Doch diese täuscht. Dessen Bewohnerin ist eine Youtuberin. Mit einem langgezogenen „Hi“ begrüßt sie ihre Community via Handy und kündigt das Programm für ihr aktuelles Live-Video an, den Test eines neuen Games, „Calls of Duty: Jeanne d’Arc“ heißt es und ist der Titel für die aktuelle Solo-Perfomance von Hasti Molavian, die sie mit Regisseur Paul Georg Dittrich konzipiert hat. In „Ich bin Carmen… und das ist kein Liebeslied“ hatte die Singschauspielerin auf ihre Kindheit in Iran zurückgeblickt, jetzt führt sie durch Kriegs- und Terrorszenarien der vergangenen Jahrzehnte.
Auf der Leinwand im Hintergrund wechselt das Geschehen zwischen der virtuellen Welt, in der sich eine Egoshooterin den Weg durch eine wilde Landschaft freischießt, jeden umlegt, der sich ihr in den Weg stellt, und realen Bildern von Soldaten oder dem Terrorangriff auf das Moskauer Dubrowka Theater während der Tschetschenien-Kriege am 19. Oktober 2002, das Frauen, die sich die „Schwarzen Witwen“ nannten, verübten.
Molavian wechselt genuin zwischen den Ebenen. Sie ist die junge Gamerin, die ahnungslos ihre Spielkonsole bedient, sie deklamiert eindrucksvoll Schiller, erzählt von Leid jener Frauen, die vom IS auf Sklavenmärkten verkauft werden, von einer jungen Braut, die am Hochzeitstag ihren Geliebten im Kampf verlor und schließt den Kreis mit ihrer Erinnerung an Malalai von Maiwand, die Volksheldin Afghanistans, die wie Jeanne d’Arc die Soldaten ihres Landes im Kampf gegen die Briten befeuert hat.
Das klingt nach sehr viel Stoff für 80 Minuten, ist es auch. Aber Molavian besticht durch ihre darstellerische Kraft und ihre eindringliche Art zu erzählen. Musiker und Komponist Christoph Scheuer webt ihr einen dichten Klangteppich aus Elementen von Vertonungen des „Jeanne d’Arc“-Stoff von Walter Braunfels, Arthur Honegger, Tschaikowsky, Verdi und Rossini. Glänzend intoniert die ausgebildete Mezzosopranistin einen Auszug aus Rossinis „Giovanna d’Arco“-Kantate.
Schutzlos im geschützten Raum
Nicht zuletzt durch das eindrücklich gefertigte Video von Lukas Rehm (Video und Gamedesign) wird deutlich, dass der geschützten Raum im Kinderzimmers nur ein vermeintlicher ist. Denn am Ende zielen auf diese junge Gamerin zwar keine Scharfschützen, aber der Hass, den ihre Community gegen sie entlädt, komplettiert einen denkwürdigen Abend.
KURIER-Wertung: 4 von 5 Sternen
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