "Das Leben ist wundervoll."

Man glaubt es ihm.

Das Buch: Per J. Andersson: Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr, um dort seine große Liebe wiederzusehen. Kiwi. 15,50 Euro.

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