„Das Vermächtnis“ ist eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Premiere. Regisseur Elmar Goerden über das Leid der Aids-Epidemie und Verletzlichkeit am Theater.
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Es ist ein riesiges Unterfangen. Ab heute zeigt die Josefstadt das international mehrfach prämierte Generationenstück „Das Vermächtnis“, eine groß angelegte Erzählung rund um vier Generationen schwuler Männer und ihr Leben in New York zwischen Selbstermächtigung, Aids-Epidemie und dem Blick der heutigen Generation auf diese Kämpfe. Das mit Pausen siebenstündige Werk basiert lose auf E. M. Forsters „Howard’s End“.
KURIER: „Howard’s End“ kennt man als üppig ausgestatteten Historienfilm. Was hat das damit zu tun?
Elmar Goerden: Es ist das Lieblingsbuch von Matthew López. Er nahm es als Bauplan für sein Stück, er hat die Figurenkonstellationen übernommen, manche Namen. „Howard“s End“ war für ihn ein Erweckungserlebnis.
Weil Forster selbst homosexuell war – und ungeoutet?
Er hat den ersten explizit schwulen Roman geschrieben, „Maurice“. Den hat er aber, testamentarisch verfügt, in seiner Schreibtischschublade liegen lassen. Gerade in der schwulen Community gab es immer starke Glaubenskriege zu Forster: Er galt als einer der Vorreiter, als Bezugspunkt. Aber im Gegensatz zu vielen anderen, die in den 1960ern schon für die Schwulenrechte gekämpft haben, hat er sich nie geoutet.
Das scheint ja das zentrale Thema in „Das Vermächtnis“ zu sein – weniger die Aufarbeitung der Aids-Epidemie, sondern die Komplexität und die Nuancen, mit denen die verschiedenen Generationen der homosexuellen Männer aufeinander schauen, einander auch bewerten.
Völlig richtig! Das nur anhand des Aids-Themas anzuschauen, unterschlägt die Komplexität des Stückes. Es geht im Grunde um vier Generationen und ihren Umgang miteinander, ihre Kultur, ihre Herausforderungen. Etwa die Generation, die in den 60er- und frühen 70er-Jahren in New York oder San Francisco angefangen hat, offen schwul zu leben. Und das noch unter extrem schwierigen Bedingungen.
Die aber werden von der jüngeren Generation weniger gefeiert denn sehr streng, eigentlich kritisch bewertet.
Ja, es wird ihnen vorgeworfen, dass sie sich in ihrer Community abgeschottet haben. Das wird im Stück verhandelt – und war auch in unserer Erarbeitung Thema. Marcello De Nardo und ich waren Mitte der 1980er-Jahre in New York. Wir haben den Einschlag dieser Epidemie hautnah miterlebt, was das angerichtet hat. Und mein Regieassistent ist 23 Jahre alt. Das ergibt spannende Gespräche.
Ich bin damals von New York nach Berlin gegangen. Das war wie ein Schlachtfeld, das vergisst man vielleicht heute. Es gab vollkommene Panik, keine zugelassene Therapie. Die Übertragungswege waren unklar, Medikamente kosteten 10.000 Mark für ein halbes Jahr. Was man auch vergisst: In Amerika hieß Aids am Anfang „Gay Cancer“, Schwulenkrebs.
Das war damals auch schon ein rechter, gegen Schwule gerichteter Kampfbegriff.
Ja. Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, was für ein Riesending es war, als Lady Diana im Spital einen Aids-Kranken umarmte. Die Generation danach ist dann ganz anders aufgewachsen, mit Safer Sex, quasi umstellt von Aufklärungsbroschüren. Und die jüngste Generation im Stück, die Mitte-20-Jährigen, haben ein ganz anderes historisches Bewusstsein.
Welches?
Die wissen schon, dass es das gab und gibt. Aber da geht es dann auch um Partikularinteressen innerhalb der schwulen Community. Es gibt sehr starke Fraktionierungen mit eigenen Ausschlusskriterien. Bis hin zu einer wirklich manchmal erstaunlichen Intoleranz gegenüber Leuten, die nicht genau in dieses Gruppenschema passen.
Das hat López ja selbst auch erlebt – ihm wurde vorgeworfen, dass er nur über privilegierte Weiße schreibt.
