Verfilmung der "Schachnovelle": Vom Walzertraum in die Mühlen der Gestapo
Nachdem der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig seine Erzählung „Schachnovelle“ im brasilianischen Exil beendet hatte, beging er Selbstmord. Das geschah am 22. Februar 1942. Seitdem nimmt der Dauerbestseller einen besonderen Stellenwert in Zweigs Vermächtnis ein.
„Schachnovelle“ handelt von den Traumata eines Mannes, der von der Gestapo in Einzelhaft genommen, verhört und gefoltert wird. Um nicht den Verstand zu verlieren, beginnt er, Schachpartien eines zufällig erhaschten Buches nachzuspielen.
Der deutsche Regisseur Philipp Stölzl verfilmte Zweigs Vorlage zu einem intensiven Mindgame-Kammerspiel. Oliver Masucci spielt hervorragend den österreichischen Anwalt Josef Bartok, der von den Nazis in ein Hotelzimmer gesperrt und verhört wird. Birgit Minichmayr ist als seine Ehefrau zu sehen – ab Freitag im Kino.
KURIER: Herr Stölzl, Sie sind bekannt für die Verfilmung populärer Stoffe wie „Nordwand“, „Der Medicus“ oder „Ich war noch niemals in New York“. Wie präsent ist Stefan Zweigs „Schachnovelle“ noch im Bewusstsein des Publikums?
Philipp Stölzl: Ich weiß nicht, ob die TikTok–Generation die „Schachnovelle“ noch kennt. Ich bin ja als Jahrgang 1967 schon etwas älter, und da haben „Der Fänger im Roggen“, „On the Road“, „Steppenwolf“ oder eben die „Schachnovelle“ zu den Büchern gehört, die man zwischen 14 und 18 liest und die dann wichtig werden. Aber das Kinopublikum ist ja ohnehin etwas älter. Die Vorliebe, gemeinsam ins Kino zu gehen, einen Film auf der großen Leinwand zu sehen und mit anderen Leuten etwas zu erleben, ist eher etwas für Menschen in den besten Jahren. Die haben die meiste Zeit. Wenn man mitten im Leben steht, Kinder hat und Babysitter braucht, ist es einfacher, den Fernseher einzuschalten. Und die ganz Jungen schauen sich ohnehin auf dem iPad Netflix-Serien an.
Worin besteht für Sie die Faszination von der „Schachnovelle“?
Ich bin generell ein Fan von Stefan Zweig. Er ist einfach ein toller Autor – man denke nur an Bücher wie „Brief einer Unbekannten“ oder „Sternstunden der Menschheit“. Bei den meisten Leuten, die an Literatur interessiert sind, klingelt es bei „Schachnovelle“. Aber dann stellt sich natürlich die Frage, wie so eine literarische Geschichte ins Kino übertragen werden kann? Die Konstruktion der Geschichte funktioniert in der Literatur toll, ist aber eigentlich viel zu steif für einen Film. Das Drehbuch, das ich für den Film erhielt, schlug eine surreale und sehr subjektive Lesart vor, die mir sehr schlüssig für die Leinwand erschien. Auch die Novelle besetzt ja diesen albtraumartigen Sog. Ich dachte, das könnte eine sehr intensive und starke Kinoerfahrung sein. Wenn ich mich für einen Stoff entscheide, muss er auch wirklich für das Kino taugen. Bei vielen Filmen hat man ja das Gefühl, dass man sie sich auch im Fernsehen anschauen könnte. Aber wenn eine Geschichte wie die „Schachnovelle“ auf das Atmosphärische und Rätselhafte setzt, dann sind das Gefühlslagen, die man gut im Kino erzeugen kann.
Besteht die Gefahr, dass das Surreale den Realismus der Geschichte verdrängt?
Das muss jeder für sich entscheiden, aber ich glaube nicht, dass das passiert. Wir erzählen in den ersten 20 Minuten ganz klassisch die Nacht vor dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland. Das Land kippt innerhalb von wenigen Stunden. Man sieht, wie die selbstvergessenen Wiener Eliten das Gefühl haben, sie könnten ewig weiter Champagner trinken und Walzer tanzen, und der Pöbel aus Deutschland kann ihnen nichts anhaben. Da ist das unglaubliche Selbstbewusstsein eines ehemaligen Weltreichs noch ganz stark zu spüren. Dann werden innerhalb kurzer Zeit Menschen totgeschlagen und die sogenannten „Reibpartien“ veranstaltet, bei denen Juden zum Waschen der Gehsteige gezwungen wurden. Hier sieht man, wie eine Gesellschaft von der Kulturnation in Barbarei und Gemeinheit kippen kann. Das ist im Film stark auserzählt. Erst danach gehen wir mit der Hauptfigur in dieses Kafka-Labyrinth hinein, in den Wahnsinn und die komplette Entmenschlichung. Zuerst wird über die Verletzlichkeit der Zivilgesellschaft erzählt, danach gerät man ins Mahlwerk der Tyrannen. Ich finde, das nimmt dem politischen Aspekt des Films nichts weg.
