Waldheim-Doku auf der Berlinale: Ach, diese Lücke
Ein paar letzte Handgriffe im ORF-Fernsehstudio, bevor der neu gewählte Bundespräsident seine Rede an die Nation hält: Eine Putzfrau poliert noch einmal über den Sessel, ein Visagist pudert dem Wahlsieger über die Nase, staubt über seinen Anzug.
"Ich glaub, jetzt hamma’s", sagt Dr. Kurt Waldheim schließlich, räuspert sich und blickt direkt in die Kamera.
Mit diesem Bild beendet die österreichische Dokumentarfilmemacherin Ruth Beckermann ihren herausragenden Film "Waldheims Walzer", der am Samstag auf der Berlinale in der Sektion Forum seine Premiere feierte (und in Österreicher erstmals auf der Diagonale läuft).
Immer wieder brüstet sich das Berliner Filmfestival damit, ein dezidiert politisch engagiertes Kino in seiner Programmierung zu favorisieren. Im Falle von Beckermanns treffsicher montierter Doku über den Präsidentschaftswahlkampf von Kurt Waldheim im Jahr 1986 trifft diese Selbstbeschreibung punktgenau zu: Tatsächlich erhält "Waldheims Walzer" im Lichte österreichischer Innenpolitik einen ganz besonderen Resonanzraum; nicht zufällig verwendete ein mittlerweile zurück getretener FPÖ-Kandidat den berühmten Waldheim-Slogan "Jetzt erst recht!", nachdem man ihm die Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut vorgeworfen hatte.
Opfermythos
Eigentlich, so erzählt die Regisseurin gleich zu Beginn ihrer Doku aus dem Off, eigentlich hatte sie das Filmmaterial, das sie anlässlich von Waldheims Abschlusskundgebung im Mai 1986 auf Video gedreht hatte, für verloren geglaubt. Doch dann fiel ihr plötzlich eine VHS-Kassette mit den überspielten Filmbildern in die Hände – "und es war kein Zufall, dass das alte Material gerade jetzt auftauchte".
Beckermann verlässt sich ausschließlich auf historisches Material und kompiliert ihre eigenen Mitschnitte mit Fernsehmaterial aus Archiven. Vor unseren Augen entrollt sie noch einmal jene Ereignisse, die die beharrliche österreichische Lebenslüge, das erste Opfer der Nazis gewesen zu sein, gründlich ins Wanken brachte.
Ehrlose Gesellen
"Ein Österreicher, dem die Welt vertraut", hieß es auf den Wahlplakaten über den ÖVP-Präsidentschaftskandidaten mit Bezug auf dessen Tätigkeit als Generalsekretär bei der UNO.
Unterdessen hatte damals Waldheim vierzig Jahre lang signifikante Lücken in seiner Kriegsbiografie klaffen lassen. Doch dann entlarvte die Debatte, angestoßen von Hubertus Czernin im Profil, rund um Waldheims Mitgliedschaft bei der SA dessen beharrliche Behauptung, er haben von den Greueln des Krieges nichts gewusst, als Lüge.
In einer der aufregendsten Momente des Filmes zeigt Beckermann nie gesendetes Material von der Befragung von Gerhard Waldheim während eines US-Hearings: Mit gesenktem Kopf versucht der Sohn, seinen Vater zu verteidigen, dessen Angaben unter der Beweislast komplett zusammenbrechen.
Offizielle TV-Bilder von ÖVP-Politikern wie Michael Graff, die gegen "ehrlose Gesellen des jüdischen Weltkongresses" wettern, verschmilzt Beckermann mit ihren weichen Videobildern in Schwarzweiß von Kundgebungen. Pro- und Contra-Stimmen werden laut, am lautesten die Stimme eines Mannes: Er beschimpft einen Waldheim-Gegner als "jüdische Drecksau".
Ruth Beckermann liefert von einer Zeit, in der noch nicht jeder sein Handy zum Filmen gezückt hielt, wichtige und berührende Bilder einer (Gegen-)öffentlichkeit: So etwa Aufnahmen von einer Kundgebung auf dem Stephansplatz, wo Prominenten wie Peter Turrini ("Die Wahrheit ist der ÖVP zumutbar") auftraten. Aber auch eine alte Dame kommt zu Wort und spricht mit erhobener Stimme ins Mikro: "Ich bin Hilfsarbeiterin. Und ich kann mich erinnern."
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