Beatrice Frasl: "Liebe ist eine weibliche Aufgabe in unserer Gesellschaft"

Beatrice Frasl mit neuem Buch
In ihrem neuen Buch plädiert Beatrice Frasl für die Abschaffung der (romantischen) Liebe – nicht zuletzt, um anderen Beziehungen in unserem Leben mehr Raum zu geben.

Eigentlich lautet der volle Titel ihres neuen Buches "Entromantisiert euch. Ein Weckruf zur Abschaffung der Liebe". Der Buchhandel war jedoch der Meinung, der Untertitel sei "zu kontrovers", man würde Kundinnen und Kunden damit abschrecken. "Dass der Titel mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist, sollte klar sein. Zudem könnte man meinen, dass ein 'kontroverser' Titel ja etwas Gutes ist," lacht Beatrice Frasl. Der Kompromiss ist nun der Schutzumschlag, auf dem nur "Ein Weckruf" zu lesen ist. 

Dass ein Buch, das die Liebe ins Visier nimmt, schon vor seiner Veröffentlichung für Diskussionen sorgt, liegt fast auf der Hand. Schließlich kann man doch nicht das "schönste Gefühl der Welt" kritisieren – oder?

Wenn romantische Liebe isoliert

Kulturwissenschaftlerin, Podcasterin und Kolumnistin Frasl legt nach "Patriarchale Belastungsstörung" nun ein Plädoyer gegen die romantischen Liebe vor. 

Im Gespräch mit dem KURIER erklärt sie, warum es uns mehr schadet als nutzt, unser Leben von Schmetterlingen im Bauch und Co. bestimmen zu lassen – und warum insbesondere Frauen darunter leiden, wenn die romantische Liebe als das Nonplusultra gesehen wird. 

KURIER: Zugegeben, der Untertitel Ihres Buches klingt etwas radikal. Warum sollten wir die Liebe "abschaffen"?

Beatrice Frasl: Wir sollten unsere Vorstellung von Liebe abschaffen und kritisch hinterfragen, wie sehr sie in Machtverhältnisse eingebettet ist. Liebe per se ist total wichtig, wir brauchen Beziehungen für unsere geistige und körperliche Gesundheit. Wenn die Leute aber "Liebe" hören, denken sie meist nur an romantische Liebe. Ich kritisiere, wie sehr diese priorisiert wird in unserer Gesellschaft. 

Sie argumentieren, dass uns die romantische Liebe "unserer tragendsten Beziehungen beraubt" und uns in Paarbeziehung und Kleinfamilie hinein "vereinzelt". Warum sprechen Sie hier von einer Vereinzelung?

Weil das kulturelle Narrativ, das romantische Liebe und Paarbeziehungen umgibt, uns vermittelt, dass diese andere Person unser "Ein und Alles" zu sein hat. Andere Begriffe sind etwa "Significant Other", "Bessere Hälfte", … Diese Ausdrücke vermitteln, dass man selbst nur noch im Bezug auf eine andere Person existiert. 

Ist es bei engen Freundschaften nicht ähnlich?

Bei allen anderen Beziehungen in unserem Leben ist es bei weitem nicht so extrem. So, wie die romantische Paarbeziehung in unserer Gesellschaft gelebt wird, umgibt sie die Menschen fast schon wie ein Kokon, in den man sich zurückzieht. Was von außen auch so erwartet wird: Man verreist nur noch zu zweit, hat automatisch das "Plus 1" bei Anlässen wie Hochzeiten und Geburtstagen – nämlich selbstverständlich den Partner, nicht die beste Freundin oder Schwester, obwohl die für mich vielleicht genauso wichtige Menschen sind bzw. sein sollten. 

Die romantische Liebe hat diesen starken Sog, der uns hineinzieht. Man isoliert sich als Paar von anderen, zieht sich auf die "Beziehungsinsel" zurück. 

Was im schlimmsten Fall fatale Auswirkungen haben kann, insbesondere für Frauen. 

Gerade die romantische Paarbeziehung ist ein Kontext, in dem viele Frauen Gewalt erleben. Die Strategie von Gewalttätern ist ja oft, ihr Opfer in der Beziehung zu isolieren, den Kontakt zu anderen Bezugspersonen schrittweise zu unterbinden. 

Oft wird das vom Umfeld aber erst spät wahrgenommen. Wenn man zum Beispiel in einer Freundschaft komplett abtaucht, würden das viele wohl seltsam finden. Aber wenn das in einer romantischen Paarbeziehung passiert, "ist das halt so", es wird mehr akzeptiert. Darum ist die romantische Paarbeziehung so ein fruchtbarer Humus für Gewalt.

Beziehungen, die uns verloren gehen

"Paarbeziehungen sind nicht das Gegenteil von Einsamkeit. Sie sind oft ihre Vorbedingung," heißt es auch in Ihrem Buch.

Der Klassiker ist die eine Freundin, die sich, kaum ist sie in einer Beziehung, fast gar nicht mehr meldet. Dabei sind es unsere platonischen Bezugspersonen bzw. Familienmitglieder, die am Ende des Tages bleiben, die unserem Leben Stabilität geben. Unsere engsten Freundinnen sind jene Menschen, die uns jahrzehntelang unterstützt haben, die unsere letzten fünf Boyfriends miterlebt haben. Dass wir uns aus diesen wichtigen Beziehungen immer wieder herausreißen lassen und uns durch die romantische Beziehung viele andere Beziehungen verloren gehen, ist sehr problematisch.

"Ich möchte nicht auf das schöne Gefühl der Liebe verzichten": Sie schreiben, dass Sie solche Sätze auch von jenen Frauen hören, die unter romantischen Beziehungen mit Männern lei­den, da diese für sie vor allem Arbeit bedeuten. Ist das Problem also eine unrealistische Vorstellung der Liebe?

