Ute Lemper: „Ich wollte nie normal sein“
Cats, Cabaret, Chicago. Ute Lemper ist eine der wenigen wirklich erfolgreichen deutschen Künstlerinnen im internationalen Musical- und Showbusiness. Von Bühnenleben und Lebensbühne erzählt sie nun in einem Buch und einem Programm, mit dem sie am Mittwoch in Wien gastiert. Bemerkenswert offen berichtet sie darin nicht nur von Bühnenerfahrungen, sondern auch von persönlichen Begegnungen, Erfolgen, Verlusten und manchmal auch schmerzhaften Erfahrungen – wie ihren mehreren Bandscheibenvorfällen.
KURIER: Marlene Dietrich riet Ihnen einst, Ihr privates Leben stets geheim zu halten. Warum haben Sie sich umentschieden?
Ute Lemper: Es geht nicht um mein Privatleben, sondern um mein Innenleben. Wie ich seit sechzig Jahren den Herausforderungen standhalte und inmitten der vielen Stürme um mich herum mein Glück gefunden habe.
Sie beschreiben auch die Herausforderung, als mehrfache Mutter ständig auf Tour zu sein.
Das ist eine der größten Herausforderungen, ja. Dazu das große Thema von Trennung, Verlust und Heimweh und doch künstlerischer Erfüllung. Ein Konflikt, der Opfer auf beiden Seiten verlangte. Diesen Balanceakt übe ich seit vierzig Jahren.
Dieses Buch ist aber nicht nur eine persönliche Zeitreise.
Nein, ich lasse die Menschen auch an meinen Gedanken über Zeitgeschichte, die ich verfolgen durfte, teilhaben. Von der Berliner Künstlerkommune zur Zeit des Kalten Krieges bis zu den vielen Reisen von Israel nach Russland, von Wien nach London und New York. Zeitgeschichte, über die ich von innen heraus erzähle. Von Begegnungen und künstlerischen Projekten. Eine Zeitreise, wie ich sie als Mensch erlebt habe. Wie ich als Frau, Mutter und Künstlerin immer wieder versucht habe, mich zu emanzipieren. Bis heute, wo ich täglich aufs Neue versuche, mich zu definieren und zu finden.
Sie schreiben, Sie würden das Rad der Zeit niemals zurückdrehen wollen. Sie bereuen nichts?
Nein, alles hatte seinen Sinn. Zu seiner Zeit. Ich bin immer ein intuitiver Mensch gewesen, der mit Herz und Bauch entschieden hat. Natürlich gab es Situationen, in denen ich mich nicht frei entfalten konnte. Aber es ist mir im Lauf der Zeit gelungen, mir ein Leben zu schaffen, in dem ich Herrin meiner Welt bin, in dem ich als Frau und Künstlerin frei lebe und leidenschaftlich sein kann. Ich habe immer die Norm gesprengt, ich wollte nie normal sein, schon in meiner Kindheit.
Wie waren Sie als Kind?
Forsch und rebellisch. Schwer zu zähmen. Ich wollte immer die Grenzen weiterversetzen. Ich bin sehr kleinbürgerlich aufgewachsen, musste viele Mauern verschieben, um meinen Traum zu leben.
Sie haben eine beispiellose internationale Karriere gemacht – selbst die Franzosen, die ja schwer zu knacken sind, haben Sie adoptiert. Wie war das für Sie als Deutsche?
Die Identität als Nachkriegsdeutsche war insbesondere vor dem Fall der Mauer noch sehr stigmatisierend, auch die Sprache. Die deutsche Geschichte war wie ein dunkler Schleier, den man tragen musste. Ich hatte durch meinen Beruf das Privileg, mich in Liedern jüdischer Komponisten schon früh damit auseinandersetzen zu dürfen. Das war auch eine große Verantwortung für mich mit Anfang zwanzig. Ich musste mich damit beschäftigen und es ist mir bis heute zu einer Mission geworden. Die Engländer waren übrigens noch schwerer zu knacken als die Franzosen. Dass ich als Deutsche den Laurence Olivier Award bekommen habe, war wirklich unglaublich. Hier in New York ist das alles einfacher, hier gibt es so viele europäische Wurzeln.
