Was Peter Handkes Suche nach "Wahrheit" heute schwer genießbar macht
Es ist eine in jeder Hinsicht elende Debatte, die sich über die Literatur gestülpt hat.
Der österreichische Autor Peter Handke bekommt am Dienstag in Stockholms Konzerthaus den Nobelpreis überreicht. Dass ihm dieser zugesprochen wurde, hat hohe Wellen geschlagen, die sich jetzt wohl noch aufbauschen werden.
Diese Empörungswellen formen sich aus ehrlicher Betroffenheit, selbstgerechtem Zorn, aus literarischem Unverständnis einerseits und einem Unverständnis gegenüber dem Leid von Menschen andererseits. Es gibt in der Debatte keinen Gewinner, es gibt aber viele Verlierer.
Im Schlaglicht
Einer ist Peter Handke selbst. Das grelle Schlaglicht, das ihn nun trifft, entblößt den Literaten auf eine schwierig zu konsumierende Art – obwohl er es gerade dort, wo sich nun die Debatte entzündet, gesucht hat. Handke hat in seiner Literatur (siehe Essay rechts) und in manchem nun wieder zitierten Interview sein Werk an die Realität gedockt. In dieser Realität nun gibt es betroffene Menschen – von diesen wiederum will der Autor aber nichts wissen. Er wollte etwas über Serbien sagen, nun mag er nicht mehr drüber reden. Schon gar nicht mit Andersmeinenden.
Was er sagen wollte, ist wiederum weit verhuschter, als es die Debatte erscheinen lässt. Handke wollte eine Art Gegenerzählung zum Kriegs-Konsens darstellen. Und hat diesen Konsens hinterfragt – und sich in einem eigenen Konsens verfangen, ohne Rücksicht auf andere.
Er nahm etwa den „Müttern von Srebenica“, also jenen Frauen, die auf das serbische Massaker hinweisen, „die Trauer nicht ab“. Und er lieferte ein nachhallendes Bild ab, das jede seitenlange Differenzierung in der Literatur natürlich übertrumpft, mit dem Zettel in der Hand am Grab Slobodan Milosevics stehend, eine Rede haltend.
Ebenso beklemmend wie das Echo der Serbienreisen Handkes aber ist der Gegenkonsens jener, die plötzlich die Literatur als Debattenfeld entdeckt haben – und an allen Komplexitäten vorbei zu festgemeißelten Lösungen für die durchaus komplexen Abwägungsherausforderungen kommen.
Vor allem in der Onlinediskussion kippte die sachlich berechtigte Kritik an Handke rasch in eine kompromisslose Ausstoßungseinigkeit über einen unbequemen Autor. Und das durchaus von Seiten, die sonst jene Sorgsamkeit und Ausdifferenzierung einfordern, die die Kultur an heiklen Orten braucht.
Das wurde einigen Kulturschaffenden zu recht unheimlich genug für einen widersprechenden Aufruf gegen diese verbale Verurteilung.
Und ein Verlierer ist auch die Schwedische Akademie – die ihr Bestreben, nach dem explosiven #MeToo-Skandal den Preis in ruhigere Gewässer zu führen, absurd versenkt hat.
Und jetzt?
Jetzt also bekommt Handke den Nobelpreis; was die kommenden Tage neben den Terminen noch so bringen, wird auf jeden Fall Wellen schlagen.
Dann wird es Zeit für ein Resümee, in Ruhe. Und für eine Abkehr von den Gewissheiten, die in der heißt geführten Debatte zumeist zu Unrecht gefasst wurden.
Was bleiben wird von der Debatte: Handke war, und das ist ein bitterere Nachgeschmack, in seinen Serbienexkursen wirklich Avantgarde. Er hat früh etwas gemacht, das heute jeder Narr mit Onlinezugang macht: Er glaubte, in Serbien zu einer Wahrheit vordringen zu können, die „der Mainstream“, „die Medien“, „das System“ (huch) ihnen verschwiegen haben. So würde es einer jener Trolle formulieren, die sich heute durch das Internet wühlen – und glauben, dort zu einer Weltdurchschauung abseits des Konsenses vorgestoßen zu sein. Dass etwa die Welt doch flach sei, egal was „die Wissenschaft“ sagt, dass der Klimawandel eh nicht echt oder Hillary Clinton Chefin eines Kinderpornoringes sei.
Derartige „Das wird man ja wohl noch fragen dürfen“-Ausscherer rütteln aus einem Extremismus der Mitte heraus an jenem Konsens, auf dem das fragile Fundament der Demokratie ruht. Handke hat aus einer derartigen Geisteshaltung nobelpreiswürdige Literatur geschaffen. Dass eine solche von ihm (vermittels Kunst) legitimierte Haltung inzwischen zum zerstörerischen Fluch der Gegenwart geworden ist, macht diese schwieriger zu konsumieren.
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