Das Leben als Dauerarbeitsloser

Das Leben als Dauerarbeitsloser
Die Leiden des jungen S.: Ein 22-jähriger Wiener erzählt, wie es ihm seit bald drei Jahren ohne geregelte Arbeit geht. Er ist kein Einzelfall.
Von Uwe Mauch

Eine eigene Wohnung, vielleicht auch ein eigenes Auto. Thomas Seemüller spricht leise, langsam, aber gut überlegt. Er hat, was sein eigenes Leben betrifft, keine unrealistischen Pläne. Immerhin ist er reife 22 Jahre alt. Doch seit dem Ende seiner Lehrzeit, seit bald drei Jahren, gelingt es ihm nicht, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

"Der Thomas ist aus meiner Sicht der perfekte Hausarbeiter", sagt Claudia Holub, die pädagogische Leiterin des Vereins für Training, Integration und Weiterbildung (T. I. W.). Holub berät und betreut den jungen Mann schon längere Zeit. Daher weiß sie: "Er ist absolut zuverlässig, er bräuchte halt nur einen Chef, der ein bisschen Verständnis dafür aufbringt, dass er nicht jede Aufgabe auf Anhieb selbstständig erledigen kann."

Versteckt arbeitslos

Der Thomas ist kein Einzelfall. Die Zahl der Jugendlichen, die nach schulischen Problemen nicht gleich den Sprung auf den regulären Arbeitsmarkt schaffen, steigt in Österreich stetig an (siehe das Interview unten). Was eine Reihe an Folgeproblemen nach sich zieht.

Manchmal versteht der 22-Jährige die Welt nicht mehr. "Ich will arbeiten, aber ich darf nicht", sagt er dann. Das Arbeitsmarktservice versteckt junge Menschen wie ihn in diversen Aktivierungskursen. Damit gilt er offiziell als arbeitssuchend, nicht als arbeitslos. Doch je länger er keinen Job findet, desto mehr wirkt diese Arbeitslosigkeit aufs Gemüt. Es gibt Momente, da zweifelt er an sich selbst: "Wenn ich nicht bald eine Arbeit finde, wird das mit mir nichts mehr. Das ist fad."

Die Leiden des jungen S. sind die Leiden einer ganzen Generation. Er hat die Hauptschule absolviert, wurde aber aufgrund von Lerndefiziten nach dem Maßstab der Sonderschule bewertet. Für einen wie ihn fatal: In einer Arbeitswelt, die sich immer schneller dreht, ist kein Platz für Menschen, die nicht auf Anhieb funktionieren.

Er hat dann bei Jugend am Werk eine Lehre als Textilreiniger absolviert und auch die Abschlussprüfung geschafft. Eine kurzfristige Anstellung in der Zentralwäscherei der Stadt Wien endete nach wenigen Wochen mit Unzufriedenheit auf beiden Seiten. Seemüller will heute nicht ungerecht sein, und sagt dann doch, dass man ihn dort nicht unbedingt gerecht behandelt hat.

Er hat immerhin das Glück, dass seine Mutter, die ihn als Alleinerzieherin erzogen hat, weiterhin hinter ihm steht. Auch wenn sie weder seinen Musikgeschmack noch seine Lautstärkenvorlieben teilt – was zu Spannungen führt, wie der Filius mit einem Lächeln erzählt. "Sie sagt eh immer wieder, dass ich mir eine Wohnung suchen soll."

Im Verein T. I. W., der unter anderem vom Sozialministerium gefördert wird, wurde der 22-Jährige in den vergangenen Monaten jobfit gemacht. Er hat im Rahmen kürzerer Praktika als Regalschlichter bei Merkur und Baumax, als Tellerwäscher bei McDonald’s und in der UNO-City, Gärtner bei Austrotel, Autowäscher bei Clean Car und Aushilfskraft in der Aida gearbeitet. "Alle bisherigen Arbeitgeber haben seine Zuverlässigkeit bestätigt", macht Pädagogin Holub Werbung für den Kursteilnehmer. "Er hätte sich eine ehrliche Chance verdient."