Er selbst hat eine Einwanderungsgeschichte, er weiß genau, worüber er schreibt und worüber nicht. Das macht das Stück ja so toll, es ist nicht tendenziös.
Der Tod macht jedenfalls keinen Unterschied.
Es gibt diese eine Szene kurz vor Schluss, in der eine Mutter – bei uns Andrea Jonasson – ihren Sohn im Sterben begleitet. López nimmt sich dafür die Zeit, die es braucht, das Sterben ihres Kindes minutiös zu beschreiben. López spannt einen großen zeitlichen Bogen – und beherrscht ihn auch.
Auch auf die Besucher wartet – mit sechseinhalb Stunden – ein großer zeitlicher Bogen. Das ist wie Binge-Watching von Serien.
Na hoffentlich! Serien haben einen großen qualitativen Schritt gemacht. In London arbeiten alle großen Dramatiker inzwischen im Writer’s Room von Serien. Und das ist ja kein Sechs-Stunden-Heiner-Müller-Marathon, wo man stundenlang zur Ader gelassen wird. Da ist eine Menge Schaulust dabei.
Apropos Besucher: Es gab Zeiten, da galt das Josefstadtpublikum als besonderes konservativ. Erzählt man das alles hier anders?
Nein! Aber es stimmt, das ist kein Selbstläufer in diesem Theater. In München oder in Berlin, wo ich herkomme, ist es kein Risiko, so ein Stück zu machen. Hier in der Josefstadt ist es eines. Ich bin Herbert Föttinger sehr dankbar, dass er das vorgeschlagen hat. Es ist das richtige Stück zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und meine Erfahrung mit dem Josefstadt-Publikum ist auch eine ganz andere.
Welche?
Eine gute! Es ist wichtig, dass man nicht sagt, es ist ein schwules Stück für ein schwules Publikum. Natürlich geht es an manchen Stellen explizit um schwule Inhalte und auch um schwule Sexpraktiken. Aber es geht um uns alle. Um Treue. Es geht um Ehe. Es geht um Beständigkeit, Verletzlichkeit. Das Sich-Betrügen. Das ist total menschlich. Und anders ist der Erfolg des Stückes auch nicht zu erklären. Und auch das Interesse der Schauspieler: Ganz viele wollten bei dem Stück mitmachen.
Obwohl es ein langer Probenprozess war.
Wir sind seit November zusammen, da ist viel auch Äußeres reingefallen. Die Entwicklungen in den USA nach der Wiederwahl von Trump ... Das Stück handelt vor der ersten Wahl Trumps, die Stimmung ist: Klar, Hillary wird Präsidentin. Das Stück war da prophetisch, auch darin zu zeigen: Minderheitenrechte sind nicht in Stein gemeißelt, die kann man ganz schnell wieder verlieren. Die ältere Generation sagt in dem Stück auch: Passt auf, dass euch das nicht wieder aus der Hand genommen wird. Wir haben das alles vom Probenraum aus miterlebt.
Wie beeinflusst das?
Ganz wunderbar finde ich an dieser Unternehmung ist, dass zum ersten Mal wir Männer angehalten sind, die komplette Klaviatur der Emotionen zu spielen. Das, was sonst immer bei den Frauenrollen bestellt und geliefert wird: Fragilität. Verletzlichkeit, Zartheit, tiefer seelischer Schmerz. Das war für die Männer eine Entdeckung. Und es gibt in diesem Stück, was ich sehr wohltuend finde, keinen einzigen Vertreter irgendeiner Art von toxischer Männlichkeit. Das macht etwas mit dem Probenklima.
Apropos: In der Zeit wurden auch die Vorwürfe gegen Herbert Föttinger öffentlich. Wie schauen Sie darauf?
Mich betrifft es natürlich in gewisser Weise nur am Rande: Ich habe immer das Privileg des Gastes. Meine Arbeit hier in der Josefstadt ist immer ein bisschen insular. Mein Anspruch an mich selber ist, beim Proben mit allen einen vollkommen angstfreien Raum zu schaffen. Es gibt bei mir keine Hackordnung, sonst geht so eine Arbeit auch nicht, zumindest nach meinem Dafürhalten nicht. Im Dienste der Kunst ist alles erlaubt? Diese Diskussion halte ich nicht aus. Das ist nicht meine Herangehensweise. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Menschen schlecht behandeln und guter Kunst. Das ist Blödsinn.