Wann ist Malerei reif fürs Museum?

Jörg Immendorf: Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege? 1973, Acryl auf Leinwand
Die Ausstellungen „Painting 2.0“ und „Wir Wegbereiter“ im mumok zeigen Kunst-Kanonbildung einst und heute

„Hier wird tatsächlich Kunstgeschichte geschrieben.“ Das Urteil, das die Kritikerin der Süddeutschen Zeitung über die Schau „Painting 2.0“ im Münchener Museum Brandhorst fällte, gab mumok-Direktorin Karola Kraus gleich als Vorlage an die Wiener Journalisten weiter: Die Ausstellung mit dem Untertitel „Malerei im Informationszeitalter“ ist nämlich nun bis 6. 10. hier zu sehen.

Ja, hier wird Kunstgeschichte geschrieben – doch die zentralen Fragen lauten „Wie“ und „Wozu“. In München, wo die Schau in einem von Privatsammlern gegründeten Museum lief, half sie auch, die kunsthistorische Legitimation der dortigen Sammlung zu stärken. In der „wissenschaftlichen Anstalt“ mumok tritt das Unterfangen mit noch mehr Anspruch auf Permanenz auf: Was soll, was darf Kulturerbe sein? Am Widerspruch, Autorität zugleich ausüben und unterwandern zu wollen, scheitert „Painting 2.0“ letztendlich.

Nach den Hierarchien

Es ist durchaus aufschlussreich, dass in den zwei Untergeschoßen des Museums parallel die Schau „Wir Wegbereiter – Pioniere der Nachkriegsmoderne“ läuft (bis 5. 3. 2017). In einem Schaudepot wird hier präsentiert, was der Gründungsdirektor des mumok, Werner Hofmann, in seiner Amtszeit (1962–1969) für die Sammlung kaufte. Es galt damals, mit wenig Geld die Moderne nach Wien zu holen: Werke von Miró, Picasso, auch Giacometti sind hier zu finden, eine stellenweise verstaubte, aber doch stolze Sammlung aus einer Zeit, in der es noch klare Hierarchien gab.

Wann ist Malerei reif fürs Museum?
Martin Kippenberger 2. Preis (aus der Serie der Preis-Bilder), 1987 Öl und Haferflocken auf Leinwand / oil and oatmeal on canvas, 180 x 150 cm Photo: Lothar Schnepf © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Köln
Die Kunstgeschichtsschreibung von „Painting 2.0“ nahm dagegen in einem Symposium seinen Anfang, und das ist ein Problem der Ausstellung: These über These wird da gewälzt, jede kleine Sektion der Schau, die sich insgesamt über vier Geschoße zieht, folgt einem ausgeklügelten Argument. Grob gesagt geht es um den Umgang der Malerei mit Massenkultur, um die Auseinandersetzung zwischen Malerei und Körpern und um die Malerei als Knotenpunkt „Sozialer Netzwerke“.

Miese Malerei

Leider wirkt es, als hätte das Kuratorenteam (Manuela Ammer, Achim Hochdörfer, David Joselit) irgendwann aufgehört, die Bilder auch anzuschauen: Es hängt einfach viel miese Malerei an den Wänden.

Mit einem solchen Werturteil macht man sich natürlich verdächtig, Anhänger jenes Malerfürsten-Geniekults zu sein, der in den Großgalerien dieser Welt gerade seinen eigenen, völlig anderen Malerei-Kanon zimmert. Aber nein: natürlich sind feministische Gegenpositionen ebenso Teil der Historie wie „Bad Painting“, absichtsvoll kunstlose Kunst.

Dennoch: Jutta Koethers’ rot zugemalte Leinwände, Ree Mortons Hippie-Arrangement „Signs of Love“ (1976) oder Seth Prices kitschige Kalenderblätter sind im mumok nur schwer zu ertragen. Solche Werke – und es gibt noch einige mehr in der Schau – halten sich mit ihrer Qualität als Bilder gar nicht erst auf und weichen die Kriterien dessen, was „Malerei“ ist, dahingehend auf, dass der Begriff nutzlos wird.

Wann ist Malerei reif fürs Museum?
mumok Ausstellung "Wir Wegbereiter" honorarfrei zur Ausstellung
Es fällt auf, dass die Ausstellung umso mehr überzeugt, je älter das Gezeigte ist: Den historischen Abstand scheinen sich die Kuratoren aber immer weniger gönnen zu wollen. Die Halbwertszeit von Thesen ist in der „Kunstgeschichte 2.0“ kürzer geworden, Relevanzbeurteilungen werden vielleicht auch hier bald mittels „Like“-Button vorgenommen.

Vor diesem Hintergrund wirkt ein Abtauchen in die Schau „Wir Wegbereiter“ im Untergeschoß erfrischend: Die Bilder von Oskar Kokoschka, Max Ernst oder Piet Mondrian können hier bestehen, auch wenn sie kein Illustrationsmaterial für Thesen sind und mitunter lieblos arrangiert wurden. Kontext kann Kunst ohnehin nur begrenzt am Leben erhalten – die Wahrheit liegt im Depot.

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