Zwist um neuen, alten Schnitzler

Im Wiener Café Griensteidl trafen sich im späten 19. Jahrhundert Künstler und solche, die es gerne gewesen wären.
Die nun veröffentlichte frühe Novelle "Später Ruhm" entzweit die Wissenschaftswelt.

Knapp 83 Jahre nach seinem Tod gibt es also noch deftige Meinungsverschiedenheiten um Arthur Schnitzer.

Vorgestern erschien im Zsolnay Verlag die einen breiten Publikum bisher unbekannte Novelle "Später Ruhm". Schnitzler schrieb die bis jetzt unveröffentlichte Novelle mit dem Arbeitstitel "Geschichte von einem greisen Dichter" zwischen 1894 und 1895. Ein Jahr nach dem Erfolg von "Anatol", ein Jahr vor dem endgültigen Durchbruch mit "Liebelei".

Das Manuskript lag jahrzehntelang in Schnitzlers Nachlass, der 1933 vor der Verbrennung gerettet und, über Vermittlung eines britischen Germanistikstudenten, unter Schutz des britischen Konsuls gestellt und in der Cambridge University Library übernommen wurde.

Unstimmigkeiten

Zwist um neuen, alten Schnitzler
ARCHIV - HANDOUT - Das undatierte Foto zeigt den österreichischen Schriftsteller und Arzt, Arthur Schnitzler. Wien feiert in diesem Jahr den 150. Geburtstag Arthur Schnitzlers. In seinen Dramen und Erzählungen hielt Schnitzler der Gesellschaft an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert den Spiegel vor. Foto: dpa (zu dpa «Arthur Schnitzler: Bühnen-Dauerbrenner und subtiler Psychologe» vom 09.05.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Nun haben zwei Forscher, Wilhelm Hemecker und David Österle, das Manuskript in Cambridge ausgegraben. Warum es bisher nicht veröffentlicht wurde? Die Herausgeber deuten im Nachwort Unstimmigkeiten zwischen Schnitzlers Erben an.

Es geht in der Novelle um einen Beamten, der von einer Gruppe junger Verehrer an frühe literarische Versuche erinnert wird und für wenige Augenblicke "späten Ruhm" genießt.

Der Zsolnay-Verlag spricht angesichts der 135 Seiten kurzen Erzählung von einer "literarischen Sensation", die Deutsche Presseagentur von einem "verschollenen Manuskript" und die Frankfurter Allgemeine Zeitung ortet in dem Text "sehr viel mehr vom großen Schnitzler (...) , als ihr Verfasser selbst geahnt haben dürfte". Die Süddeutsche Zeitung hingegen hält die Veröffentlichung für einen "editorischen Skandal" und das Buch gar für eine "Mogelpackung."

Auch die Germanistin und Schnitzler-Forscherin Konstanze Fliedl, die vor wenigen Tagen den vierten Band der historisch-kritischen Ausgabe des Frühwerks von Arthur Schnitzler herausgegeben hat, sieht das sogenannte Meisterwerk kritisch.

"Es handelt sich bei diesem angeblichen Sensationsfund um einen längst bibliografierten (d. h. den Literaturverzeichnissen bekannten, Anm.) Text, der noch dazu keine hohe literarische Qualität besitzt," nimmt Fliedl dem KURIER gegenüber Stellung.

Der Herausgeber der Novelle, Wilhelm Hemecker, kann das keineswegs nachvollziehen. "Selbstverständlich handelt es sich um eine ausgearbeitete Erzählung, die Schnitzler als druckreif zur Publikation in der Zeit an Hermann Bahr schickte, und keineswegs nur um einen bemühten Entwurf oder gar eine bloße Skizze."

Argwöhnt die Schnitzler-Gesellschaft, dass auch Zeitgenossen Schnitzlers mäßig begeistert von der Novelle gewesen seien, weist Hemecker wiederum darauf hin, wie angetan das "historische junge Wien", Hofmannsthal, Beer-Hofmann und Felix Salten, gewesen sein soll und er zitiert auch Schnitzler selbst, der 1884 über die Novelle in sein Tagebuch notierte: "Scheint nicht übel gelungen. (…) Einige sehr gute Stellen." Später allerdings, und das sagt Hemecker nicht dazu, hat sich Schnitzler, ebenfalls in seinem Tagebuch, recht abfällig über seinen Text geäußert und fand ihn "im Ganzen etwas langweilig."

