"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

APA12854998-2 - 23052013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT KI - (v.l.) Johannes Zirner als Dr. phil. Leo Glembay, Britta Hammelstein als Schwester Angelica, Sophie von Kessel als Charlotte und Manfred Zapatka als Ignaz Jaques Glembay während einer Fotoprobe des ersten Teils "Die Glembays" der Schauspieltrilogie "In Agonie (Die Glembays/Galizien/In Agonie)" im Volkstheater in Wien. Die Koproduktion der Wiener Festwochen mit dem Münchner Residenztheater hat am 23. Mai Premiere. +++ WIR WEISEN AUSDRÜCKLICH DARAUF HIN, DASS EINE VERWENDUNG DES BILDES AUS MEDIEN- UND/ODER URHEBERRECHTLICHEN GRÜNDEN AUSSCHLIESSLICH IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ANGEFÜHRTEN ZWECK ERFOLGEN DARF - VOLLSTÄNDIGE COPYRIGHTNENNUNG VERPFLICHTEND +++ APA-FOTO: THOMAS AURIN
Martin Kušej wuchtet bei den Festwochen drei ungleich gute Stücke auf einmal.

Kurzfassung: Falls Sie Karten für die Festwochen-Produktion „In Agonie“ besitzen, aber wenig Lebenszeit zu verschenken haben: Sie können in der ersten Pause gehen. Dann haben Sie das Wichtigste gesehen. Wenn Sie fleißig sind, dann bleiben Sie bis Pause zwei. Danach braucht es Tapferkeit.

Brutto sechseinhalb Stunden dauert Martin Kušejs theatralischer Kraftakt im Wiener Volkstheater. Gleich drei Stücke des bei uns kaum bekannten kroatischen Autors Miroslav Krleza stemmt, reißt, drückt der Intendant des Münchner Residenztheaters an einem Abend zur Hochstrecke, und diese Übung wirkt so sportiv, dass einem schon beim Zuschauen der Schweiß ausbricht.

Untote

„Die Glembays“ eröffnet den Theatertriathlon, und es ist der mit Abstand beste Text des Abends: Eine aus lauter Untoten bestehende Familie verwest vor sich hin, mordet, lügt, stiehlt, betrügt sich dem Ersten Weltkrieg entgegen, der Untergang und gleichzeitig Rettung bedeutet (das überschuldete Firmenimperium beruht auf Handel mit Sprengstoffen).

Dieser hemmungslose, ausufernde Text, der sehr an Tschechow, aber auch an Shakespeare erinnert, entfaltet eine wilde Sogwirkung. Auch Schnitzler fällt einem ein – nur dass Schnitzler üblicherweise mit zwei Toten und drei verbotenen Verhältnissen das Auslangen findet, während man bei Krleza mit dem Zählen der Leichen und Gspusis nicht nachkommt.

Hier tut es einem leid, dass Kušej jedem Text etwa 100 Minuten zugesteht – von der Geschichte dieser dahin modernden Familie hätte man gerne noch mehr erfahren. Stellvertretend für die sehr guten Schauspieler seien Manfred Zapatka und Johannes Zirner genannt, die einander in einem ödipalen Vater-Sohn-Gefecht verbal in Stücke reißen.

Hinreißend ist auch das Bühnenbild (Annette Murschetz): In grotesken Verrenkungen wanken die Figuren, wie lebende Museumsstücke, durch eine mit Möbeln vollgestopfte Halle, während durchs Dach schon der Regen rinnt, was aber niemand zu bemerken scheint.

Impressionen der Trilogie

"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB
"In Agonie": Sex, Gewalt und Müdigkeit

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE "IN AGONIE (DIE GLEMB

Krieg

Teil zwei („Galizien“) schließt zeitlich und thematisch direkt an und führt in die Schützengräben und Unterstände der Weltkriegs-Ostfront, wo Mitgefühl und Menschenwürde unter Schlamm und Blut nicht mehr zu erkennen sind. Auch dieser Text ist voll von aasigem Personal, auch dieser Text ist im Kern ein Duell: Ein sadistischer Oberleutnant und ein idealistischer Unteroffizier treten zum Vernichtungskampf an. Wie in „Die Glembays“ ist es der Kampf zwischen einem brutalen, auch sexuell hemmungslosen Übervater und einer empfindsamen Künstlerfigur (in Teil eins ein Maler, in Teil zwei ein Musiker). Norman Hacker und Shenja Lacher (wieder stellvertretend für das starke Ensemble genannt) spielen fantastisch.

Und auch diesmal ist das Bühnenbild großartig, es dominieren Leichen, Regen, Schlamm, der Körper einer unschuldig Gehenkten baumelt vom Schnürboden.

Das Manko dieses Textes: Er ist vorhersehbar und überraschungsarm. Regisseur Kušej versucht, dies mit Schrei- und Zumpferlzeigen-Theater und allerlei drastischen Gesten zu kompensieren, was auf Dauer ermüdet. Furios glückt ihm aber das Ende: In einem „Mexican Standout“, der an die Gewalt-Komik von Quentin Tarantino erinnert, töten einander alle Offiziere gegenseitig.

Geschwätzig

Teil drei („In Agonie“) ist dann ein Schnitzler’sches Kammerspiel, nur weniger interessant. Die Männer haben den Sprung von der Kriegswelt ins zivile Leben nicht geschafft. Eine Frau will sich emanzipieren, zerbricht aber an ihren Gefühlen. Die Handlung ist geschwätzig – und unlogisch: So eine starke Frau (Britta Hammelstein mit der besten Leistung des Abends) hält sich den Revolver an die Schläfe, nur weil der fade Liebhaber (herrlich schmierig: Markus Hering) noch eine andere hat?

Dies sind die längsten 95 Minuten des Abends.

Fazit: Eine andere Aufteilung wäre gerechter gewesen: Drei Stunden „Glembays“, eine Stunde „Galizien“, 30 Minuten „Agonie“. Ermüdeter, anerkennender Applaus.

KURIER-Wertung: **** von *****

Kommentare