Als langjährige Mitarbeiterin in der Adipositasambulanz am AKH Wien / MedUni Wien hat Schindler viele Gespräche mit Menschen mit starkem Übergewicht geführt: „Denn erstens kann da mitschwingen ,vorher empfand ich dich als zu dick‘. Und zweitens kann nicht jeder sein Gewicht halten. Sagt man dann in dem Fall beim nächsten Treffen ‚Puh, jetzt hast du aber wieder zugenommen, oder?‘ ist das peinlich und frustrierend für den anderen.“
Besser wäre es, einfach nur zu sagen „Du siehst gut aus!“ Spricht dann der andere den Gewichtsverlust an, könne man etwas Motivierendes antworten, etwa „Gratuliere, toll gemacht“. „Aber dann würde ich das Thema wieder lassen und es nicht überstrapazieren. Es bekommt sonst zu viel Bedeutung.“
"Ziemliche Gratwanderung"
Noch heikler ist es, Partner oder Freund/Freundin auf eine Gewichtszunahme anzusprechen, auch wenn man sich ehrliche Sorgen macht. „Das ist eine ziemliche Gratwanderung.“
Einerseits ist das Risiko groß, dass solche Gespräche eine Dynamik bekommen, die mit der ursprünglichen Thematik nichts mehr zu tun hat: „Es können rasch andere Dinge hineinverpackt werden – unausgesprochene Probleme und Unzufriedenheit in der Beziehung, die dann über das Gewicht angesprochen werden. Doch in Wahrheit geht es dann schon um etwas anderes.“
Doch auch wenn dem nicht so wäre: „Man kann noch so viel Feingefühl aufbringen – das Risiko ist groß, dass eine Äußerung zum Gewicht am Ende doch als verletzend empfunden wird.“ Und dann setzen noch die häufigen vorschnellen Urteile und vermeintlichen „Lösungen“ eins drauf: „Das muss doch nicht sein.“ – „Du musst halt einfach mehr Willen zeigen.“ – „Wenn du dich anstrengst, schaffst du das.“
"Keine Schuld geben"
„Auch wenn das gut gemeint sein sollte – das kränkt. Und Übergewicht ist keine Frage des Willens – es ist sehr stark eine Frage der Lebensverhältnisse, der Umwelt, die an jeder Ecke Essen anbietet, einer familiären Vorbelastung“, betont Schindler. „Auch seelische Faktoren – Stress, Einsamkeit, Depressionen – können, besonders bei starkem Übergewicht, eine Rolle spielen.“ Das betont auch Alexandra Kautzky-Willer, Präsidentin der Diabetes-Gesellschaft: „Auf keinen Fall darf man adipösen Menschen eine Schuld geben und sie stigmatisieren – Adipositas ist eine Erkrankung mit vielfältigen Ursachen.“
Schindler spricht Äußerlichkeiten wie das Gewicht von sich aus im Freundeskreis nie an: „Ich wäre auch in einer Beziehung sehr zurückhaltend, das zu tun.“ Etwas anderes sei es, wenn ein Partner von sich aus darüber redet – und den Wunsch nach Hilfe signalisiert. „Dann sollte der andere fragen ,Was kann ich tun, um dich zu unterstützen, was hättest du gerne, das ich für dich tue?‘“ Aktiv werden müsse der Partner aber selbst – „der andere sollte nicht für ihn etwa Arzttermine ausmachen“. Fazit: „Die Problematik ist extrem komplex und eignet sich nicht für Small Talk oder rasche Ratschläge.“
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