Wien ist Lesehauptstadt

Wien ist Lesehauptstadt
Frankfurt hat die größte Messe, Wien die meisten Buchhandlungen.

Wenn kommende Woche die Buchmesse beginnt, wird Frankfurt für ein paar Tage wieder europäische Lesehauptstadt. Die restlichen 51 Wochen des Jahres aber hat Wien die Nase vorn: Keine andere deutschsprachige Stadt hat, gemessen an der Einwohnerzahl, so viele Buchhandlungen wie Wien mit 200 Geschäften. Deutsche Verleger seufzen vor Neid, wenn sie etwa die Wollzeile oder das Grätzel rund um den Stephansplatz entlang spazieren, wo alle paar Meter ein Büchergeschäft liegt.

Eine fixe Anlaufstelle für die geistige Nahversorgung Wiens ist Anna Jellers Buchhandlung in der Margaretenstraße. Bei ihr gibt’s Feinkost für den Geist und die Sinne, wie eine Episode von vergangener Woche zeigt. Da kam eine Dame in die Buchhandlung und antwortete auf die Frage nach ihren Wünschen: "Zuerst möchte ich ein bisschen riechen". Mit ihrem Spleen fürs Bücherschnuppern ist die Dame nicht allein. Die österreichischen Leser sind Traditionalisten und lesen am liebsten auf Papier Gedrucktes: Das eBook macht nur fünf Prozent des Umsatzes aus.

Eau de Papier Wer will, kann die olfaktorische Lust am Buch jetzt sogar per Flasche befriedigen: "Paper Passion. Perfume For Booklovers" heißt das Parfum, das der Berliner Parfumeur Geza Schön entworfen und der Göttinger Steidl Verlag, der unter anderem Günther Grass verlegt, herausgebracht hat. Es handelt sich dabei nicht etwa um einen Raumduft, sondern um ein Parfum fürs Handgelenk – das nach Papier und Druckerfarbe riecht.

Das Papier-Eau de Cologne könnte in Wien ein Renner werden. In Vorarlberg weniger: Dort gibt es laut Wirtschaftskammer nur rund 15 "echte" Buchhandlungen – also keine Gemischtwarenhändler, die nebenbei auch Wanderführer verkaufen.

Anna Jeller nennt drei Gründe, warum es Wiener Buchhändlern besser als deutschen geht: Das bessere Vertriebsnetz, die günstigeren Mieten und die Schulbuchaktion, die es in dieser Form in Deutschland nicht gibt.

Und der klassische Buchhandel macht hier, Amazon hin oder her, noch immer den Großteil des Geschäftes: Online werden in Österreich bis zu 18 Prozent der Bücher gekauft, schätzt der Fachverband für Buch- und Medienwirtschaft. Genauere Zahlen gibt es nicht, sagt Obmann Michael Kernstock: Dieser "amerikanische Onlinehändler" – das A-Wort nennt der nicht – gebe keine genauen Auskünfte. Doch das Online-Geschäft dem großen Amerikaner zu überlassen, kommt für immer mehr österreichische Buchhändler nicht in Frage: Viele von ihnen bieten Online-Shops an, die gut angenommen werden.

Jammern darf man aber immer. Der Umsatz stagniert, 2013 hat der Buchhandel 700 Millionen Euro erwirtschaftet. Inklusive Schulbuch und Verlagswesen sind es rund 1,7 Milliarden. Am meisten gekauft wird Belletristik (vor allem von Frauen), gefolgt von Sachbüchern (hier schlagen laut Statistik Männer zu). Ein Plus gibt es bei Kinderbüchern: Trotz digitaler Spielzeugwelt verzeichnen sie jährliche Umsatzsteigerungen von bis zu fünf Prozent.

In den hippen Grätzeln Wiens kennt man seine Buchhändler – besser: seine Händlerin: Frauen wie Anna Jeller (Anna Jeller Buchhandlung ) , Brigitte Salanda (Buchhandlung a.punkt), oder Rotraut Schöberl (Leporello). Petra Hartlieb (Hartliebs Bücher) berichtet gar in Buchform von ihrem Geschäft ("Meine wundervolle Buchhandlung"). Doch auf du und du mit dem Buchhändler, wie es die Kampagne "Ihr Buch hat ein Gesicht – Wiens Buchhandel hat viele" vermittelt, sind noch immer zu wenige Österreicher. Bücher kaufen ist für viele höchstens zu Weihnachten Fixpunkt. Und laut Statistik verbringen die Österreicher im Schnitt fünf Minuten pro Tag mit einem Buch. Genauso viel Zeit, wie sie für Haustierpflege aufwenden.

Wien ist Lesehauptstadt

Es ist ein Familientreffen der besonderen Art: Die weltweit größte internationale Messe für Bücher macht Frankfurt vom 8. bis 12. Oktober zum Treffpunkt für Autoren und Verleger, Buchhändler und Leser aus der ganzen Welt. Mehr als 7000 Aussteller aus dem ganzen deutschen Sprachraum und darüber hinaus werden erwartet, und, ganz wie in es in der Familie üblich ist, hat man einen Ehrengast – und einen gemeinsamen Feind.

Ersterer heißt diesmal Finnland, die Eröffnungsrede hält die finnisch-estnische Starautorin Sofi Oksanen. Gemeinsamer Feind eines Großteils der Buchbranche – Abweichler gibt’s in jeder Familie – ist Amazon. Proteste gegen den US-Versandhändler bestimmen auch Auftritt der IG Autorinnen und Autoren, an deren Stand 600 literarische Neuerscheinungen österreichischer Autoren aus österreichischen Verlagen präsentiert werden.

Bei der Zahl teilnehmender heimischer Verlage gibt es mit 108 Ausstellern einen neuerlichen Rückgang. 2013 waren es noch 130 Aussteller, 2011 gar 158 Verlage.

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