Warum "Sound of Music" in Österreich fast niemand kennt
Julie Andrews dreht sich auf einer österreichischen Bergwiese mit weit ausgebreiteten Armen um die eigene Achse und singt das Lied „The Sound of Music“. In Amerika kannte diese Szene über Jahrzehnte hinweg jedes Kind.
Den dazugehörigen Kultfilm hat sich der Wiener Life Ball dieses Jahr als Motto verschrieben und damit eine weltweit bekannte Marke angezapft, die noch dazu einen starken Österreich-Bezug hat. In der Guinness-Liste der erfolgreichsten Filme aller Zeiten liegt die Musical-Verfilmung aus dem Jahr 1965 mit 2,5 Milliarden Dollar (inflationsbereinigt) auf Platz 5.
Das wirkt sich auch touristisch aus: Im Bundesland Salzburg, wo der Film hauptsächlich spielt, gehen jährlich rund 650.000 Nächtigungen auf das Konto von „Sound of Music“-Fans. Salzburg wird in Amerika und Asien mit der Postkarten-Idylle aus dem Film assoziiert, teilweise sogar stärker als mit Mozart.
In Österreich kein Weihnachtsschinken
Die Österreicher identifizieren sich mit dem Welterfolg hingegen gar nicht. Hierzulande wissen zwar viele, dass das ein erfolgreicher Film über Österreich und die Trapp-Familie ist, aber gesehen haben ihn bisher nur wenige. Beim ORF war zu erfahren, dass „Meine Lieder, meine Träume“, so der deutschsprachige Titel, erst am 25. Dezember 2000 zum ersten Mal den Weg ins Programm fand und seither auch nur drei Mal gezeigt wurde. Im angloamerikanischen Raum gilt der fast dreistündige Film hingegen noch heute als klassischer Weihnachtsschinken.
Auch Life-Ball-Gründer Gery Keszler hat den Film "wie viele Österreicher lange ignoriert“ und erst vor drei Jahren auf einem Flug nach New York gesehen. Aber woran liegt die augenscheinliche Ignoranz gegenüber einem Film, der beständig Bilder aus Österreich in die ganze Welt exportiert?
Naserümpfen
Film-Experte Alexander Horwath nennt mehrere Gründe, die eine Rolle spielen könnten. Ein populäres Argument sei, „dass die Menschen den Kitsch- und Fantasy-Charakter der Story fernab der Realität hierzulande viel schneller durchschauen, oder eher eine Distanz dazu einnehmen. Auch der Kulturbetrieb und Journalisten halten sich beim Gedanken an ‚Sound of Music‘ ein bisschen empört die Nase zu. Nach dem Motto: So stellt sich Hollywood halt Salzburg, das Salzkammergut und die österreichische Zeitgeschichte vor.“
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Der fünffach oscargekrönte Film von Regisseur Robert Wise hatte in den österreichischen Kinos keinen Erfolg. Auch das erfolgreiche Broadway-Musical von Rodgers und Hammerstein aus dem Jahr 1959, das dem Fox-Klassiker zugrunde liegt, war damals in Österreich kaum bekannt. „In den USA hingegen war bereits die Musicalversion extrem beliebt und Julie Andrews schon ein Superstar“, erklärt Horwath. „Es kommt natürlich auch eine Fantasievorstellung von Mitteleuropa dazu, und die Amerikaner als Gewinner des Krieges, die eine glücklich ausgegangene Auswanderergeschichte rund um die beginnende Nazizeit positiv wahrnehmen konnten, während das in Österreich und Deutschland so nicht der Fall war."
Österreich hatte eigenes Bild von den Trapps
Am Stoff alleine kann es aber nicht liegen, dass der Film im deutschen Sprachraum ein Flop war. Die wahre Geschichte der Trapp-Familie, in die eine angehende Nonne einheiratete, die letztlich mit dem verwitweten Baron von Trapp und dessen sieben Kindern in die USA emigrierte und dort große Erfolge feierte, war in der Fünfziger Jahren in Deutschland und in Österreich durchaus mehrheitsfähig. Die beiden Filme „Die Trapp-Familie“ (1956) und „Die Trapp-Familie in Amerika“ (1958) waren Meilensteine der großen Heimatfilm-Ära.
