Radikal
Wie originalgetreu eine filmische Umsetzung sein müsse? Prichard: „Tatsächlich glaube ich, dass es schiefgehen kann, wenn man die Bücher 1:1 nehmen will. Meiner Urgroßmutter gefielen bekanntermaßen die ersten Theateradaptionen nicht. Sie war der Meinung, dass die Dramatiker nicht radikal genug waren. Sie verstand, dass die Bühne andere Dinge erforderte als der Roman.“
Warum der Film sein Gütesiegel bekam? Prichard: „Ich habe wirklich das Gefühl, dass der Film ein Agatha-Christie-Erlebnis ist. Er enthält Horror-Elemente, es gibt neue Details in der Handlung und in den Figuren, aber im Kern ist es ein Krimi. Und das macht es zu einem Agatha Christie.“
Meisterdetektiv Hercule Poirot (Branagh) bekommt dabei auch Unterstützung von der US-Krimiautorin Ariadne Oliver (Tina Fey), die in mehreren Büchern von Christie auftaucht.
Prichard sagt über das literarische Alter Ego seiner Urgroßmutter: „Man muss nicht Einstein sein, um zu erkennen, dass Elemente von ihr in der Figur enthalten sind.“ Er glaube, dass sie Ariadne Oliver manchmal erlaubte, „Dinge zu sagen, die sie vielleicht nicht sagen würde, die sie aber gerne sagen würde“. Oliver sei extravagant, sehr extrovertiert, sehr offenherzig. „Meine Urgroßmutter war nichts davon“, sagt Prichard. „Ich glaube also, dass sie zum Teil mit uns gespielt hat. Und der Punkt ist, dass niemand genau weiß, wo die Grenze liegt.“
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Erinnerungen
Einen Großteil seiner Erinnerungen bezieht Prichard aus Erzählungen seines Vaters und seiner Großmutter. Als Agatha Christie am 12. Jänner 1976 mit 85 Jahren starb, war er noch keine sechs Jahre alt. Prichard erinnert sich aber an längere Sommeraufenthalte auf dem Haus seiner Urgroßmutter in Devon. „Eine meiner prägendsten Erinnerungen an sie war tatsächlich der Tag, an dem sie starb. Ich erinnere mich, wie ich von der Schule zurückkam, und sie war die Hauptmeldung in den Sechs-Uhr-Nachrichten. Das waren wahrscheinlich die Momente, in denen mir klar wurde, dass meine Urgroßmutter etwas ganz Besonderes war.“
Er habe „zwei sehr unterschiedliche Versionen von ihr im Kopf. Da ist Agatha Christie, die Ikone, und da ist die Familienperson, die wir Neema nannten“. Sie sei „eine sehr private Person“ gewesen. „Nichts gefiel ihr mehr, als mit engen Freunden und der Familie am Tisch zu sitzen. Sie mochte es nicht, Werbung für ihre Bücher zu machen. Daher hatte sie auch Glück, in einer Zeit zu leben, in der es keine mehrmonatigen Marketingtourneen und keine sozialen Medien gab. Sie konnte einfach ihrer Arbeit nachgehen und dann die Auszeit genießen. Das verschaffte ihr auch die Möglichkeit, drei bis vier Bücher im Jahr zu schreiben.“
Sein Vater Mathew Prichard habe immer gesagt, „dass sie eine der besten Zuhörerinnen war, die er je getroffen hat. Und ich denke, das ist vielleicht der Schlüssel zu ihren Geschichten. Sie verstand die menschliche Natur auf eine Weise, wie es nur wenige tun“.
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