Was aber hat "Später Ruhm", abgesehen von diesen Meinungsverschiedenheiten für den Leser zu bieten?

Ein bezauberndes Stück Literatur, eine stimmungsvolle Andeutung dessen, was für ein profunder Menschenkenner Schnitzler einmal werden würde. Mag sein, dass die Geschichte des alten Dichters eine Petitesse ist, eine Kleinigkeit nur im Vergleich zu bedeutenderen Werken. Doch steckt viel Klugheit und Komik in dieser kurzen Erzählung, die von den Veränderungen berichtet, die ein Mensch durchmacht, der ein paar Tage späten Ruhmes erleben darf.

Eduard Saxberger, ein Beamter jenseits der 70 (sic!) wird von einer Handvoll junger, euphorischer (Möchtegern-)Künstler als Dichter wiederentdeckt.

Als junger Mann hat Saxberger den Gedichtzyklus "Wanderungen" geschrieben, gleichaltrige Bekannte belächeln ihn heute deshalb. Er hat das Kapitel Kunst seit Langem für sich abgeschlossen.

Saxbergers junge Freunde haben seine Gedichte nun ausgegraben und geben sich begeistert von seinem Genie. Allmählich scheint auch er daran zu glauben – und entwickelt die unsympathischen Züge dessen, der sich überdurchschnittlich talentiert wähnt. Bis er jäh enttäuscht wird.

Nicht direkt ein Schlüsselroman, lässt die Novelle doch deutlich die Zeitgenossen Schnitzlers erkennen: Im – nicht namentlich genannten – Café Griensteidl, um die Jahrhundertwende das zweite Wohnzimmer der Wiener Künstler-Bohème, trifft sich tagtäglich der Schriftstellerverein "die Begeisterten" – man erkennt die Züge der Dichter Felix Salten, Peter Altenberg und des jungen Hofmannsthal. Letzterer ist hier ein "kleiner, blasser Blondin", sehr jung, von den anderen halb spöttisch "Kind" genannt, und doch von herausragendem Talent.

Auch sich selbst beschreibt Schnitzler in der Figur des Christian – ein Künstlertyp mit langem Haar und "fliegender Krawatte". Zudem angehende Journalisten und Kritiker – schon damals nicht die sympathischsten Zeitgenossen.

Einzige Frau im Literatenzirkel ist die kokette Schauspielerin Gasteiner. In ihr ist die Schauspielerin Adele Sandrock zu erkennen, zwischen 1885 und 1893 Schnitzlers Geliebte. Sie kommt in dieser Parodie nicht gut weg: nicht mehr ganz jung, launenhaft und kokett gegenüber vielen – tatsächlich wusste Schnitzler von Sandrocks Affäre mit Felix Salten.

Die Talentlosen

Zwist um neuen, alten Schnitzler
Am gelungensten ist Schnitzlers Satire da, wo sich die Kunst selbst aufs Korn nimmt. Die Illusionen, denen sich ein betagter, wiederentdeckter Dichter hingibt. Während im Kaffeehaus die "Begeisterten" tagen, sitzen am Nebentisch die "Talentlosen". Als Dichter hat man selbstverständlich das normale Leben "peinlich" zu finden und einen Gedichtezyklus kann man unbeachtet des Inhalts mit "Abendstimmung" betiteln: "Alle lyrischen Gedichte sind ja schließlich entweder Morgenstimmungen oder Abendstimmungen."

Da macht es dann auch keinen Unterschied, dass niemand, wie sich am Ende herausstellt, die Gedichte des gefeierten Lyrikers gelesen hat.

INFO: Arthur Schnitzler: „Später Ruhm“. Zsolnay. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Wilhelm Hemecker und David Österle. 156 S. 18,40€

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