Katharina Grabmeier-Pfistershammer: Am grundlegendsten verändert hat sich, dass eine HIV-Infektion heute eine gut behandelbare, chronische Erkrankung ist. Wir können sie nicht heilen, wenn man sie früh diagnostiziert und behandelt, haben Betroffene eine weitgehend normale Lebenserwartung. Jemand, der einen positiven HIV-Test erhält und noch nicht an AIDS, also Symptomen, die durch die ausgelöste Zerstörung des Immunsystems auftreten, leidet, kann durch eine Therapie gesund gehalten werden. Das war in den Achtzigern anders: Damals hatte man keine gezielten Behandlungsoptionen und eine HIV-Infektion war eine mit Sicherheit zum Tode führende Erkrankung. Die Betroffenen sind von einer opportunistischen Infektion (Infektion, die bei einer gestörten Immunabwehr auftritt, Anm.) in die nächste gestolpert, bis das Immunsystem zusammenbrach
Immer wieder gelingt es vereinzelt, HIV-positive Menschen zu heilen. Dabei kommt eine Stammzelltherapie zur Anwendung. Warum wird dieser Ansatz nicht breit eingesetzt?
Was man dabei tut, ist potenziell lebensgefährlich. Man löscht das Immunsystem eines Menschen aus und gibt ihm ein neues, kompatibles Immunsystem. In der Phase vor der Transplantation sind die Patienten körperlich nahezu wehrlos gegenüber Krankheitserregern. Deswegen kommt eine Stammzelltherapie nur zum Einsatz, wenn sie wegen einer anderen Erkrankung, in der Regel einer Leukämie, notwendig ist. In den genannten Fällen hat man versucht, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und den Patienten ein gegen das Virus resistentes Immunsystem zu übertragen, welches keine Abstoßungsreaktion auslöst. Damit das funktioniert, muss man nicht nur einen kompatiblen Spender finden, sondern auch einen, der einen gewissen Rezeptor, den das HI-Virus gewöhnlich nutzt, um Zellen zu infizieren, nicht hat. Dadurch wird es für das HI-Virus schwieriger, Zellen zu infizieren. In einigen Fällen, wo der Ansatz so verfolgt wurde, hat das nicht geklappt. Das mag am Timing des Absetzens der HIV-Therapie zum Zeitpunkt der Transplantation liegen, dem Virus-Reservoir im Körper oder an der Fähigkeit des Virus auch andere Rezeptoren zu nutzen – wir wissen es nicht ganz genau. Bei einer Stammzelltransplantation kann es auch sein, dass sich das neue Immunsystem gegen den Empfänger richtet. Das sind schwer behandelbare Nebenwirkungen, die man sich für die HIV-Heilung aufhalst. Das ist kein Weg, der in der Breite der Betroffenen Sinn macht. Die HIV-Therapie, die wir haben, funktioniert außerdem sehr gut und macht wenig Nebenwirkungen.
Mit gängigen Medikamenten verfolgt man das Ziel, das Virus unter der Nachweisgrenze halten. Was macht es so schwierig, es gänzlich aus dem Körper zu eliminieren?
Das liegt am Virus. Viele Viren, denen wir ausgesetzt sind, werden nie in uns chronisch. Das HI-Virus kann aber in unseren Zellen sozusagen überwintern, indem es sich in unsere Erbsubstanz einschreibt oder Zellen an Stellen des Körpers infiziert, wo das Immunsystem nicht gut hinkommt. Wenn das Virus in einer Zelle schläft, wird an der Zelloberfläche kein Bestandteil des Erregers präsentiert – das Virus ist für die Immunabwehr unsichtbar. Auch Medikamente greifen die schlafenden Viren nicht an, weil sie sich nicht vermehren und das der Punkt ist, wo die Arzneien hemmend eingreifen. Über Blutmessungen ist dieses unsichtbare Reservoir schwer messbar. Das Virus kann immer wieder im Körper erstarken – das macht eine Heilung so schwierig. Außerdem ist das HI-Virus sehr mutationsfreudig, es verändert sich permanent. Deswegen kommt man in der Behandlung selten mit einer Substanz aus und die Entwicklung von Impfungen ist schwierig.
Gibt es neue Hoffnungsträger in der Behandlung?
Was konventionelle chemische Medikamente anlangt, ist ein Fortschritt, dass man schon jetzt nicht mehr täglich eine Tablette nehmen muss, sondern langwirksame Arzneien, die man etwa in den Muskel spritzt, alle acht Wochen. Für Menschen, die lebenslang eine Therapie durchlaufen müssen, kann das eine große Erleichterung sein.
