Wenn Google nicht mehr hilft

Die Kritik, dass es an Österreichs Schulen zu wenig Literatur gibt, wird lauter.

Elfriede Jelinek will es. Arno Geiger will es. Barbara Frischmuth, Peter Turrini, Michael Köhlmeier und Marlene Streeruwitz wollen es auch: Ein Schulfach namens "Deutsch und Literatur".

100 österreichische Schriftsteller und Schriftstellerinnen unterstützen die Initiative der IG Autoren zur Umbenennung des Schulfaches "Deutsch". Eine Umbenennung , die dazubeitragen soll, einen breiten Diskurs über Literatur in Gang zu setzen. Nicht zuletzt durch die schriftliche Zentralmatura werde diese an den höheren Schulen stiefmütterlich behandelt, so die Autoren.

Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek kann den Tadel nicht nachvollziehen. Literatur sei nun Teil der standardisierten Reifeprüfung und das sei gut und genug so. Doch die Kritik, dass es an Österreichs Schulen eine immer oberflächlichere Beschäftigung mit Literatur gibt, wird immer lauter.

"Goethe wird man künftig vielleicht noch kennen, aber Büchner oder Kleist nicht mehr. Die Literatur verschwindet aus dem Unterricht", lautet der vernichtende Befund, den die Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl vor Kurzem im KURIER stellte. Schon jetzt merke man an der Germanistik, dass nun Maturanten an die Uni kämen, die sich erst hier mit Dingen beschäftigen, die man früher in der Schule gelernt hat. Statt Büchner und Kleist geht es dort jetzt um "Kompetenzen": Zu den Maturaaufgaben der Zentralmatura Deutsch gehört das Verfassen eines Leserbriefes.

Geisterstunde

"Skills" und "Kompetenzen" statt klassischer Bildung: Der Kanon der klassischen Literaturen, die profunde historische Ausbildung oder die Wertschätzung der elaborierten Sprache gelte als "Bildungsballast", der der ökonomischen Rentabilität geopfert werde. Einziges Ziel sei die richtige Platzierung der "Ich-AG", wettert Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem neuen Beitrag zum Thema Bildung. Die Streitschrift "Geisterstunde" (Zsolnay, 18,40 €) ist eine emotionale Brandrede, die einen auf Grund ihrer Polemik stellenweise fast schmunzeln ließe – würde man sie nicht als so erschreckend wahr empfinden. So schildert Liessman Eindrücke aus philosophischen Lehrveranstaltungen, wo Studenten Anspielungen aus einem biblischen Kontext nicht mehr verstünden – da helfe auch Google nicht mehr.

"Liessmann hat recht. Seine Leidenschaftlichkeit ist richtig", pflichtet Germanistik-Doyen Herbert Zeman bei. Seit bald 45 Jahren unterrichtet Zeman an der Universität Wien. Manche Lamenti hört er seit Jahrzehnten. "Ich habe Deprimierendes erlebt. Man hätte ununterbrochen auf den Tisch hauen können," sagt Zeman. Nun jedoch habe man einen neuen Tiefpunkt erreicht: "Jetzt ist es so schlimm wie nie! Einerseits ist die Ausbildung der Lehrer infrage zu stellen, andererseits der Lehrplan! Die Kenntnisse, aber auch die Vermittlung der Literatur an den Schulen werden immer beklagenswerter."

Das historische Bewusstsein werde in den Hintergrund gedrängt, der Gesamtzusammenhang sei verloren gegangen. "Dazu kam die Mode der werk-immanenten Interpretation: Man nehme ein Gedicht und setze sich davor hin. Das ist zu wenig. Wie soll man die historischen Faktoren erkennen?" Nicht zuletzt deshalb begann Zeman vor Jahren sein Mega-Projekt "Literaturgeschichte Österreichs", das 1996 erstmals und nun in überarbeiteter Auflage herauskam: "Kanon und historische Einordnungen waren nicht mehr en vogue", geißelt Zeman wissenschaftliche Methoden. Ganz dem Kulturpessimismus will er jedoch nicht anheim fallen: "Ich schwimme gegen den Strom."

Der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch hat am Mittwochabend zur Eröffnung der Buchmesse "Buch Wien" der EU gehörig die Leviten gelesen. Er vermisse in der aktuellen Situation Verständnis und Unterstützung für die Ukraine, sagte er in seiner "Der Preis der Werte oder unsere Dissonanzen" betitelten Eröffnungsrede. Sein Fazit: "Ganz ungewollt sind wir zu Ihren Gewissensbissen geworden."

Im Anschluss an die nur für geladene Gäste zugängliche Eröffnung wurde die Halle D der Messe Wien für das Publikum und eine "Lange Nacht der Bücher" geöffnet. Bis Sonntag präsentieren rund 300 Aussteller aus zwölf Nationen auf 8.800 Quadratmetern ihre Produkte, die nicht notwendigerweise Bücher sein müssen. So werden u.a. auch "Karikatur-Buchstützen" oder "Nachtkerzen"-Pflegeprodukte angeboten.