Das Problem ist die "Heilserzählung" der romantischen Liebe als Versprechen für Lebensglück. Alles, was wir an Beziehungsbedürfnissen haben, wird auf sie projiziert. Das kann natürlich nicht funktionieren, eine Person kann nicht all unsere Bedürfnisse erfüllen. 

Das Patriarchat als Nutznießer der Liebe?

Sie bezeichnen die romantische Liebe auch als einen "Grundpfeiler des Patriar­chats". Warum?

Die normative Form der romantischen Liebe – sprich die heterosexuelle – orientiert Mädchen und Frauen von Kindheit an auf männliche Bedürfniserfüllung. Mädchen bekommen viel stärker als Buben vermittelt, dass es Teil ihres Lebensentwurfs sein muss, irgendwann einmal einen Ehemann und Kinder zu haben. Weiblichkeit wird in hohem Maße darüber konstruiert, dass man "romantische Liebe möchte" bzw. einen Mann wollen soll – und auch viel Energie, Zeit und mentale Anstrengung in das Finden und Erhalten dieser Liebe zu stecken hat. Das ist stark damit verknüpft, dass Liebe in unserer Gesellschaft historisch bedingt eine weibliche Aufgabe ist. 

Was dazu führt, dass sie Frauen zu kostenlosen Arbeiterinnen für Männer macht, die in romantischen Paarbeziehungen und dann in der Kleinfamilie den Großteil der unbezahlten Fürsorgearbeiten und Mental Load tragen. 

Sie brechen es im Buch auf folgenden Satz herunter: "Frauen werden zu Liebesproduzentinnen erzogen, Männer zu Liebeskonsumenten".

Es gibt viele Studien, die bestätigen, dass Männer die Nutznießer von Beziehungen zu Frauen sind, dass sie in romantischen Paarbeziehungen gesünder sind und länger leben – während es bei den Frauen umgekehrt ist. Sie sind in den Beziehungen die Fürsorgerinnen und Männer die Nutznießer. Diese Struktur ist möglich, da Frauen die Arbeit ja "aus Liebe" tun. 

Warum nicht mit der besten Freundin ein Haus bauen?

Sie plädieren dafür, anderen Beziehungen, insbesondere Freundschaften, den gleichen Stellenwert zu geben wie der romantischen Liebe. Wie würde sich das auf unser gesellschaftliches Leben auswirken?

Die romantische Paarbeziehung ist auf so vielen Ebenen zum Zentrum der gesellschaftlichen Organisation geworden – und ist auch ein politisches, rechtliches und ökonomisches Thema, auch wenn man auf den ersten Blick glaubt, sie sei etwas Privates. Unser gesamtes Wirtschafts- und Steuersystem hängt de facto an der Idee der romantischen Paarbeziehung und der Kleinfamilie, die daraus entsteht. Würde man diese Priorisierung tatsächlich aufbrechen, würde das fast schon eine Revolution bedeuten.

Auf der individuell-psychologischen Ebene könnte unser aller Leben reicher werden, wenn wir diese "eine" Liebe ein bisschen zur Seite schieben und sehen, was es sonst noch alles an Zuneigung gibt. Ich kann auch mit meiner besten Freundin ein Haus bauen oder mit meiner Schwester eine Wohnung kaufen. All das, was wir gesellschaftlich auf eine Beziehung verlagern, kann ich in anderen Beziehungen ebenso haben – und vielleicht auf tragfähigere Beine stellen.

Gilt das auch für’s Kinderkriegen?

Durchaus. Ich halte es sogar für fragwürdig, dass wir es als so normal erachten, nur in romantischen Paarbeziehungen Familien zu gründen. Unzählige Statistiken zeigen uns, dass diese Beziehungen in der Regel nicht lange halten, siehe Scheidungsrate. Ist es dann nicht ein bisschen irrwitzig, in dieser Konstellation Kinder zu bekommen? Es gibt Beziehungen, die uns ein Leben lang begleiten, etwa unsere engsten Freundschaften. Wäre es daher nicht sinnvoller, das Familienmodell dahingehend zu ändern?

Freundschaft: Frage der Priorität?

Gerade im Erwachsenenalter wird das Schließen von Freundschaften bzw. das Aufrechthalten dieser aber immer schwieriger. 

Das ist eine Frage der Priorisierung: Warum ist es möglich, für einen romantischen Partner Zeit zu finden? Es hat auch damit zu tun, mit wem ich meinen Alltag teile, wen ich als Familie betrachte – das muss nicht nur die biologische Familie sein.

Aber unsere gesamte Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, es eben so zu machen wie alle anderen, sprich sich in Paaren zusammenzufinden und das Leben mit dieser einen Person zu planen. Daher ist die Schwierigkeit, in engeren Beziehungen zu Freunden und Freudinnen zu stehen, auch systematisch bedingt.

Was würde es also für uns bedeuten, wenn wir zur romantischen Liebe tatsächlich "Nein" sagen würden?

Auch, wenn man nicht radikal "Nein" zur romantischen Liebe sagen möchte, kann man sie zumindest aus dem Zentrum des Lebens rücken. Es würden plötzlich viele Ressourcen, Zeit und Energie freiwerden – und gerade Frauen brauchen diese dringend in dem System, in dem wir leben. Man könnte sich mehr auf eigene Bestrebungen konzentrieren, aber auch auf andere liebevolle Beziehungen. Ich denke, das würde uns um ein ganzes Stück freier machen.

Das neue Buch von Beatrice Frasl erscheint am 24. April im Haymon Verlag.

Am 5. Mai findet die Präsentation mit Lesung im Wiener Stadtkino statt. 

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