Wie schwierig ist es, den Großteil eines Films in nur einem Raum spielen zu lassen?
Das ist ein Kick und für einen Filmemacher eine tolle Herausforderung. Der Film handelt ja von jemandem, der eingesperrt ist, mit niemandem sprechen kann, die Zeit verliert, verwahrlost und immer mehr entmenschlicht wird. Und das alles in einem Wiener Hotelzimmer. Da muss man sich unglaublich viele Gedanken dazu machen. Ich zeichne sehr viel und habe mich anhand meiner Skizzen den Szenen angenähert. Im Film funktioniert das jetzt ganz gut, finde ich, weil es überhaupt nicht langweilig wird. Und natürlich gibt es viele Vorbilder, etwa Hotelfilme wie „Barton Fink“ oder surreale David-Lynch-Arbeiten wie „Mulholland Drive“. Das war eine spannende Reise.
Birgit Minichmayr spielt eine kleine Rolle als Ehefrau des Gefangenen. Im Buch gibt es diese Figur nicht. Warum haben Sie sie erfunden?
Bei Zweig wird die Frau nur in einem Halbsatz erwähnt. Bei uns und bei Zweig spielt das Motiv der Odyssee eine große Rolle. Der Mann, der auf den sieben Meeren verweht wird und nach Hause finden will – das ist der Motor, um überleben zu wollen. Bei Zweig wird das alles sehr kalt und analytisch beschrieben. Wenn man das eins zu eins übersetzen würde, wäre das eher ein Haneke-Film, wo man kalt auf die grausigen Menschen schaut. Aber wir wollten die Geschichte emotional aufladen: Wie lebt der Mann? Wie wohnt er? Hat er eine Liebe? Er verliert alles, aber am Ende des Tunnels gibt es einen Grund, um zu überleben – wie bei Odysseus. Und dann stiehlt er das Schachbuch, baut sich Schachfiguren aus Brot ... Es handelt also von jemandem, der überleben will. Und die Liebe gibt ihm einen guten Grund dazu.
Was hat Birgit Minichmayr für Sie in die Rolle mitgebracht?
Ich bin wahnsinnig froh, dass sie die Rolle übernommen hat. Sie hat nicht viele Szenen, ist aber im Film sehr präsent. Die Besetzung mit Oliver Masucci, Albrecht Schuch und Samuel Vinzi ist sehr stark – und das ist Birgit Minichmayr auch. Sie ist eine Riesenschauspielerin. Gerade bei einer Rolle, die nicht viel Screentime hat, braucht man jemanden von Gewicht. Außerdem wollte ich von dem ewigen Kinoklischee vom älteren Mann und seiner jüngeren Frau wegkommen. Ich wollte eine erwachsene Ehe auf Augenhöhe zeigen und sie als glaubwürdiges Paar darstellen. Das alles gibt Birgit Minichmayr diesem Film, und sie wurde als beste Nebendarstellerin für den deutschen Filmpreis nominiert. Sie wird also durchaus wahrgenommen.
Oliver Masucci spielt die Hauptfigur und ist praktisch in jeder Szene zu sehen. Wie gestaltete sich da die Zusammenarbeit?
Die Arbeit war toll und intensiv. Oliver ist so ein richtiger Vollblutschauspieler, ein Theatertier, nicht umsonst war er Jahre an der Burg, hat mit allen großen Schauspielleuten gearbeitet. Er kennt dieses energetischen Nahkampfarbeiten von der Probebühne, das ist erfrischend, wenn man das auf ein Filmset holen kann. Er ist dazu sehr physisch und hat Lust und Mut, bei seiner Rollenarbeit in totale Extreme zu gehen. Gleichzeitig aber kann er auch mit Sprache gut umgehen, kann gleichzeitig hart und auch verletzlich und transparent sein. Für die Rolle in „Schachnovelle“ fand ich gut, dass er etwas Ambivalentes mitbringt. Seine Figur hat ja etwas Zwielichtiges, er ist ein elitärer reicher Typ mit Dienstboten und großer Limousine, der als Notar Schwarzgeld auf Schweizer Konten verschiebt. Dann gerät er in die Mühlen der Gestapo und fällt in Leiden und Finsternis – und kommt einem dabei immer näher.
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