Boris Johnson, ein Fall für den Therapeuten?

Boris Johnson gibt sich gerne volksnah
Seit vergangener Woche ist Boris Johnson Großbritanniens Regierungschef. Seine erste Großtat als Premierminister war, sein Kabinett mit Brexit-Hardlinern auszustatten. Doch auch abgesehen von seinem politischen Stil fällt Johnson durch bemerkenswerte Verhaltensweisen auf.
Gern gibt sich der bullige 55-Jährige mit der blonden Chaosfrisur volksnah und wettert gegen die Eliten – deren Teil er Zeit seines Lebens war. Er gibt wahlweise den Politclown oder pöbelt gegen das Establishment; er schwänzt TV-Debatten und besucht stattdessen Boxkämpfe oder betätigt sich volkstümlich beim Würstestopfen und Schafe scheren.
Der deutsche Hirnforscher Joachim Bauer beschäftigt sich in seinem neuen Buch „Wie wir werden, was wir sind“ (Blessing) mit der Entstehung des menschlichen Selbst und mit Persönlichkeitsstrukturen von Populisten wie Donald Trump und Boris Johnson. Wir haben Bauer gefragt, welches Verhaltensmuster hinter Populisten steckt und warum sie als politische Führer für Mehrheiten attraktiv sind.
KURIER: Boris Johnson fällt durch starkes Bedürfnis nach Selbstdarstellung auf. Halten Sie ihn für einen Narzissten?

Was man im Wahlkampf alles auf sich nimmt - sogar Würstestopfen
Joachim Bauer: Das alleine reicht nicht, um ihn zum Narzissten zu machen. Selbstdarstellung ist eine allgemein-menschliche Schwäche, man muss sich nur anschauen, mit welcher Obsession viele ihr Profil in den sozialen Netzwerken pflegen. Was Boris Johnson zum Narzissten macht, ist seine Unfähigkeit anzuerkennen, dass gutes Zusammenleben nur möglich ist, wenn man sich an Regeln hält, Kompromisse schließt und andere respektvoll behandelt. Sein Lebensweg zeigt, dass er in diesen Bereichen Probleme hat.

Der deutsche Hirnforscher Joachim Bauer über sein neues Buch „Wie wir werden, was wir sind“ (Verlag Blessing)
Würden Sie Leuten wie Johnson oder Trump zu einer Therapie raten?
Therapie setzt die Einsicht voraus, dass ich Hilfe brauche. Diese Einsicht haben Narzissten erst dann, wenn sie vom hohen Ross gestürzt sind – oder gestürzt wurden. Bis dahin glauben sie, dass sie die Größten sind und so etwas wie Therapie nie brauchen. Die Frage der Therapiebedürftigkeit stellt sich natürlich auch bei denen, die narzisstischen Verführern hinterherlaufen.
Sie schreiben, der Mensch sei von der Sehnsucht getrieben, sein Selbst zu vergrößern, um seiner Sterblichkeit zu entkommen. Heißt das, wir sind alle narzisstisch veranlagt?
Gesunder Narzissmus besteht darin, dass ein Mensch das Gefühl hat: So wie ich natürlicherweise bin, bin ich liebenswert oder zumindest okay. Wenn ich mir gewiss bin, liebenswert zu sein, dann kann ich auch ertragen, dass wir Menschen als Einzelne schwach, voneinander abhängig und sterblich sind. Pathologische Narzissten können das nicht ertragen, sie leiden an ihrem Selbst. Sie wurden als Kinder – meist von ihren Eltern – mit dem Auftrag ins Lebens geschickt: So wie du bist, bist du nicht gut genug, du musst was ganz Besonderes sein und Großartiges leisten! Das war sowohl bei Boris Johnson als auch bei Donald Trump der Fall.

Donald Trump - laut Hirnforscher Bauer ein pathologischer Narzist
Welches psychologische Muster steckt hinter Populisten und warum sind solche Politiker in vielen Ländern dieser Welt gerade so erfolgreich?
Die Globalisierung der Welt und ihr rasanter Wandel lassen uns spüren, wie klein, abhängig und gefährdet wir als Einzelne sind. Wir fühlen uns machtlos, das macht uns Angst. Wenn sich in einer solchen Situation jemand aufbläst und den Menschen wie ein Heiland Erlösung von allen Nöten verspricht, dann wirkt das auf viele verführerisch: Ich bin klein und machtlos, aber dieser Held steht für mich, sein starkes Selbst ersetzt mein schwaches Selbst, er wird mich retten. Das macht so viele Menschen anfällig für den modernen Populismus.

Schafe scheren im Sinne der Bürgernähe
Welche Rolle spielen dabei soziale Netzwerke?
Sie sind eine weitere Spielwiese, um dem kleinen Selbst Erleichterung zu verschaffen. Sie machen es möglich, unser analoges Selbst, mit dem sich viele Menschen heute zu schwach fühlen, auszulagern. Anstatt ihr reales Leben zu leben, verbringen Millionen täglich Stunden damit, ihr digitales Profil zu pflegen. Untersuchungen zeigen aber, dass das einsam und unglücklich macht. Es hilft nichts: Die beste Art, mit dem Leben umzugehen und glücklich zu werden, besteht darin, dass wir uns selbst so annehmen wie wir sind: Dann finden wir auch Menschen, die uns mögen.
Kommentare