Dazwischen wirkt er abwesend, vielleicht auch genervt von den Litaneien und den „depperten Witzen“ der Jelinek. Aber er hört genau zu. Mitunter mischt er sich ungefragt ein: „Elfi, fang nicht schon wieder damit an! Lass die Toten ruhen!“ Und wenn sie sich fragt: „Warum sag ich das jetzt?“, dann stöhnt er: „Ich weiß es nicht.“
Natürlich sind das eigentlich Selbstgespräche. Und natürlich steht nicht er im Mittelpunkt: Samt dem Technik-Equipment auf einem Tischchen rotiert er nur als Trabant mit der Bühnenbild-Skulptur von Anja Rabes, einer Wohnhaus-Ruine. Hin und wieder wird die Toilette mit der absurden Fisch-Toilettenschüssel genutzt (etwa um eine Zigarette zu rauchen), aber zumeist steht Elfriede Jelinek vorne an der Rampe – und ereifert sich wortgewaltig.
Jossi Wieler hat die enormen Textmassen, „150 eng beschriebene Seiten“, um die Hälfte gekürzt – und die Tirade auf drei Schauspielerinnen verteilt, die nacheinander dreiviertelstündige Monologe halten. Sie sehen sich mit ihren leicht orangen Haaren zum Verwechseln ähnlich: Ausstatterin Rabes hat sie leicht jelinesk eingekleidet: weiße Bluse, blau-lila Pullunder und schwarze Hose.
Die Steuerprüfung
Linn Reusse macht den Anfang. Sie knallt wütend einen Aktenordner mit Belegen auf den Boden: „So, bauen wir mal meine Lebenslaufbahn. Hauptsache, ich muss sie nicht selbst noch einmal entlanglaufen. (…) Ich entziehe mich lieber selbst, bevor ich etwas hinterziehe.“ Elfriede Jelinek musste in Deutschland eine Steuerprüfung über sich ergehen lassen, und die Beamten müssen verstörend unangenehm, übergriffig gewesen sein. Die Schriftstellerin verschafft sich Luft: Ihr Text ist fast eine Chronologie der laufenden Ereignisse, in der Sekunde notiert. Und wie wir es von ihr kennen: Sie schweift ab, mäandert, ergeht sich in Sprachspielen, mahnt sich selbst, findet kein Ende und dann doch wieder zurück zum roten Faden.
Auch Paranoiker können verfolgt werden, stellt sie mittendrin fest. Und so räsoniert sie, von den Steuereintreibern verfolgt, über die Judenverfolgung, über die Schicksale in ihrer eigenen Familie. Elfriede Jelinek erzählt von ihrem Cousin Walter Felsenburg, der mit seiner Frau Claire flüchten musste, von deren Schwester Lotte, die den Holocaust überlebte, von dessen Vater Adalbert, der im KZ Dachau einen Arm verlor und sich nach Kriegsende das Leben nahm. Sie erzählt auch von ihrem geizigen Vater. Sie erregt sich über den „Scheiß-Inquart“ (NS-Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart) beziehungsweise über Henriette von Schirach, die von Bayern das Landhaus ihres Mannes zum Spottpreis kaufen und wenig später ums Doppelte verkaufen konnte. Aber ausgerechnet sie, die Jelinek, wollen sie ausnehmen ...
Jossi Wieler lässt Linn Reusse, Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff einfach machen: Sie bringen die Suaden mit viel Humor und auch Augenzwinkern. Wenn Haberlandt (vorgeblich) nicht weiter weiß, schaut sie der Souffleuse am Bühnenrand ins Textbuch hinein: „Hab ich eigentlich schon alles gesagt!“ Und weiter geht es mit der „Bilanz“, die Jelinek zieht. Verbucht werden auch Exkurse über Gurlitt, Anwälte, Pandemie, Flüchtlinge, Heimat ...
Die Psychoanalyse
Hin und wieder bemüht sich Wieler um ein bisschen Abwechslung: Mal spielt das mechanische Piano, mal geht das Saallicht an, mal dreht sich die Skulptur schneller. Mal legt sich eine Jelinek unter das Gerüst mit der Ruinen-Skulptur auf einen Teppich (als läge sie bei Freud auf dem Sofa) und spricht in die Kamera, dann werden die Gesichter auf die Wände der Ruine projiziert. Aber alles zusammen ist nur Beiwerk: Die Schauspielerinnen ziehen ohnedies in ihren Bann.
Nach zwei Stunden könnte Schluss sein. Denn Jelinek notiert lapidar: „Das Verfahren gegen mich wurde eingestellt.“ Aber dann folgt noch ein chorisches Finale. Das hat Kraft. Die beste Aufführung aber? Das ist so rätselhaft wie der elektronische Count-up auf der Bühne, der gegen Ende hin zu rasen beginnt.
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