Doch die arglosen Theatermacher gingen einem gewissen Friedrich Mohr auf den Leim, der sie nach einem Gastspiel von Berlin in Berlin angesprochen haben soll. Er hätte ab 1943 für die Berliner gearbeitet, ab 1944 als Orchesterwart. Nach dem letzten Konzert – seinen Angaben zufolge am 14. April – hätten sich die Musiker entschlossen, den Trauermarsch aus Wagners „Götterdämmerung“ zu spielen: am 17. April, nach Instrumentengruppen in Bunkern verteilt, miteinander durch Funkleitungen verbunden; und dieses Zeichen der Hoffnung in hoffnungsloser Zeit sei vom Radio übertragen worden.
Mit festen Schritt
Mohr soll, heißt es, eine Art Reenactment vorgeschlagen haben. Und das Team um Yves Degryse stürzte sich begeistert in das Projekt. Fien Leysen filmte die ganze Zeit über das Entstehen, „the making of“, mit: Besprechungen, Chats, Begegnungen, Autofahrten, Interviews mit Friedrich Mohr und so weiter. Den leicht sächselnden Mann um einen Ausweis zu bitten, verzichteten sie. Und sie verschwendeten auch keinen Gedanken daran, dass ihr mit festem Schritt Stiegen steigender Informant, wenn er tatsächlich ab 1943 für das Orchester arbeitete, bereits 100 Jahre alt sein müsste.
So ist bereits von Anfang an vieles merkwürdig, wenn nicht gar zweifelhaft. Aber als gutwilliger Theaterbesucher, süchtig nach fantastischen Geschichten, will man betrogen sein. Und schaut neugierig zu, was die Gruppe auftischt. Vielleicht ärgert man sich auch ein bisschen. Denn zu sehen gibt es im Theater Akzent (noch bis 5. Juni bei den Wiener Festwochen) nicht viel mehr als eine mit Live-Aktionen ergänzte Filmvorführung, eben „The making of Berlin“. Der Titel ist doppeldeutig, denn die Doku will auch festhalten, wie die Gruppe Berlin arbeitet.
Nach etwa einer Stunde – große Überraschung, auch wenn es völlig erwartbar war – entdecken die Theatermacher zu ihrem Entsetzen, einem Schwindler aufgesessen zu sein. Aber schon viel zu viel Zeit und Geld wurde in das Projekt investiert, der „point of no return“ überschritten: Man beschließt, den Fake zu faken – und Mohr mit Martin Wuttke zu ersetzen. Er scheint geradezu prädestiniert, denn sein Adolf Hitler starb in „Inglourious Basterds“ von Quentin Tarantino nicht am 30. April 1945, sondern schon im Jahr zuvor in einem Pariser Kino.
Die Gruppe Berlin treibt also ein liebevolles Spiel mit Wahrheit und Fiktion, sie schlägt nette Volten, alles ist nur ein Fake, auch die Blauäugigkeit der Akteure. Und schlussendlich wird doch die Idee umgesetzt, dass Musiker in verschiedenen Räumen sitzen – und gemeinsam Wagner spielen. In Zeiten von Zoom ist das keine Hexerei. Solche Synchronkonzerte kennen wir aus der Corona-Zeit, als auch der Weltuntergang nahe schien. „The making of Berlin“, 2022 uraufgeführt, hat daher einen recht fahlen Beigeschmack.
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