Das Comeback der alten Dame

Zwei Millionen Facebook-Freunde, zwei Milliarden Bücher. Agatha Christie, „Queen of Crime“, könnte diese Zahlen posthum sogar noch toppen. Ihr Klassiker „Mord im Orient-Express“ kommt mit Star-Power erneut ins Kino.

Nur die Bibel und Shakespeare verkaufen sich besser. Aber die liegen ja schon um einiges länger vor. Und nicht nur das. Als Agatha Mary Clarissa Christie über ihrem ersten Roman brütete – „Das fehlende Glied in der Kette“ (1920) –, war sie als schreibende frischgebackene Mutter eine absolute Rarität. Autor zu sein galt als das Revier für Männer, der Platz für Frauen befand sich hinter dem Herd. Dementsprechend fehl am Platz empfand sich die Endzwanzigerin, als sie merkte, dass ihr Geschichten, noch dazu kriminelle, derart leicht von der Hand gingen.

Erfolg als Mostyn Grey?
„Eigentlich wollte ich mein Buch unter einem Pseudonym veröffentlichen“, meint Mrs. Christie in ihrer Autobiografie. „Ich dachte an Martin West oder Mostyn Grey.“
Zum Glück bestand ihr Verleger auf ihrem eigenen Namen. Insbesondere ihr Vorname hatte es ihm angetan. „Agatha“, meinte er, sei so ungewöhnlich, dass er im Gedächtnis der Leute haften bleibe.

Hercule Poirot & Miss Marple
Er sollte Recht behalten. Die Tochter eines geschäftstüchtigen US-Amerikaners und seiner englischen Ehefrau sollte sich tatsächlich als echter Megahit entpuppen.
Was heißt, mehr als das, Agatha Christie ist lange über ihren Tod hinaus ein totaler Dauerbrenner! Mit der Schaffung von zwei Figuren, dem cleveren belgischen Detektiv Hercule Poirot sowie der schrulligen Amateur-Ermittlerin Miss Jane Marple, hatte sie sich frühzeitig einen einzigartigen Status erarbeitet: Fast auf Anhieb hatte es die Ehefrau, Mutter und kurzzeitige Apothekenhelferin im Kriegslazarett geschafft, als erfolgreichste Autorin aller Zeiten zu gelten.

Das Comeback der alten Dame
(Symbolbild)
Das Rätsel der Frau Christie
Von 0 auf 100 zum Star, das kann doch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein! Tat es vermutlich auch nicht. Als Oberst Archibald Christie, ihr erster Mann, gestand, eine Affäre mit seiner Golfpartnerin Nancy Neele zu haben, machte die Jungautorin einen Sidestep ins Nichts. Sie verschwand plötzlich. Entführung, Suizid oder gar Mord? Elf Tage lang befand sich England im Dezember 1926 im Ausnahmezustand. Hunderte Polizisten und über 15.000 Zivilisten – inklusive Sherlock-Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle – beteiligten sich an der riesigen Suchaktion. Sogar der New York Times war das eine Schlagzeile wert.


Aber was war denn nun geschehen? Schwer zu sagen. Was so lange Rätsel aufgab, war ihr demoliertes Auto und ihr zurückgelassener Mantel. Von ihr selbst fehlte jede Spur. Doch dann wurde Agatha Christie am 14. Dezember völlig unversehrt in einem Kurhotel in Yorkshire gesichtet. Charleston tanzend! Häh?

Die Autorin schwieg eisern
Ihr Name sei Neele, nicht Christie, meinte sie. Und als ihr Mann dann im Hotel eintraf: „Schick, mein Bruder ist da.“ Dieser erklärte diese seltsame Aktion als „Amnesie“, die Autorin hingegen schwieg eisern. Auch in ihrer Autobiografie verlor sie kein Wort darüber. „Ich denke, dass ich mich an das erinnert habe, woran ich mich erinnern wollte“, war ihr einziger Kommentar dazu.

Keine einfache Person
Eine einfache Person war das nicht einmal 1,60 Meter große Persönchen sicher nicht. „Fünfzig Jahre lang hat sie uns tyrannisiert, gescholten und beglückt“, heißt es etwa im Vorwort zu ihrer posthum 1977 erschienenen Autobiografie.

Ein Medienstar war geboren
Wie auch immer, der spektakuläre Medienrummel um ihr mysteriöses, vielleicht selbstinszeniertes Verschwinden begründete und sicherte auf Lebzeiten ihren Platz als Medienstar.


Skrupel aber zeigte die „Queen of Crime“ sehr wohl, als sie spürte, dass ihr Metier immer härter wurde. „Niemand hätte sich träumen lassen, dass man eines Tages Kriminalromane wegen ihrer Schilderungen von Gewalttaten lesen und die Brutalität genießen würde.“ Dabei hatte Agatha Christie keine Ahnung, mit welchen harten Stoffen Autoren vom Schlag eines Lee Child oder Simon Beckett ihren Lesern noch zusetzen würden.

Auf die Unschudigen kommt's an
Alles, wonach sich Agatha Christie sehnte, war Glück. Sie fand es an der Seite ihres zweiten Ehemanns, der 14 Jahre jüngere Archäologe Max Mallowan. Und sie fand es beim Verfassen von Geschichten, bei denen der Detektiv dem Unschuldigen zur Seite steht. Die Autorin überzeugt: „Denn auf die Unschuldigen, nicht auf die Schuldigen kommt es an.“

Aber sie konnte auch anders. Als Mary Westmacott verfasst sie sechs romantische Romane.

Mord & Moral
Obwohl ihre Krimis sich nie mordlüstern gaben, beschäftigte die Autorin das Morden an sich. Sowie die Motive von Mördern. „Lässt sich Schlechtigkeit kurieren?“, fragte sie einmal naiv. Und gab sich zur Antwort: „Man könnte zum Beispiel dem Verbrecher die Wahl lassen, den Schierlingsbecher zu leeren oder aber sich für experimentelle Forschungsarbeiten zur Verfügung zu stellen.“ Eigentlich ganz schön brutal, die alte Dame.

Comeback des Orient-Express

Das Comeback der alten Dame
Film: MORD IM ORIENT EXPRESS 2017
Eigentlich erstaunlich: Christies Krimi-Klassiker "Mord im Orient-Express", 1934 als Buch erschienen, wurde erst 40 Jahre später fürs Kino adaptiert. Regisseur Sidney Lumet konnte dafür eine echte Starparade verpflichten: von Albert Finney, Richard Widmark und Sean Connery bis Lauren Bacall, Jacqueline Bisset und Vanessa Redgrave.

Die neue Verfilmung - durch Kenneth Branagh, der auch Meisterdetektiv Hercule Poirot ein neues, authentischeres Gesicht verleiht - ist erst die vierte Filmversion. An Bord des Luxuszuges befindet sich ebenso allerlei Prominenz: von Johnny Depp über Julia Dench bis Michelle Pfeiffer und Penelope Cruz.

In den österreichischen Kinos fährt der Orient-Express ab 10. November ab. Sein Vorgänger wurde 1975 sechs Mal für den Oscar nominiert, erhielt aber lediglich einen (Ingrid Bergman für die weibliche Nebenrolle). Eine Prognose: Bei der Oscar-Verleihung am 4. März 2018 hat "Mord im Orient-Express" gute Chance, seinen Vorgänger zu toppen.

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