Die Wiener Philharmoniker unter der Historiker-Lupe
Der Beschluss ist gefasst: Drei Historiker wurden beauftragt, „neue Texte zur Geschichte der Wiener Philharmoniker in der NS-Zeit“ zu verfassen. Deren Veröffentlichung auf der Webseite des Orchesters soll am 12. März 2013 erfolgen. Das ist der 75. Jahrestag des sogenannten "Anschlusses" Österreichs ans Deutsche Reich.
Die brisanten Themen: Die Politisierung des Orchesters in der NS-Zeit; biografische Skizzen der verfolgten bzw. ermordeten Orchestermitglieder; Texte zur Nazifizierung und Entnazifizierung der Philharmoniker; sowie „eine kurz kommentierte Chronologie der Ehrungen und Auszeichnungen durch die Wiener Philharmoniker“. Darüber hatte es zuletzt Aufregung gegeben.
Aber wer sind nun die drei Historiker, die zu diesen Themen bereits publiziert haben? Oliver Rathkolb, Vorsitzender der Gruppe, ist Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Uni Wien. Im Jahr 2008 gab es anlässlich der Ausstellung „Opfer, Täter, Zuschauer“ in der Staatsoper auch einen Konflikt mit Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg. Rathkolb warf diesem damals „Hinhaltetaktik“ vor. Konkret ging es um den Vorwurf von Rathkolbs Dissertanten Fritz Trümpi (der zweite nun beauftragte Historiker), er habe erst nach eineinhalb Jahren die Protokolle der Versammlungen zwischen 1934 und 1945 einsehen dürfen.
Hellsberg wehrte sich damals in der Presse: „Wir sind ein privater Verein und sind weder verpflichtet, ein Archiv zu haben, noch es zu öffnen.“ Heute sagt Hellsberg: „Wir haben dennoch reagiert, eine eigene Mitarbeiterin für das historische Archiv hauptberuflich angestellt und die Zugänglichkeit gewährleistet.“
„Politisierte Musik“
Die beiden einstigen Hellsberg-Kritiker Rathkolb und Trümpi formen nun mit Bernadette Mayrhofer das Historiker-Trio, das von den Philharmonikern beauftragt wurde. Trümpi und Mayrhofer veröffentlichten u.a. Texte im Buch „Politisierte Musik“. 2004 erschien Trümpis Studie zur Instrumentalisierung von „klassischer Musik im Nationalsozialismus“ namens: „Die Wiener Philharmoniker sind das große Geschenk der Ostmark an das Groß-Deutsche Reich in der Kunst“.
Mayrhofer schrieb ihre Diplomarbeit bei Rathkolb (2005) zum Thema „Vertreibung von Wiener Philharmonikern nach 1938 und ihr Leben im Exil“. Sie zitierte damals auch Ministerialrat Ernst Koset von der Staatstheaterverwaltung: „Die Angelegenheit des Judenabbaus geht jetzt ganz ruhig vor sich“. „Die eigentliche Drehscheibe im Vertreibungsprozess jüdischer Musiker“ sei demnach die Bundestheaterverwaltung gewesen, so Mayrhofer. In einem Interview mit dem Tagesspiegel sagte sie: „Schon in den Jahren vor 1938 gab es innerhalb des Orchesters bereits eine soziale Abgrenzung (zwischen Juden und Nicht-Juden).“ Und: „Es wird einem sterbenselend, wenn man in die Archive geht.“
„Alleinstellungsmerkmal der Philharmoniker“
Aber sind sieben Wochen Zeit für eine intensive wissenschaftliche Aufarbeitung nicht viel zu knapp bemessen? „Das geht sich aus“, sagt Rathkolb zum KURIER, „weil wir ja alle schon dazu geforscht haben und es schon zahlreiche Untersuchungen gibt“. Es gehe um die Vertiefung der neuen Erkenntnisse. Eine Historiker-Kommission sei diese Gruppe aber nicht: „Eine Historiker-Kommission beginnt meist bei Null. Das ist ja hier nicht der Fall.“
Rathkolb hat sich zuletzt Webseiten vergleichbarer Institutionen angeschaut und kommt zum Schluss: „Nach dem 12. März wird dieses Thema ein Alleinstellungsmerkmal der Wiener Philharmoniker sein.“ So offen sei das sonst nirgendwo ersichtlich.
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