Freispruch! Alfred Noll appellierte daher ans Jüngste Gericht
Eigentlich hätte die Urteilsverkündung am Sonntagabend der Höhepunkt sein müssen. Doch das erste Wochenende der drei „Wiener Prozesse“ – Thema waren die Maßnahmen der Regierung zur Bewältigung der Covid-Pandemie – endete nicht nur matt, sondern auch verwirrend: ohne echtes Urteil.
Der Fehler lag in der Dramaturgie: Ab 17.30 Uhr hielten die Vertreter der Anklage (Alfred Noll und Caroline Fischerlehner) beziehungsweise der Verteidigung ihre Plädoyers. Doch Michael Dohr und Amelie Kunczicky sollte nicht das Schlusswort überlassen sein: Barbara Tóth vom Falter durfte in ihrer ergänzenden Rede noch weitere Vorwürfe erheben. Aufmunitioniert schritten danach die sieben Geschworenen zu ihrer Urteilsfindung. Und das Publikum darbte. Nur ein Bruchteil hielt bis zur Verkündung um 20.30 Uhr durch: Viele Plätze im an sich ausverkauften Odeon blieben leer.
Bestechungsversuch
Andauernd war gefilmt und getickert worden, aber just die spannendsten Stunden fanden hinter verschlossenen Türen statt. Denn die Jury war sich nicht eins. Das eine oder andere Mitglied erzählte später von emotionalen Debatten, immer wieder neuen Abstimmungsrunden und einem Bestechungsversuch, um zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. Es half aber nichts: Die Regierung wurde freigesprochen. So kam es jedenfalls rüber. Zitat aus der verlesenen Begründung: „Österreich muss seine Lehren aus der Pandemie ziehen und Strukturen und Institutionen erschaffen, welche das Land für einen erneuten Pandemiefall besser vorbereiten. Daher wollen wir den Freispruch nicht als Freibrief für zukünftige Regierungen verstanden wissen.“
Es soll auch einen Schuldspruch gegeben haben, aber dieses Wort fiel nicht in der Gerichtssaal-Show. Was auch damit zusammenhängt, dass den Geschworenen vom Gericht nur Fragen vorgelegt worden waren. Ein einstimmiges Ja gab es zum Beispiel auf die Frage, ob die Bevölkerung durch die staatlichen Maßnahmen einen Schaden erlitten habe. Ein Ja erwartete die Dramaturgie wohl auch hinsichtlich der Verletzung des Grundrechts auf Privat- und Familienleben. Aber die Jury verneinte mehrheitlich. „Daher stellen sich die weiteren Fragen 5 bis 7 nicht.“ Wie diese gelautet haben, erfuhr das Publikum nicht einmal.
Fazit: Die Regierung hat Schaden angerichtet, aber auch weite Teile der Zivilgesellschaft gestützt. Noll war unzufrieden – und appellierte mangels anderer Alternativen ans Jüngste Gericht. In zwei Wochen geht es weiter: Milo Rau, Intendant der Wiener Festwochen, stellt die FPÖ an den Pranger – ab 7. Juni und damit just vor der Europaratswahl.
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