Die siebenten Ausgabe der Buchmesse (im Vorjahr wurden 34.000 Besucher gezählt) präsentiert sich aber auch multikulturell und plurireligiös, so finden sich neben dem heuer im Umfang reduzierten Stand des Königreiches Saudi-Arabien auch diverse Kulturinstitute oder ein "christliches Gesundheitswerk" unter den Ausstellern und proklamiert die Ahmadiyya Muslim Community "Liebe für alle, Hass für keinen". Erstmals ist die großzügige Messebuchhandlung im Eingangsbereich angesiedelt, um die Umsetzung des Ratschlags des Buchhandels-Präsidenten besonders leicht zu machen: "Gehen Sie in eine Buchhandlung und kaufen Sie ein Buch. Sie werden sehen, wie gut Ihnen das tut!"

Ein Jahr andere Wirklichkeit

"Demnächst, in nur neun Tagen, ist es ein Jahr her, dass wir in eine andere Wirklichkeit geraten sind", begann Andruchowytsch seine Rede. "Noch vor einem Jahr waren wir ganz woanders. Heute aber befinden wir uns in einem ausgewachsenen Konflikt, dessen Ende nicht absehbar ist, in einem hybriden Krieg mit tausenden Gefallenen, Verwundeten und Vermissten. (...) Manchmal erschien dieses Jahr wie ein endloser Horrorfilm. Manchmal als endloser Albtraum."

Vor 23 Jahren habe die Ukraine aufgehört, juristisch ein Teil der Sowjetunion zu sein, faktisch kämpfe man immer noch "um das Recht auf diesen Bruch". "In diesen 23 Jahren wurde im postsowjetischen Raum kein einziger Konflikt gelöst. Aber was heißt nicht gelöst - das größte und einflussreichste Land dieses Raums, das doch nach Befriedung und Aussöhnung streben sollte, tut selbst alles, um Kriege anzufachen, es organisiert sie ununterbrochen."

"Während der letzten 23 Jahre hat sich unter den Ukrainern die feste Überzeugung gebildet, dass es für uns keine bessere Alternative als die europäische gibt. Dass dieses Verständnis sich bei den meisten Ukrainern erst allmählich durchgesetzt hat, ist nur natürlich. Es ist gereift, es reift noch immer. Ja, wir waren auf der Suche nach uns selbst, haben viel und oft geirrt", sagte Andruchowytsch. Doch Europa und die Ukraine hätten kaum mehr Berührungspunkte. Europa sei "zu einer Zone des Wohlstands, Komforts und der Sicherheit geworden, oversecured, overprotected, overregulated", während "die Ukraine in eine Zone von Tod und Grausamkeit geraten ist".

Viele Putinversteher

Seine deutschen Freunde verbesserten ihn immer wieder "geduldig wie Erwachsene ein Kind": Sage er, in der Ukraine herrsche Krieg, sprächen sie von Krise, nenne er den russischen Präsidenten einen Feind, hießen sie diesen einen Partner. "Aus meinen unzähligen Gesprächen im Westen und vor allem in Europa geht hervor, dass man uns nicht nur nicht versteht, sondern, schlimmer noch - dass man gar nicht versucht uns zu verstehen. Stattdessen treffe ich viel zu häufig Leute, die Putin verstehen. Offenbar fällt es den Europäern leichter, ihn zu verstehen als uns. Es bleibt eine schmerzhafte Frage, warum dem friedlichen politisch korrekten Europa der Aggressor näher und daher verständlicher erscheint als das Opfer seiner Aggression. Ich habe einen bösen Verdacht: Die EU fürchtet die Ukraine. Die EU hat es auch ohne die Ukraine nicht leicht, und jetzt auch noch dieser failed state mit seinem schlechten Karma. (...) So ein Land hält man besser in sicherer Entfernung, überlegen die Europäer."

Die Ukrainer seien auf dem Maidan für grundlegende Werte eingetreten, für Freiheit in Gleichheit. Angesichts einer zynischen Geopolitik bliebe nur, "uns zu verteidigen - verzweifelt und, um ehrlich zu sein, absolut einsam. Gebe Gott, dass diese Einsamkeit nicht, wie im Roman, hundert Jahre dauert. So lange halten wir nicht durch", sagte Juri Andruchowytsch.

Unter den Gästen der Eröffnungsveranstaltung war auch Ex-Kulturministerin Claudia Schmied, von Benedikt Föger, dem Präsidenten des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels, als "sehr geehrte Frau Bundesminister" begrüßt. Föger nannte den Buchhandel "eine selbstbewusste Branche", plädierte für einen kreativen Umgang mit den eigenen Daten im Internet ("nehmen Sie das Internet lieber selbst in die Hand, als sich an der Nase herumführen zu lassen") und erteilte dem "Ruf nach einer Gratis-Kultur" eine klare Absage. Dem Eröffnungsredner Andruchowytsch versicherte er, dass man in Österreich großen Anteil an der Ukraine nehme, die emotional im Herzen Europas liege: "Wir wünschen uns ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union."

INFO: www.buchwien.at

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