In Frankreich haben Sie 1987 den renommierten Theaterpreis Prix Molière gewonnen und wurden als neue Marlene gefeiert. Kurz darauf hat Marlene Dietrich bei Ihnen angerufen.
Ich war 24, sie war 87. Wir haben drei Stunden geredet. Durch die Telefonleitung spürte ich eine Wolke von Trauer und Melancholie. Sie wollte mit mir reden, um Deutsch zu sprechen. Sie liebte die deutsche Kultur, die deutsche Sprache war ihre Muttersprache. Aber immer wieder sagte sie, die Deutschen wollten sie nicht zurück, beschimpften sie als Verräterin. Noch auf ihrer Welttournee in den 1960er-Jahren wurde sie in Deutschland beschimpft, weil sie gegen Nazi-Deutschland gekämpft hatte. Dafür wurde sie von den Deutschen bis zu ihrem Tode 1992 stigmatisiert. Niemand hat sich jemals bei ihr entschuldigt. Sogar am Tag ihrer Beerdigung traten Rechtsradikale in Berlin auf.
Wie sind die Deutschen mit Ihnen umgegangen?
Bei Misserfolgen wie der Produktion des Blauen Engel gab’s viel Häme. Häme liegt den Deutschen. Aber ich hatte danach so viele Erfolge, und als ich am Broadway reüssierte, da hatten sie gar nichts mehr zu sagen. Heute bin ich gerne in Deutschland.
Sie gelten als hart Arbeitende auf der Bühne. Oft unter Schmerzen. Sie haben sich mehrere Bandscheibenvorfälle eingehandelt. Wären Sie gerne jemand gewesen, der weniger hart arbeitet, dem die Dinge auch mal zufallen?
Dann wäre ich nicht ich. Das ging nie. Ich habe immer Vollkommenheit gesucht. Schon 1982 in Wien bei Cats, wo ich im ersten Cast war, fiel das auf. Die Choreografin sagte immer zu den anderen: ,Look at Ute!’ Ich war technisch vielleicht nicht perfekt, aber ich bin nie auf Sparflamme gegangen. Ich hatte immer den Anspruch, wahrhaftig zu sein. Auch an mein Leben. Das macht mich aus.
Die Disziplin hat Sie nie im Stich gelassen?
Nein, aber die Kraft, die Gesundheit und die Stimmbänder. Meine rechte Hüfte wartet auf Ersatz. Das rechte Bein hab ich tausend Mal hinter das rechte Ohr hochgeschmissen, und die Hüfte sagt mir heute, ich hätte es vielleicht nicht immer 190 Grad, sondern mal auch bloß 120 Grad hochschmeißen sollen.
Hatten Sie irgendwann das Gefühl, dass Sie „es geschafft“ haben?
Nein. Ab und zu erinnert mich mein Mann daran und sagt: ,Schau doch, was du hinter dir hast.’ Aber ich habe mich nie damit beschäftigt. Ich bin ein bodenständiger Mensch, der gern daheim ist und Schularbeiten mit den Kindern macht. Es geht mir um Geborgenheit. Und meine Heimat New York ist so wunderbar relaxt.
Erleben Sie dort eigentlich auch Anti-Israel-Proteste?
Ja, meine Tochter erlebt das täglich auf der Uni und ich frage mich, wo sind die Palästinenser, die gegen die Hamas demonstrieren?
Sie schreiben, dass Sie Melancholie im Angesicht der Vergänglichkeit empfinden.
Jeden Tag gibt es Momente, wo ich mich frage: Was ist das Stück Ewigkeit, das wir leben dürfen, und was vergeht? Das Pendel schlägt in Richtung Vergänglichkeit. Vieles verschwindet in der Bedeutungslosigkeit, das macht melancholisch.