Venedig: Seidl geht auf "Safari" und Gibson versucht Comeback

Ulrich Seidl, "Safari"
Fragen nach der Zukunft des Kinos und ein "Urlaubsfilm über das Töten"

Wie sieht die Zukunft des Kinos aus? Welche Auswirkungen hat die digitale Revolution auf zeitgenössische Filmproduktionen? Werden wir in Zukunft Filme auf der großen Leinwand sehen – oder doch eher auf unseren Mobiltelefonen? Was kommt nach 3-D? Und wie steht es um den letzten Schrei in der technologischen Entwicklung, das Virtual-Reality-Format: Läutet es eine neue Epoche ein?

Das Filmfestival von Venedig will sich all diesen Frage stellen und präsentiert mit großem Stolz Ausschnitte aus dem ersten Spielfilm, der jemals im neuen Virtual-Reality-Format gedreht wurde. "Jesus VR – The Story of Christ" soll Zeugnis einer kommenden Kino-Revolution ablegen. Szenen aus dem Leben Jesu, in 360 Grad gedreht, versprechen ein komplett neues, allumfassendes Filmerlebnis. Die Besucher bekommen eine Art Taucherbrille mit Kopfhörern umgeschnallt und werden auf einen Drehsessel platziert. Dann läuft der Jesus-Film ab – und wohin man den Kopf auch wendet, man befindet sich "mitten in der Szene". Zum Beispiel im Stall von Betlehem: Blickt man nach vorne, sieht man das Jesus-Kind in der Krippe liegen; dreht man sich um, schaut man einer Kuh ins Auge. Auch beim letzten Abendmahl ist man live dabei, von der Kreuzigung ganz zu schweigen.

Doch "Jesus VR" nimmt sich aus wie ein Krippenspiel mit Laien, noch dazu in haarsträubend grobporiger Bildqualität. Auch der überwältigende Realitätseffekt will sich nicht einstellen. Zum einen droht durch die Drehbewegung Übelkeit wie bei leichtem Seegang; zum anderen gibt es keine Möglichkeit der Interaktivität. So fühlt man sich wie die Fliege an der Wand, die hölzernen Schauspielern beim Sprechen zusieht. Die vollmundige "Jesus VR"-Präsentation wurde mit Spott überschüttet, und es war klar: In der derzeitigen Form bewährt sich Virtual Reality zwar für Computerspiele. Die Zukunft des Kinos aber sieht anders aus.

Bildertod

Wie genau – mit dieser Frage beschäftigt sich auch der österreichische Filmemacher Michael Palm in seiner profunden Doku "Cinema Futures", die in der Venedig-Klassik-Schiene gezeigt wurde: Was geschieht im Digitalzeitalter mit den analogen Laufbildern? Gehen sie auf immer verloren? Stirbt der Film? Palm stellt diese Fragen mit melancholischem Unterton – und von Martin Scorsese bis Christopher Nolan suchen Regisseure, Historiker und Archivare nach Antworten.

"Archivare" der völlig anderen Art beobachtet Ulrich Seidl in seiner Doku "Safari": Touristen gehen in Afrika auf Großwildjagd, schießen exotische Tiere und umgeben sich zu Hause mit den Trophäen. Einen "Urlaubsfilm über das Töten" nennt der österreichische Regisseur seine sorgfältig inszenierten Beobachtungen, die zwischen bewegter Handkamera und Seidls berühmten Tableau -Bildern changieren: Die Touristen erzählen von der Aufregung, die sie beim Schießen der Tiere – genannt "Stücke" – überkommt. Die Afrikaner bilden schweigend den Hintergrund. Zu den traurigsten Szenen zählt jene, in der eine getroffene Giraffe wie ein Kathedrale in sich zusammenbricht und die Urlaubsfreude der Hobby-Waidmänner als pervers-fragwürdiges Vergnügen entlarvt.

Seidls "Safari" lief außer Konkurrenz – wie auch Mel Gibsons groß angekündigter und bereits weltweit verkaufter "Comeback"-Film "Hacksaw Ridge". Nach zehnjähriger Regie-Pause lieferte Gibson einen tief religiösen Weltkriegsfilm, in dem der US-Soldat Desmond Doss – hervorragend gespielt von "Spiderman" Andrew Garfield – aus christlicher Überzeugung die Waffe verweigert. In langen, drastisch-brutalen Kampfszenen, unterlegt mit bombastischer Musik, erweist sich Doss als großer Held – mit der Bibel in der Hand.

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