„Erpresserbriefe“: Wilfried Seipels Rückblick auf den Saliera-Raub
Bis heute kursiere nur die halbe Wahrheit über den Saliera-Raub, findet der damalige Direktor des Kunsthistorischen Museums Wilfried Seipel: Rückblick auf eine abenteuerliche Geschichte
Wilfried Seipel ist 80, immer noch streitbar und schreibt ein Buch.
KURIER:Sie haben „Museumsgeschichte geschrieben“, sagt Ihre Nachfolgerin Sabine Haag. Bis 2008 waren Sie Direktor des Kunsthistorischen Museums und haben es aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Es gab große Ausstellungen, Neuerwerbungen, aber auch heftige Kritik an Ihrem Stil. Nun schreiben Sie ein Buch: Ist es Abrechnung, Rechtfertigung?
Wilfried Seipel: Weder noch. Es ist die Beschreibung eines wunderbaren Lebens. Ich bin jetzt achtzig Jahre alt, und kann in das Buch alles hineinlegen, was mir immer ein Anliegen war. Eine meiner Haupttriebfedern war, etwas zu vermitteln.
Sie haben sich selbst immer ein wenig wie ein Renaissancefürst inszeniert. Die Museumsdirektoren zu Ihrer Zeit waren insgesamt schillernder, man denke an Peter Noever oder Gerald Matt. Es war viel mehr los, aber wurden nicht auch Grenzen überschritten?
Nein, das glaube ich nicht. Dank Ministerin Elisabeth Gehrer sind die bis dahin ein wenig vor sich hindümpelnden Museen 1999 rechtlich unabhängig geworden, und die Direktoren waren plötzlich Geschäftsführer mit großem Freiraum. Mag schon sein, dass wir uns ein wenig als Museumsfürsten gebärdet haben. Das ist aber nicht zum Nachteil der Museen gewesen.
Die spektakulärste Geschichte Ihrer Amtszeit war der Diebstahl der Saliera 2003 – ein goldenes Prunkstück von Cellini aus dem 16. Jahrhundert, ein Salzfass. Der Dieb drang über ein Baugerüst ein, in die abenteuerliche Suche danach waren auch Sie selbst involviert. Der „Albtraum“, wie Sie ihn selbst bezeichnen, ging erst nach drei Jahren zu Ende, als der Dieb gefasst war. Sie gerieten da auch selbst ins Kreuzfeuer der Kritik. Haben Sie nun einen Zorn auf Journalisten? Zorn nicht, aber ich war verärgert, weil ich mich ungerecht behandelt gefühlt habe. Wegen des Baugerüsts hatte ich ja davor bei der Burghauptmannschaft wegen einer Alarmanlage angefragt. Das wurde ebenso abgelehnt wie eine Fenster-Vergitterung. Ich habe nach dem Raub meinen Rücktritt angeboten, aber die Ministerin meinte: „Sie können ja nicht neben jeder Vitrine stehen.“ Ich war dennoch geschockt, das war schließlich eines unserer wichtigsten Objekte.
Welchen Wert hat es?
Man hat sich damals auf 50 Millionen Euro geeinigt. Vielleicht liegt es jetzt schon bei 150 Millionen. Da der Goldwert nicht so bedeutend ist, haben wir uns damit getröstet, dass der Dieb das Kunstwerk nicht einschmelzen wird. Aber er hat Erpresserbriefe geschrieben, hat einmal fünf und einmal zehn Millionen Euro gefordert mit der Drohung, die Saliera in die Donau zu schmeißen. Da haben wir natürlich gezittert.
Warum reisten Sie mit einem Fremden nach Italien, der behauptet hatte, Sie gegen Geld zur Saliera zu bringen? Natürlich war ich erpicht, sie selbst zu holen. 6.000 Euro wollte er. Wir sind in der Nacht gefahren, ich am Steuer. Via Handy-Ortung wurde er als Betrüger entlarvt – und ich bin mit leeren Händen heimgekommen. Ich war aber immer überzeugt, dass das Fass irgendwann einmal wieder zurückkommen werde.
Der echte Dieb veranstaltete danach eine „Schnitzeljagd“ via SMS durch den Wienerwald, um unerkannt an Lösegeld zu kommen.
Mit seinem letzten SMS konnten wir eine SIM-Karte identifizieren. Das Handy war in einem A1-Shop auf der Mariahilfer Straße gekauft, der Täter dabei von der Videoüberwachung gefilmt worden. Weil sich einzelne Medien dann nicht mehr an das Stillhalteabkommen halten wollten, haben wir eine Pressekonferenz abgehalten.
Wenig später war der Täter dank des Fotos gefunden, aber Sie waren gerade in St. Petersburg.
