"Virginia Woolf" in Kušejs Regie am Burgtheater: Ehekrieg bis zum Gehtnichtmehr
Viel Glas geht zu Bruch. Mehr noch als Glas, bleibt doch am Ende nur ein Trümmerfeld nach den Schaukämpfen im Psychokrieg des Akademikerpaares George und Martha in Edward Albees Gefühlskatastrophenklassiker von 1962 „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“.
„Fun and Games“, Spaß und Spiele, kündigt die von Martin Kušej ins Burgtheater übernommene Inszenierung von 2014 aus dem Münchner Residenztheater zu Beginn in neongrüner Leuchtschrift an.
Vor einer gleißend weißen Wand in voller Bühnenbreite auf einem schmalen Korridor, als wär’s ein Laufsteg, wird im grausamen Spiel beim After-Party-Exzess vor nächtlichen Trinkgästen hemmungslos verhöhnt, erniedrigt, gedemütigt und in offenen Beziehungswunden gewühlt.
Vor der Rampe zerbrochene Flaschen und Gläser – ein Scherbenhaufen, der stetig anwächst im Lauf einer langen versoffenen Nacht der Enthüllungen, in der außer einer Lebens- auch eine Glückslüge entlarvt wird.
Szenen einer Ehe
Wer den totalen Ehekrieg ohne Sieger zum allerersten Mal sieht, mag geschockt sein von der emotionalen Intensität und den ungebremsten Gewaltausbrüchen. Oder angewidert von der Brutalität und Barbarei im Zwischenmenschlichen. Oder betroffen von der immer wieder neu befeuerten Hassliebe der Protagonisten.
Während der Kenner von Albees Ehehölle – nach Aufführungen vor vielen Jahren mit Birgit Doll und Wolfgang Hübsch im Volkstheater oder Corinna Harfouch und Ulrich Matthes bei den Wiener Festwochen – jetzt bei Kušej eher als Voyeur außen vor bleibt.
Denn er zerstückelt alles in Szenen zwischen harten Auf- und Abblenden in einem eisschrankkalt anmutenden Ambiente (Bühnenbild: Jessica Rockstroh).
Und die Figuren wirken im abstrakten Bühnenbild flacher, als es ihrem Gefühlswirrwarr entspricht.
Böse Eskalation
Das Stück hätte wohl besser ins Akademietheater gepasst. Denn echte Dynamik entwickelt sich auf der Riesenbühne nicht. Und Nähe wird nur selten spürbar. Aber die von Hassliebe und Lebenslügen belasteten Szenen einer Ehe haben einen gewissen Wiedererkennungswert.
Im Setting eines Laborversuchs ist das menschliche Paarverhalten zu beobachten: unter Alkohol, vorzugsweise Whiskey oder Cognac, nach jahrelanger persönlicher und gesellschaftlicher Frustration und unter besonderer Berücksichtigung traumatischer Kindheitserlebnisse.
Also schimpft und schreit man, höhnt und heult, rauft und pöbelt, keift und kotzt. Bis alle Fassaden fallen, alles an Zivilisation wie Respekt, Rücksicht und Empathie vor aller Augen zerbröselt und in die vom Herzen kommende Aufforderung mündet: „Lecken Sie mich am Arsch!“
Garstige Rituale
In diesem Fest für Schauspieler glänzt Bibiane Beglau in der Rolle der Martha als Furie und Megäre und beherrscht das Schlachtfeld mit einer Mischung aus Wahnsinn und Bösartigkeit.
Norman Hacker ist als geschundener Ehemann George der intellektuelle Geschichtsprofessor, der zunächst sarkastisch seine Seelenblessuren überspielt, anderen Geheimnisse entlockt, um sie dann gnadenlos gegen sie einzusetzen und im Karussell der garstigen Rituale den erfundenen Sohn, gemeinsames Hirngespinst und zugleich Beziehungskrücke, umbringt.
Johannes Zirner, auch bekannt aus TV von „Rosamunde Pilcher“ über „Wolfsland“ bis „Herzkino“, versucht als junger, kühl berechnender Karrierist Nick verbissen, neben Nora Buzalka, dem naiv-kichernden Trutscherl Honey, seine Männlichkeitsfassade aufrecht zu erhalten. Und versagt prompt, als ihm Martha an die Wäsche geht.
Und wo bleibt die Liebe in diesem Ehegruselschocker von einst, der auch schon Patina angesetzt hat? Alle wollen sich die Haut, die Muskeln herunterreißen und bis ins Mark vordringen. Aber wen will man ins Mark treffen? Nur den, den man maßlos liebt. Von einem anderen lässt man sich scheiden.
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