Zeitgenössische Zugänge
Nicht minder spektakulär ist Buchbinders zweites Beethoven-Projekt. So hat die Wiener Gesellschaft der Musikfreunde auf Buchbinders Anregung Kompositionsaufträge vergeben. Ziel: Ein heutiges Echo auf die berühmten „Diabelli-Variationen“. Und so werden am 3. März im Goldenen Saal des Musikvereins Uraufführungen von Lera Auerbach, Brett Dean, Toshio Hosokawa, Brad Lubman, Philippe Manoury, Krzysztof Penderecki, Max Richter , Rodion Schtschedrin, Johannes Maria Staud, Tan Dun und Jörg Widmann zu hören sein. Buchbinder lachend: „Da habe ich mir etwas angetan. Denn jeder versucht hier den anderen in technischer Virtuosität zu übertrumpfen. Alle Stücke sind extrem anspruchsvoll und großartig. Ich freue mich schon darauf, diese Werke den ,Diabelli-Variationen’ gegenüber zu stellen.“ Ein Ereignis, das ebenfalls auf Tonträger dokumentiert wird.
Erste Begegnungen
Doch kann sich Buchbinder, der etwa die 32 Klaviersonaten Beethovens weltweit mehr als 60 Mal zyklisch aufgeführt hat, noch an sein erstes Beethoven-Konzert erinnern? „Ja, da war ich sieben oder acht Jahre alt und habe bei einem Klassenabend die sechs Variationen in G-Dur gespielt. Im Alter von elf Jahren habe ich dann im Musikverein Beethovens erstes Klavierkonzert interpretiert“, so der im Alter von fünf Jahren als jüngster Student aller Zeiten am Wiener Konservatorium aufgenommene Beethoven-Experte. Nachsatz: „Beethoven begleitet mich also schon mein ganzes Leben und er wird mich immer begleiten.“ „Mein Beethoven – Leben mit dem Meister“ heißt den auch folgerichtig ein sehr lesenswertes Buch des Pianisten.
Dass sich Buchbinders Liebe zu Beethoven programmatisch auch bei dem von ihm geleiteten Musikfestival Grafenegg niederschlägt, ist da nur allzu logisch.
„In Grafenegg spiele ich im Sommer 2020 am Wolkenturm etwa das Triplekonzert – ein für alle Beteiligten extrem herausforderndes Werk, das aber vom Publikum zurecht immer wieder eingefordert wird.“ Gibt es ein Werk Beethovens, das unterschätzt wird? Vielleicht das dritte Klavierkonzert, weil es ein sehr eigenwilliges Stück ist, das ich im Sommer 2020 in Grafenegg aber auch interpretieren werde. Da sind sehr schwierige Parts drinnen. Wenn man jedoch genauer hinhört, wird ganz deutlich, welch neue und kühne Wege Beethoven auch hier gegangen ist.
Neue Ideen
Buchbinder weiter: „Ich lehne auch den Begriff ,Wiener Klassik‘ vehement ab. Das ist so ein Unfug, den sich erst die Nachwelt für Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven hat einfallen lassen. Keiner dieser drei Komponisten ist ein ,Klassiker‘. Alle drei haben nicht nur die Musikwelt revolutioniert. Bei Beethoven ist das ja auch politisch deutlich. Warum hat er denn in der neunten Symphonie Friedrich Schillers ,Ode an die Freude’ vertont? Darin heißt es ja explizit: ,Alle Menschen werden Brüder‘. Das hat Beethoven auch so gemeint! Er war ein Verfechter der Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Und vergessen wir bitte nicht, wem er ursprünglich seine dritte Symphonie, die ,Eroica‘, gewidmet hat. Das war Napoleon Bonaparte. In ihn hat er viele Hoffnungen gesetzt. Doch als Napoleon sich zum Kaiser krönen ließ, war Beethoven maßlos enttäuscht und hat die Widmung getilgt. Sein humanistisches Ideal der Gleichheit aller Menschen, einer Welt des besseren Miteinanders sah er dadurch verraten. Darüber gibt es übrigens auch einen historisch nicht ganz korrekten, aber sehr sehenswerten Film aus dem Jahr 1949 mit dem Titel ,Eroica‘. Ewald Baser ist als Beethoven zu sehen, und Oskar Werner als sein Neffe“, so der deklarierte Filmfanatiker und Oskar-Werner-Verehrer.
Zarte Annäherungen
Doch hat Buchbinder nach all den Jahrzehnten seiner Beschäftigung mit Beethoven den ultimativen Zugang zu diesem Komponisten gefunden? „Nein, den gibt es nicht. Beethoven überrascht mich jedes Mal aufs Neue. Man lernt bei ihm nie aus. Egal, welches Werk ich wie oft interpretiert habe – ich finde stets neue Nuancen und entdecke Dinge, die ich so vorher noch nicht gesehen haben. Das ist ja das Geniale an den großen Komponisten: Man kann sie nie ganz erfassen, kann immer nur ein Teilaspekt offenlegen. Das ist für uns Interpreten schön, das ist auch für das Publikum großartig. Kein einziger Abend gleicht dem anderen, es gibt keine ultimativen Interpretationen. Immer nur Annäherungen, die im Idealfall glücken.“ Die Einzigartigkeit jedes Konzerts ist übrigens auch der Grund, weshalb Buchbinder seit Jahren nur noch Live-Einspielungen macht und für Aufnahmen nicht mehr ins Tonstudio geht. Denn: „Ich möchte die Magie dieser Augenblicke festhalten, dieses gemeinsame Erleben der Musik, nicht nur bei Beethoven.“
Neue Liebschaften
Doch was wünscht sich der Ausnahmekönner für das Beethoven-Jahr? „Dass das Publikum weiter in die Konzerte, in die Aufführungen geht und zuhört, sich auf Abenteuer, auf Entdeckungsreisen einlässt. Gerade bei Beethoven ist es ja so, dass man immer neue Liebschaften entdecken kann. Ich merke das bei mir selbst. Es gibt in Beethovens Musik so viele wunderschöne Dinge, auch in der Kammermusik, die ja immer ein bisschen vernachlässigt wird. Man kann also gar nicht hungrig genug auf das Beethoven-Jahr sein. Und ich hoffe auch, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer nicht nur Verständnis für die Musik Beethovens aufbringen, sondern auch für seine Gedanken. Dieses kompromisslose Einstehen für Freiheit und Humanität ist gerade in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Beethoven kann uns da nicht nur in musikalischer Hinsicht ein echtes Vorbild sein.“ Und: „Man hört doch nicht nur mit den Ohren zu. Sondern im Idealfall auch mit dem Herzen, mit der Seele. Diese Art des Zuhörens ist doch eigentlich die schönste.“
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