Mehr als 43.000 Jugendliche und junge Erwachsene suchen in Österreich Arbeit. Tendenz laut Arbeitsmarktservice weiter steigend. Viele von ihnen hatten bereits in der Schule massive Probleme, weiß Andreas Pollak , der Gründer und Geschäftsführer des Vereins für Training, Integration und Weiterbildung, kurz T. I. W. Pollak arbeitet seit bald zwanzig Jahren mit Jugendlichen.

KURIER: Herr Pollak, haben diese 43.000 jungen Leute einen Schulabschluss?

Andreas Pollak: Das kann man so nicht sagen. In Österreich gibt es – im Unterschied zu Deutschland – nur das Kriterium „Erfüllung der Schulpflicht“. Das heißt: Wenn Schüler drei Mal die zweite Klasse Hauptschule wiederholen, haben sie mit 15 ebenso ihre Schulpflicht erfüllt. Bildungsexperten nennen sie daher „early school leavers“.

Wie viele frühe Schulabgänger gibt es in Österreich?

Österreichweit sind das aktuell 72.000 Jugendliche und junge Erwachsene, jeder Vierte lebt übrigens in Wien.

Für diese Gruppe wird es zunehmend schwieriger, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Woran liegt das? Wer ist verantwortlich für ihren Leidensweg?

Das liegt in erster Linie an der fehlenden Realitätsnähe im System Schule. Dazu kommt, dass das soziale, familiäre Netzwerk der jungen Menschen mehr und mehr zusammenbricht. Und es gibt einen rasanten technischen Fortschritt in nahezu allen Berufsbranchen – und damit verbunden die ebenso ständig steigenden Anforderungen für Berufstätige.

Wer sind die Jugendlichen, die sich an Ihren Verein wenden?

Grundsätzlich sprechen wir von benachteiligten Jugendlichen. Weil sie ohne unsere Hilfe kaum reale Chancen haben, eine geregelte Arbeit zu finden. Kaum einer kann eine einfache Divisionsrechnung lösen.

Welche Defizite haben die jungen Leute darüber hinaus?

Zunehmend größer wird die Gruppe der psychisch Beeinträchtigten und jene der sozial Verwahrlosten. Dazu kommt, dass die Erwartungshaltung immer größer wird – Stichwort: Du kannst alles ...

Sozial Verwahrloste – wo leben sie, wie leben sie?

Die einen sitzen isoliert zu Hause und spielen Fantasy-Spiele. Die anderen sind die meiste Zeit auf der Straße und machen zum Teil kriminelle Blödheiten. Für die sie dann lange zahlen müssen.

Können die von Ihnen betreuten jungen Menschen lesen und schreiben?

Nein, die meisten können das leider nicht. Die meisten der jungen Leute, die zu uns kommen und von denen wir wissen, dass sie in einem städtischen Ballungszentren zur Schule gegangen sind, sind funktionelle Analphabeten. Und ich möchte auch betonen: Das ist kein Problem, das einzig Menschen mit Migrationshintergrund haben.

Auch Daniela Molnar ist 22 Jahre alt. Auch sie kennt das Gefühl, wie es ist, wenn man jung ist und keine Arbeit hat: „Wenn du stundenlang mit dem Hund spazieren gehst, dann kann das auf die Dauer sehr langweilig werden.“ Seit bald zwei Jahren arbeitet sie in einer Pizzeria der Restaurantkette Vapiano in der Wiener Innenstadt. Im Service, als Servierkraft. Das Franchise-Unternehmen hat bereits acht langzeitarbeitslose Jugendliche vom Verein T. I. W. übernommen. Restaurant-Leiterin Anne Nickels sagt zufrieden: „Es ist schön, die persönliche Entwicklung von jedem Einzelnen zu beobachten und zu fördern.“ Die Förderung wird zusätzlich von den T. I. W.-Betreuern der Jugendlichen unterstützt: Wann immer Probleme auftauchen, stehen sie dem Arbeitgeber mit Rat und Tat zur Seite. Manche Ungereimtheit auf beiden Seiten konnte so lange vor der Eskalation ausgeräumt werden.

Daniela Molnar ist mit ihrer Entwicklung durchaus zufrieden. Sie freut sich, jetzt ihr eigenes Geld zu verdienen und noch dazu in einem Unternehmen zu arbeiten, das einen guten Namen hat. Auch ihre Mutter sei heilfroh, „dass ich jetzt schon so lange in der Pizzeria durchhalte“.

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