Warum interessierte sich dann kaum jemand für die Version aus Hollywood? Horwath: „Wenn man das Gefühl hat: Wir haben das eh, das gehört uns, wir haben das im Kino gerade gesehen, dann sagt man sich vielleicht: Wozu brauche ich noch die amerikanische Version? Ich muss mir das nicht noch einmal mit US-Schauspielern ansehen. Christopher Plummer und Julie Andrews stinken hier natürlich ab gegen damalige Größen wie Josef Meinrad, Hans Holt und Ruth Leuwerik.“
Anti-Amerikanismus
Auch wenn viele US-Filme damals schon sehr erfolgreich am deutschsprachigen Markt liefen, konstatiert Horwath dennoch „einen unterschwelligen Anti-Amerikanismus bei bestimmten Generationen von 1945 bis heute. Man hat zwar Populärkultur, Kaugummi und Konsumkultur aufgenommen, durch die Gesellschaft zieht sich aber dennoch so eine Vorstellung von den ‚depperten Amerikanern‘ und ihrer Vorstellung von Kultur. Und wenn dann gerade eine österreichische Geschichte das Thema ist, dann sagen sich die Leute vielleicht: 'Ich glaub‘, das kann ich mir sparen.'“
Sehr amerikanisch ist der ungewöhnliche Schluss gestaltet. In der Salzburger Felsenreitschule gibt Baron von Trapp, der Jahrelang aus Trauer über den Tod seiner ersten Frau das Singen verweigert hatte, im Jahr 1938 bei einem Chorwettbewerb das Lied „Edelweiss“ zum Besten. Einerseits, um codiert seine heimliche Heimatliebe zu Österreich zu zeigen. Andererseits, um die anwesende Nazi-Prominenz zu düpieren. Denn während die Jury anschließend die Sieger des Wettbewerbs kürt, gelingt der Familie Trapp die Flucht über die Berge. Direkt in die Schweiz, was von Salzburg aus freilich nicht möglich ist.
Diese geografische und historische Unschärfe (die Trapps flohen in Wahrheit mit dem Zug nach Italien) hätten die Österreicher dem Film wohl gerade noch verziehen. Dass „Edelweiss“ nichts mit traditionellem heimischen Liedgut zu tun hat, und von Fans des Musicals zum Teil mit der österreichischen Bundeshymne verwechselt wird, schon weniger.
Nazithema war kein Problem
Dass die beginnende Nazizeit in Österreich thematisiert wird, wäre einem Erfolg des Films hierzulande nicht entgegen gestanden, meint Horwath, „die Trapps konnte man ja als Musterfamilie der Ständestaat-Ära ansehen.“ Baron von Trapp war bis zu seinem Bankrott als ehemaliger Kapitän der k.u.k.-Marine ein Mitglied der damaligen Zwischenkriegs-Elite, die singende Trapp-Familie wurde sogar vom Ständestaat-Kanzler Kurt Schuschnigg gefördert.
„In den Fünfziger Jahren bis mindestens 1968 hatte die damals dominierende ÖVP daran mitgewirkt, dass man sich nicht besonders kritisch mit der Zeit vor 1938 beschäftigt hat, alle konnten sich darauf einigen, dass die bösen Nazis von außen gekommen sind und unser friedliches Österreich zerstört haben“, sagt Horwath. „Dass das Land damals schon vier Jahre lang eine Diktatur war, hat niemand so deutlich gesagt, in diesem zeitgeistmäßig angenehmen Sinn konnte auch der Heimatfilm mit Holt, Meinrad und Leuwerik darauf Bezug nehmen.“
Der US-Film rüttelte überhaupt nicht an diesem Konstrukt der Nachkriegszeit, als sich die meisten Österreicher als Opfer des „Anschlusses“ sahen. "Es handelt sich also keinesfalls um eine böse Geschichtslektion, die die Österreicher halt nicht annehmen wollten“, sagt Horwath. Auch die Hollywood-Version transportierte ein im Grunde positives Bild von Österreich.
