Kopftuch: Mehr als ein Stück Stoff

Accessoire, Brauchtum oder Symbol der Unterdrückung – die Kopfbedeckung polarisiert.

Ausgerechnet vor einem Schild, welches das Tragen der Verschleierung – Hedschab – vorschreibt, lüftet eine junge Iranerin ihr Kopftuch und lässt sich mit wehendem Haar fotografieren. Das Foto postet sie auf der Facebook-Seite "Stealthy Freedom". Seit Tagen veröffentlichen dort Iranerinnen – den Vorschriften der Mullahs zum Trotz – Bilder, die sie ohne Kopftuch und Schleier zeigen. Konservative Muslime gingen daraufhin auf die Straße.

Die Wiener Journalistin Petra Stuiber hat sich intensiv mit dem polarisierenden Stück Stoff beschäftigt und das Buch "Kopftuchfrauen" geschrieben. Dafür porträtierte sie zehn Kopftuchträgerinnen. Als Chronik-Chefin beim Standard ist Stuiber vor allem bei Integrationsthemen immer wieder auf Klischees gestoßen. "Auf Fotos sieht man Kopftuchfrauen meist am Markt, aber nie als Physikerinnen oder Chefinnen. Die Kopftuchfrauen werden meist als Symbol für Unterdrückung und Unfreiheit herangezogen. So wie etwa von HC Strache, der das klischeebehaftete Bild der Kopftuchfrauen im aktuellen EU-Wahlkampf verwendet. "

Für ihr Buchprojekt wollte sie mit den Frauen reden, in ihr Leben eintauchen. "Ich wollte zeigen, dass es ganz unterschiedliche Motive gibt, um Kopftuch zu tragen – traditionelle, religiöse oder gesellschaftspolitische."

Vorurteil

Eine der porträtierten Frauen in Stuibers Buch ist Dudu Kücükgöl. Die Tochter einer türkischen Familie wuchs in Niederösterreich auf und engagiert sich seit ihrer Jugend für Frauenrechte und Politik. Heute ist sie Vorstandsmitglied der Muslimischen Jugend Österreich – und kämpft gegen das Vorurteil, wonach alle Kopftuchträgerinnen unterdrückt und fremdbestimmt wären. "Diese Ansicht empfinde ich als sehr bevormundend. Viele Leute glauben, das Kopftuch sei die Flagge des Islamismus. So ein Blödsinn! Wenn Sie 50 Frauen fragen, warum sie Kopftuch tragen, werden Sie 50 verschiedene Antworten bekommen." Das Kopftuch ist für die 30-Jährige etwas ganz Privates. "Ich mache das alleine mit mir aus."

Mit ihrem Buch wollte Stuiber allerdings auch zeigen, dass nicht nur Frauen mit muslimischem Hintergrund Kopftuch tragen. "Es ist unserer ‚westlichen‘ Kultur gar nicht so fremd." Die Oberösterreicherin Gerda Leitner (70) etwa hat das Kopftuch schon in den 1970er-Jahren getragen – als Accessoire, kombiniert mit großen Sonnenbrillen. Die Mode-Ikonen vieler junger Frauen waren damals, in den 1950er- und 1960er-Jahren, Grace Kelly, Sophia Loren oder Audrey Hepburn. Sie trugen das Kopftuch sowohl in ihren Kult-Filmen als auch privat und machten es so zu einem stylishen Mode-Accessoire.

Stolz

Heute ist Leitner Mitglied der Goldhaubengruppe im Bad Goiserner Heimatverein und trägt stolz ein schwarzes Seidentafttuch. Wichtig: Es muss im Nacken geknotet sein. An hohen Feiertagen tragen die Frauen entweder die mit Gold bestickte Kappe oder eben das schwarze Tuch. Brigitte Mitterndorfer, Goldhaubenobfrau, erklärt, dass die Kopfbedeckung früher eine Frage der Standeszugehörigkeit war. "Bürgersfrauen trugen ihre Wohlhabenheit gerne auf dem Kopf, während die Bäuerinnen, aus Dankbarkeit für ihre Befreiung von der Lehensherrschaft, ihre Kopfbedeckung dem eleganten Schwarz der Habsburger anglichen."

Dass jene iranischen Frauen ihre Kopfbedeckungen derzeit öffentlichkeitswirksam ablegen, findet Stuiber "hoch erfreulich". Sie ist gegen Verbote, aber auch gegen Gebote. "Es muss einfach alles nebeneinander möglich sein."

Buchtipp: "Kopftuchfrauen" von P. Stuiber, Czernin Verlag, 19,90 €

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