Ja, und dort ruft mich der Ermittler Ernst Geiger an und sagt: „Ich glaube, wir haben ihn.“ Da sind sie gerade mit dem Dieb durch den Schnee zur Vergrabungsstelle im Wald gestapft. Ich bin sofort zurückgeflogen. Natürlich war ich im siebten Himmel. Wir haben die Saliera daheim ausgepackt, sie war fast unzerstört. Aber dann ging das Leid für mich erst richtig los.
Der Dieb wurde als Gentleman- und Gelegenheitseinbrecher gesehen. Haben Sie ihn je getroffen?
Nein, nur bei der Verhandlung. Ich ringe noch damit, ob ich ihn jemals aufsuche. Der Täter hatte das Fahndungsfoto von sich damals im TV gesehen und empört die Polizei angerufen, wie er dazu komme. Doch es war schnell klar, dass er es war. Die Polizei ging aber auf einen Deal ein, der mir danach auf den Kopf fiel: Er durfte seine Version von der „Gelegenheitstat“ erzählen. Darauf hieß es: „Der Seipel passt nicht auf, das ist a b’soffene Gschicht, da kann ja jeder hinauf.“ Bis heute hat die Wahrheit – schwerer, geplanter Raub und Erpressung – niemand richtig mitbekommen. Das schmerzt. Deswegen schreibe ich auch das Buch.
Bereuen Sie etwas?
Ich habe einen Fehler gemacht – ich war nach der Pressekonferenz mit den Nerven ziemlich fertig. Vor meinem Büro ist der Journalist eines Boulevardblattes gestanden und wollte ein Interview, das ich abgelehnt habe. Aber er hat dann „blutige Rache“ an mir genommen.
Dass Sie damals sehr bewegt waren, merkte man ja an den Tränen in Ihren Augen.
Das war ein Dauerbrenner. Bei jedem Jubiläum zeigte man das.
Sie hätten sich lieber jubelnd gesehen?
Jedenfalls nicht unbedingt als heulender Direktor. Aber das ist Medienpolitik: Man weidet sich am Leid des anderen. Auch wenn ich das jetzt spaßig erzählt habe: Das alles hat mich schon getroffen. Mir wurden Dinge vorgeworfen, für die ich nichts konnte. Daher habe ich der Journaille gegenüber eine gewisse Skepsis.
Es war aber auch der Rechnungshof, der Sie stark kritisierte.
1998 ging das Bundesmuseumsgesetz durch, und ich wollte sofort – zu ehrgeizig – in die neue Vollrechtsfähigkeit wechseln, ohne wirklich darauf vorbereitet zu sein. Der Rechnungshof war ja prinzipiell gegen diese Ausgliederung. Der Jahresabschluss 1999 war dann alles andere als zufriedenstellend. Da haben Sie sich draufgesetzt und mich fertiggemacht. Ich war der Böse.
Es gibt nun eine neue Bundesmuseen-Card um 99 Euro, mit der die Museen wieder ein wenig in den Schoß des Staates zurückkehren.
So ist es leider. Wir hatten Personalhoheit, konnten Firmen gründen, waren ein selbstständiges Unternehmen. Das war einer politischen Partei nicht geheuer.
Salon Salomon: Wilfried Seipel
Sie meinen die SPÖ?
Ja, wobei Claudia Schmid immerhin viel mehr Mittel als in der ÖVP-Zeit freigegeben hat. Aber sie hat auch begonnen, die Autonomie zu untergraben. Seither gibt es eine immer stärkere Gängelung.
Was halten Sie von der jetzigen Kulturpolitik?
Ich sehe keine Kulturpolitik. Sie beschränkt sich auf Maßnahmen zur höheren Ehre jener, die sie umsetzen – wie die unsinnige Bundesmuseen-Card, die auf Kosten der Steuerzahler geht, weil den Museen der Ausfall der Eintrittspreise ja ersetzt werden muss.
Ägypten bezeichnen Sie als Ihre zweite Heimat, warum?
Weil ich mich schon als 15-Jähriger mit den Hieroglyphen beschäftigt habe und meinen Klassenvorstand dazu gebracht habe, die Maturareise nach Ägypten zu machen. Seither liebe ich das Land, die Kultur, die Geschichte und die Menschen, obwohl die Politik natürlich schwierig ist. Ich kann nur empfehlen: hinfahren, anschauen!
Der Direktor 18 Jahre lang – ab 1990 – leitete Wilfried Seipel das Kunsthistorische Museum. Er war gefeiert und umstritten. In seiner Ära wurden die Museen unabhängig. Seipel ist Ägyptologe und Ururgroßneffe des bedeutendsten Kanzlers der Zwischenkriegszeit, Ignaz Seipel.
Saliera-Raub 2003 wurde das weltberühmte Kunstwerk des italienischen Bildhauers Cellini gestohlen und erst drei Jahre später unter abenteuerlichen Umständen gefunden.
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