Noch ein bisschen heile Welt
Filmhistorisch verankert Horwath „The Sound of Music“ in der „Spätphase des Versuchs, mit Krampf die heile Welt zu erhalten, in einer Zeit, in der sich andeutungsweise schon eine jüngere, modernere, zeitgenössischer agierende Filmindustrie zu Wort meldet.“ Mitte der Sechziger Jahre zeigten sich rapide Veränderungen in der Jugendkultur und vor allem im Zeitgeist. „Die Ära, in der Broadwaymusicals oder große Romane zu dreistündigen Filmen umgewandelt wurden, ging da schon ihrem Ende zu", sagt der langjährige Chef des Österreichischen Filmmuseums. "Aber es hat sich noch nicht als Widerspruch angefühlt, eine tendenziell heile Welt – die in ‚Sound of Music‘ eigentlich gar nicht mehr so heil ist – herzustellen."
Für den Filmhistoriker markiert der Film eine Übergangszeit: "Während es bereits Unruhen in vielen US-Städten gab, den beginnenden Vietnamkrieg, die Kennedy-Ermordung, das Gefühl einer Verunsicherung, dass Präsidenten einfach weggeknallt werden können, gab es noch einen ausreichend starken traditionalistischen Teil, der die starke Erfahrung des enormen Wirtschaftsaufschwungs und das Bild von Amerika als 'King of the World' erhalten wollte, so lange es noch ging."
Dieses Gefühl habe "The Sound of Music" wohl noch "gerettet", meint Horwath, "fünf Jahre später wäre das nicht mehr so ein weltweiter Hit geworden. Der Film hat - gemeinsam mit 'Doktor Schiwago' - die letzte Drehung einer scheinstabilen, traditionellen Kommerzfilm-Kultur erwischt.“
Kinosterben und teure Fernsehrechte
Letztlich sind es vielleicht auch simple ökonomische Gründe, die einen Erfolg von "The Sound of Music" hierzulande verhindert haben. In Österreich sei die Zahl der Kinobesucher damals bereits im Abschwung gewesen, man befand sich mitten im Aufstieg des Fernsehens. "Ganz allgemein hatten Filme viel weniger Zuseher im Kino als noch zehn Jahre zuvor, und wenn dann noch bestimmte Stars und andere Attraktionen für die Österreicher fehlen, trifft das so einen Film besonders“, sagt Horwath.
Dass der Film im heimischen Fernsehen nicht berücksichtigt würde, könnte ebenfalls einen kommerziellen Aspekt haben. Horwath bezweifelt, dass es eine individuelle Entscheidung des ORF gewesen sein könnte, „Sound of Music“ so lange nicht auszustrahlen. Filmrechtehändler verkauften damals ganze Pakete der Studios für bis zu zehn, zwanzig Jahre an die Sender im deutschen Sprachraum. War da ein bestimmter Film nicht enthalten, konnte das länger so bleiben. Horwath hält es für möglich, „dass ein in der USA von der breiten Masse so geliebter Titel, der einer der ikonischen Filme der eigenen Studiogeschichte war, von Fox mit einem teuren Preisschild versehen wurde“. Da man in Deutschland und Österreich an den Kinokassen andere Erfahrungen machte, war man möglicherweise nicht bereit, das zu bezahlen.
Interesse zuletzt gestiegen
Mittlerweile ist das Interesse an der Story im deutschsprachigen Raum wieder gewachsen. Es gibt Dokumentarfilme und Neuverfilmungen. Das „Sound of Music“-Originalmusical wurde – mit schlechten Kritiken zwar – an der Wiener Volksoper gezeigt, 2011 schaffte die Bühnenversion sogar erstmals den Sprung nach Salzburg.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat man den Werbewert der Geschichte von Maria Trapp auch in der anspruchsvollen Festspielstadt erkannt. Es gibt mittlerweile eine „Sound of Music World“ in der Getreidegasse und seit einigen Jahren entsprechend gut gebuchte „Sound of Music“-Touren zu den berühmten Schauplätzen des Films in und um Salzburg. Ein „Sound of Music“-Trail führt filmbegeisterte Wanderer aus Übersee auf jene Bergwiese bei Werfen, wo die Picknickszene mit Maria von Trapp und den Kindern spielt.
Wenn man allerdings an jenem Ort stehen will, wo einst Julie Andrews 1964 ihre Arme ausgebreitet hat, muss man ein paar Kilometer hinüber nach Deutschland fahren. Die ikonische Anfangsszene wurde auf dem Mehlweg bei Marktschellenberg in Bayern gedreht.
Wieder so ein kleines Geheimnis um "The Sound of Music", das in Österreich freilich gut gehütet wird.
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