Die neue halbjährliche Injektion von Lenacapavir soll auch effektiv vor einer Infektion schützen …
Das stimmt. Wir setzen den Wirkstoff in Österreich bei einigen wenigen Personen ein, die an HIV erkrankt sind und bei denen gängige Medikamente nicht mehr wirken. Dafür übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Anders ist es zu vorbeugenden Zwecken, da werden nur die monatlich rund 50 bis 60 Euro für die zu schluckende HIV-Präexpositionsprophylaxe erstattet.
Ist es realistisch, dass auch eine moderne Präexpositionsprophylaxe irgendwann bezahlt wird?
Wir haben jahrzehntelang gekämpft, um die oralen Medikamente gesunden Risikopersonen kostenfrei zur Verfügung stellen zu können. Bei Lenacapavir, dass 25.000 Euro pro Injektion kostet, wird das weitaus schwieriger sein. Zu spritzende Medikamente funktionieren aber viel besser als Prophylaxe, weil die Compliance einfacher ist.
Antikörpertherapien sind in der Medizin auf dem Vormarsch, auch bei HIV gibt es erste Ansätze. Was tut sich in dem Bereich?
Weil es so schwierig ist, das HI-Virus aus dem Körper zu entfernen, sind wir auf der Suche nach Optionen, die Betroffenen ein Leben mit dem Virus ermöglichen, ohne dass sie dabei Schaden nehmen. Hier kommen Antikörper ins Spiel. Ziel wäre, dass Patientinnen und Patienten Antikörper haben oder bilden, die in der Lange sind, den infektiösen Erreger abzubinden, sodass er seine Zielzellen nicht mehr erreicht. Dafür bräuchten wir breite neutralisierende Antikörper, die viele Subpopulationen des Hi-Virus abdecken. Allerdings ist die Herstellung von Antikörper-Präparaten aufwendig und teurer, als die von konventionellen Medikamenten.
Man geht damit auch in Richtung individualisierte Therapie ...
Ja, jeder HIV-Patient würde einen anderen Antikörper-Cocktail bekommen, der ihn langfristig dabei stützt, die passenden Antikörper gegen das Virus in seinem Körper selbst zu produzieren. Sein Immunsystem hätte dann die Kontrolle über die ihm gehörende Viruspopulation. Das wäre eine funktionelle Heilung. Ressourcenarme Länder, die die Hauptlast der HIV-Infektionen tragen und wo es keine Infrastruktur für solche Ansätze gibt, profitieren von solchen Forschungen kaum. Wir brauchen letztlich Heilungsansätze, die alle mitnehmen.
Sexuell übertragbare Krankheiten sind weltweit wieder auf dem Vormarsch, wie verhält es sich mit HIV?
Die jährlichen HIV-Diagnosen stagnieren in Österreich auf relativ hohem Niveau. Europaweit nehmen sexuell übertragene Infektionen wie Syphilis, Gonorrhoe und Chlamydien tatsächlich zu. Leider gibt es in Österreich keine wirklich gute Erfassung dieser Erkrankungen. HIV war lange ein Bremser sexuell übertragbarer Krankheiten, weil viele aus Angst vor einer Ansteckung beim Geschlechtsverkehr vorsichtiger waren und Kondome benutzt haben. Inzwischen hat HIV seinen Schrecken verloren, die Menschen sind Kondom-müder geworden. Wir sehen mit jedem Schritt nach vorne in der Bekämpfung von HIV und AIDS einen Anstieg bei anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen.
Welche Vorurteile und Stigmata bezüglich HIV halten sich nach wie vor hartnäckig?
Der wichtigste Übertragungsweg für eine HIV-Infektion ist der sexuelle – dafür gibt es solide Daten aus großen Studien. Viele Menschen sind im alltäglichen Kontakt mit HIV-positiven Personen immer noch gehemmt. Vielen ist nach wie vor auch nicht klar, dass eine HIV-Infektion gut behandelbar ist und ein Mensch, der gut therapiert wird, kein Risiko für andere birgt. Immer wenn sich viele vor etwas fürchten, entsteht ein Stigma. Deswegen sprechen Betroffene auch heute noch nicht gerne über ihre Erkrankung. Sie tendieren dazu, es niemandem mitzuteilen, weil sie unangenehme Erfahrungen im privaten, beruflichen oder medizinischen Bereich gemacht haben. Obwohl wir so viel Beruhigendes zu HIV kommunizieren können, kommen die Botschaften noch nicht so richtig in den Köpfen an.
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