Sie zeichnet eine Auseinandersetzung mit dem gierigen, weißen Mann aus, der die Welt kolonialisierte und nicht nur Ressourcen, Reichtum und Raubgüter an sich riss, sondern auch die Zukunft jener Länder und ihrer Menschen, die er ausbeutete.
Und sein Werk zeigt auch: Selbst der durchaus kritische Blick auf den Kolonialismus wird der Realität oft nicht gerecht. Der Begriff nämlich wird auf gleichmacherische Art über sehr unterschiedliche Schicksale in den ehemaligen Kolonien gestülpt.
Die Geschichte des Kolonialismus, sagte Gurnah jüngst in einem Interview mit africainwords.com, wird oftmals als homogene Geschichte dargestellt, „aber sie beinhaltet so viel mehr, es gibt ganz viel lokales Wissen und Einzelheiten“ darüber zu erzählen. „Die Länder haben Kolonialismus auf einzigartige Weisen erlebt. Es ist wichtig, diesen Details Aufmerksamkeit zu geben.“
Denn an diesen Details hängen ganz viele menschliche Schicksale, unter anderem auch jenes des Autors. Er floh in den 1960ern nach blutigen Unruhen nach England und lehrte dort Englisch und postkoloniale Geschichte.
Diese äußere Erfolgsgeschichte hat eine innere Seite, der man vielleicht in „Donnernde Stille“ (2000 auf Deutsch erschienen) näher kommt. Darin gibt Gurnah Einblicke in das Leben eines Flüchtlings aus Sansibar, der in England zerrissen ist zwischen dem rassistischen Hass, den er erlebt, und dem Selbstekel über die Kompromisse, die er eingehen muss, um sich in die neue Umgebung einzufügen. Er umgibt sich mit Schweigen, gewinnt keine neue Heimat – und merkt, dass er auch die alte Heimat verloren hat.
Es ist ein prototypisches Flüchtlingsschicksal, dem hier eine Stimme gegeben wird. Eine Stimme, die im westlichen Buchmarkt am Rande bleibt. Seine Werke sind derzeit auf Deutsch nicht lieferbar (das wird sich ändern).
Es ist aber auch eine differenzierte Schilderung dessen, welche Komplexität in der postkolonialen Welt, die der Westen zumeist nur mit dem Weitwinkelobjektiv betrachtet, übersehen wird. In „Schwarz auf Weiß“ (2004 auf Deutsch) schilderte Gurnah etwa, wie sich der Konflikt in Sansibar nicht gegen die Weißen, sondern zwischen schwarzen, arabischen und indischen Bevölkerungsgruppen aufschaukelte.
Die Akademie würdigt ihn nun für „sein kompromissloses und mitfühlendes Durchdringen der Auswirkungen des Kolonialismus und des Schicksals des Flüchtlings in der Kluft zwischen Kulturen und Kontinenten“. Dass sich der Preis auch fugenlos in eine große aktuelle Diskussion einfügt – nicht zuletzt in den Museen wird gerade diskutiert, wie man mit den geraubten Gütern aus der Zeit des Kolonialismus umgeht –, wird Zufall sein: Die Akademie gehe allein nach dem literarischen Wert, betont sie gerne (besonders laut nach dem Konflikt um Peter Handke).
Von Gurnahs Schreibkunst kann sich das Publikum wohl alsbald selbst überzeugen: Nobelpreise gehen mit Neuauflagen einher. Gurhan selbst jedenfalls freut sich – und dachte an einen Streich: Er habe erst auf die Bekanntgabe der Akademie warten müssen, um es glauben zu können.
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