Wo Poesie der Politik Nachhilfe gibt

Danae Stratou, "The Globalising Wall", Standbilder aus Videoinstallation, 2012
Danae Stratou produziert mit ihrem Mann Yanis Varoufakis Kunst - und glaubt an deren politische Kraft.

Mauern und Grenzzäune entzweien Menschen, in einem Fall aber brachten sie zwei Personen zusammen: Als die griechische Künstlerin Danae Stratou nämlich die Vorbereitungen für ein Kunstprojekt über Grenzen und Globalisierung traf, lernte sie einen engagierten Wirtschafts-Professor kennen, der bald ihr Partner und Ehemann werden sollte.

Als der Professor, Yanis Varoufakis, 2015 griechischer Finanzminister wurde, war „The Globalising Wall“ bereits fertig: Für die Videoinstallation, der ein Essay Varoufakis’ als „Impulstext“ zugrundeliegt, war das Paar zu Grenzwällen in aller Welt gereist und hatte fotografiert: In Kaschmir, Israel, Nordirland, an der Grenze der USA zu Mexiko.

„Der Grenzwall zu Mexiko zeigt exemplarisch, wie wir die Grenzen für den Handel und Kapitalflüsse öffnen, sie aber für Menschen schließen“, sagt Stratou, die von 2013 bis 2015 in Austin/Texas lebte, wo Varoufakis eine Gastprofessur innehatte. „Mit dem Flüchtlingsstrom aus Nahost und Afrika wird das Problem nicht kleiner. Wir müssen etwas tun, die Politik tut zu wenig.“

Kunst am Podium

Stratou wird heute vermehrt gebeten, sich zu wirtschaftlichen und politischen Fragen zu äußern – in Wien weilte sie auf Einladung der Initiative „GlobArt“, um über das Thema „Griechenland ist mehr als die Finanzkrise“ zu diskutieren.

Unweigerlich stellt sich die Frage, ob Kunst sich in politische Debatten und Prozesse nachhaltig einbringen kann – und auch ernst genommen wird. „Künstler sollten sich nicht anbiedern, sondern auf ihre Arbeit vertrauen“, sagt Stratou dazu. „Sehr viele Künstler arbeiten heute archivalisch oder dokumentarisch, und für mich fehlt dabei etwas. Was die bildende Kunst anzubieten hat, ist eine Kombination aus intellektuellen und physischen Erfahrungen. Sie kann eine neue Perspektive auf die Welt eröffnen.“

Die Zusammenführung von Intellekt und Poesie ist auch der Hintergedanke von vitalspace.org, einer Web-Plattform, die Stratou gemeinsam mit Varoufakis ins Leben gerufen hat. Sie fungiert derzeit primär als Abspielstätte für Videoarbeiten und Performance-Dokumentationen der Künstlerin, die bereits 1999 Griechenland bei der Venedig-Biennale vertrat; auch einige befreundete Künstlerinnen und Künstler präsentieren sich dort.

Kunst in der Krise

Stratou möchte aber mehr: „Vitalspace“ soll die griechische Kunstszene vernetzen, Atelier-Stipendien vergeben, Installationen und andere Werke mitfinanzieren. In der gegenwärtigen Wirtschaftslage fehlen jedoch die Mittel. „Viele Kunstinitiativen in Griechenland basieren auf Freiwilligenarbeit – das zeigt auch den Drang der Menschen, sich kreativ auszudrücken“, sagt Stratou. „Doch ohne Ressourcen kann es nicht weitergehen.“

Wo Poesie der Politik Nachhilfe gibt
Interview mit der Künstlerin und Frau des griechischen Ex-Finanzministers Yanis Varoufakis Danae Stratou in Wien am 25.01.2016.
Die Frage, inwieweit sich Ausgaben für Kunst in einer Notlage rechtfertigen lassen, wurde für Stratou angesichts der Flüchtlingswelle im vorigen Sommer aktuell. „Ich sollte einen Vorschlag für eine Installation in einer aufgelassenen Fabrikshalle nahe Athen vorlegen“, erzählt sie. „Ich dachte mir zunächst: Was kann Kunst tun? Ich sollte das Budget und den Raum nehmen und damit einfach Flüchtlingen helfen. Aber 20.000 Euro lösen keine Probleme. Und ich kam zum Schluss, dass ich durch meine Praxis etwas beitragen und Bewusstsein generieren kann. Das ist die Funktion der Kunst. Eine wichtige Funktion, kein Luxus.“

Von Athen lernen

Stratou wurde zwar öfters ihre eigene privilegierte Herkunft vorgeworfen – von der Welt von Kunstfreunden wie dem griechischen Industriellen Dakis Ioannou, der sich seine Luxusyacht vom US-Starkünstler Jeff Koons gestalten ließ, sieht sie sich jedoch meilenweit enfernt.

„Die Sphäre der Kreativität und jene des Kunstmarkts sind völlig voneinander entkoppelt“, sagt sie. Anzeichen dafür, dass die „Documenta“ 2017 auch in Athen stattfinden wird, habe sie bisher nicht wirklich bemerkt, erklärt Stratou – sie befürchtet, dass sich die globale Szene auf die Stadt setzen könnte, ohne wirklich mit ihr zu interagieren. „Aber es ist ja noch etwas Zeit“, sagt sie in Richtung der Documenta-Verantwortlichen. „Hoffentlich kommt das Event mit der Kunst in Kontakt , die am Boden entsteht.“

Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler versuchen, etwas zum Umgang mit den Flüchtlingsbewegungen in Europa und anderswo beizutragen, wobei sich die Reaktionen zwischen spontanem Aktivismus und distanzierter Reflexion bewegen. Die deutsche Künstlerin Eva Leitolf recherchiert etwa seit Jahren „Schlüsselorte“ der Migration nach Europa und lichtet sie in ruhigen Bildern ab; die Fotos erhalten durch Erklärungstexte prlötzlich Brisanz. Leitolfs Postcards from Europe, zuletzt im KunstHausWien ausgestellt, werden in der Schau Zoom! Architektur und Stadt im Bild im Architekturzentrum Wien zu sehen sein (10.3. – 17.5.). Sie sind auch Teil des neuen Buchs Heimat – eine künstlerische Spurensuche, in dem die Kulturwissenschafterin Burcu Dogramaci den Zugängen zu Heimat und Migration seit den 1960er Jahren nachspürt (Böhlau Verlag, 25,70 €).

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