Hamlet sinniert in der Gegenwart: Die Eierspeise der Prinzessin

Drei Personen stehen in einem dunklen Raum mit großen Fenstern.
Christiane Jatahy beeindruckt bei den Wiener Festwochen mit starken Bildern: „Hamlet – in den Falten der Zeit“ nach Shakespeare

Die Vorstellung mag ja reizvoll sein: Der Prinz von Dänemark ist eine Prinzessin – und damit ändere sich nicht nur der Blick auf die patriarchalische Welt, es eröffnen sich sogar Chancen für die Zukunft. Weil die ewige Wiederkehr der Gewalt durchbrochen wird. Doch leider: Auch in der feministischen Version von Christiane Jatahy will Hamlet den verhassten Stiefvater, Onkel Claudius, ermorden – und tötet versehentlich Polonius.

Die brasilianische Regisseurin hatte ihre reflexive, in der Gegenwart angesiedelte Hamletmaschine vor drei Monaten im Odéon-Théâtre de l’Europe von Paris mit dem Untertitel „Dans les plis du temps“ (In den Falten der Zeit) herausgebracht; noch inklusive Sonntag ist die Shakespeare-Überschreibung in französischer Sprache samt ein wenig Portugiesisch bei den Festwochen im Volkstheater zu sehen. Die Inszenierung beginnt äußerst packend. Hamlet trifft draußen Horatio, aus dem Off (im Zuschauerraum) ist ein besorgtes „Krieg droht“ zu vernehmen. Der Feldzug von Fortinbras interessiert Christiane Jatahy aber weniger: Im Laufe des zweistündigen Abends wird kurz in den TV-Nachrichten darüber berichtet.

Party bei Königs

Aber Hamlets Vater erscheint als geisterhafte Projektion auf den semitransparenten Vorhang an der Rampe. Die Tochter, dahinter auf einem Sofa sitzend, möge den faulen Mord an ihm rächen. Überwältigend groß spricht das herangezoomte Gesicht zu Hamlet – und direkt zum Publikum. Nahtlos geht es über zu einer rauschenden Party bei Königs im Bungalow mit beeindruckender Glasfront: Polonius und seine vormalige Schwägerin feiern Hochzeit, sie wirft den Brautstrauß und singt betörend „Can’t Take My Eyes Off You“.

Die Schauspieler auf der Bühne interagieren mit den nur projizierten Gästen. Angewidert lungert Clotilde Hesme herum. Irgendwann reicht es ihrer schwarz gewandeten Hamlet: Sie reißt den Vorhang herunter. Fortan steht die pubertierende Göre in Opposition zu den Eltern. Diese kochen (Basilikum steht bereit) und begreifen „Nothing Compares 2 U“ als Liebeslied, was Hamlet daneben findet. Später haut sie Eier in die Pfanne und verbrennt sich fast den Mund. Zwischendurch bricht aus ihr – wie in Exorzismusfilmen – eine tiefe Männerstimme.

Eine Person kniet auf einer roten Küchentheke und berührt mit den Händen einen Spiegel, der mit roter Farbe beschmiert ist.

Die Handlung wird abgekürzt und kommentiert, eine Szene abgeändert wiederholt, man fällt auch aus der Rolle. Ophelia erscheint, obwohl sie sich doch das Leben genommen hat. Nein, heuer wird sie nicht sterben. Alles wird immer uneindeutiger im Bungalow, für die Szene auf dem Friedhof braucht es eine Videoeinspielung. Man schaut Clotilde Hesme gespannt zu, den Schädel in der Hand imaginiert sie. Ganz schlau wird man aus der Interpretation aber nicht.

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