In diesem Land ergänzt sich alles ganz wunderbar. Die FPÖ affichiert flächendeckend „EU-Wahnsinn stoppen“ – und die "Kronen Zeitung" titelte am Montag formatfüllend „Zensur-Wahnsinn endlich stoppen!“. Andreas Schieder (SPÖ) und Reinhold Lopatka (ÖVP) verwechseln mit Bestemm das politische Bündnis mit dem Kontinent: „Europa fair gestalten“, fordert der eine, „Europa. Aber besser“ der andere. Und Lena Schilling (Grüne) antwortet niedlich mit „Europa braucht Herz“. Eifrig formt sie aus ihren Händen Herzen (Herz statt Hetze!), das kann auch Helmut Brandstätter zusammen mit Anna Stürgkh (Neos): „Unser Europa hat dich lieb“.
Unterdessen wird zur „Langen Nacht der Kirchen“ eingeladen – am 7. Juni unter dem Titel „Am offenen Herzen“. Denn das Leben stünde, liest man im Programm, auf Messers Schneide. Parallel dazu operiert Milo Rau tatsächlich am offenen Herzen: Um 19.30 beginnt im Odeon, umgebaut zum properen Gerichtssaal, der zweite seiner drei „Wiener Prozesse“.
Die Aufarbeitung der Pandemie vor knapp zwei Wochen ließ die Menschen eher unbeeindruckt: Die mickrige Zahl der Postings auf derstandard.at (der Medienpartner tickerte drei Tage) schafft ein Harald Vilimsky mit einer einzigen Meldung. Das weiß auch Milo Rau. Und so stellt der Intendant der Festwochen mit einem Grinser die FPÖ an den Pranger: Die Anklage (gespielt von Alfred Noll) vertritt die Ansicht, dass der FPÖ, weil außerhalb des Verfassungsbogens, kein Anspruch auf Parteienförderung zukomme. Die Verteidigung hingegen – gewonnen wurde mit der Chemikerin Frauke Petry die ehemalige AfD-Vorsitzende – will den Nachweis erbringen, dass die FPÖ einfach zur gewünschten Parteienvielfalt beitrage.
Doch schon der Titel „Anschläge auf die Demokratie“ und der Begleittext vermitteln den Eindruck, dass es sich bei der Show um einen Schauprozess handeln dürfte: Das Urteil wird in Abwesenheit des Angeklagten gefällt. Am Sonntagabend – gleichzeitig zur Bekanntgabe der EU-Wahl-Ergebnisse. „Das Format ist absolut ergebnisoffen“, beteuerte Rau allerdings am Dienstag. Und Barbara Helige – die ehemalige Präsidentin der Richtervereinigung agiert für eine Gage von 3.000 Euro als Vorsitzende – meinte, dass die Veranstaltung keinen Einfluss auf das Wahlverhalten haben werde.
Dem Kreuzverhör stellen sich ein paar ehemalige oder pensionierte FPÖler (Ursula Stenzl, Friedhelm Frischenschlager), aber in erster Linie Kontrahenten (z. B. Stephanie Krisper von den Neos), Journalisten, Kabarettisten – und auch Ariel Muzicant. Der Ex-Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde hatte im KURIER kritisiert, dass Omri Boehm auf dem Judenplatz eine Rede hielt. Dramaturg Robert Misik lud ihn ein, weil die Menschen nicht mit Eiern werfen, sondern miteinander reden sollten.
Und der Korrespondent der FAZ fragte, warum nur der FPÖ der Prozess gemacht werde. Rau grinste erneut: „Die anderen kriegen auch ihr Fett ab!“ Sie koalieren ja recht gern mit der FPÖ ...
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