... und schon wieder 17 Bücher, kurz vorgestellt

... und schon wieder 17 Bücher, kurz vorgestellt
Diesmal: Gustav Mahler, Alma Seidler, Istanbul, Grönland, die Gabel der Menschenfresser und das Buch, das die FPÖ so ärgert.

Gustav Mahler ist hilfreich

Das ist neu: Hat eine Kuh Bauchschmerzen, hilft im Stall Musik von Gustav Mahler. (Wundert’sMahler hat in Toblach oft im Sommer komponiert.) Der Südtiroler Commissario Grauner hat es ausprobiert. Klappt vorzüglich. Die gute Mara lässt platschen. Leider kann Grauner  sich ihr nicht länger widmen – seine Frau zieht das Kabel aus der Steckdose. Was ist los? Zwei nackte Frauenleichen liegen, eng umschlungen, in einer Apfelplantage. Man lernt sture, geschwätzige Obstbauern kennen, der Comissario mag lieber Rinder – und: „Er schob einen Turm Zwiebeln auf ein Stückchen Kalbskopffleisch.“

Lenz Koppelstätter:
„Das Tal im Nebel“
Taschenbuch.
Kiepenheuer & Witsch.
288 Seiten.10,30 Euro.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

Wenn Gott will, schießt ein Besen

Reportagen aus dem Gerichtssaal hatten in Österreich schon bessere Zeiten. Wer weiß noch, dass Peter Michael Lingens Seiten im KURIER gefüllt hat? Oder Elisabeth Zacharia, Gabriele Mentzel, Ricardo Peyerl ...  Und wem sagt die Hamburgerin Peggy Parnass etwas? Sling in Berlin-Moabit? Schön, dass es Junge gibt, deren Arbeiten geschätzt und sogar zum Buch werden. Raquel Erdtmann schreibt für die Frankfurter Allgemeine. Justizkritik ist ihre Sache nicht. Aber das Leben fängt sie gut ein. Das Leben, über das der einst berühmte Sling festgestellt hat: Wenn Gott will, schießt ein Besen.

Raquel Erdtmann:
„Und ich würde es wieder tun“
Fischer Taschenbuch.
256 Seiten.
15,50 Euro.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Politik, in Latrinen gemacht

Einer der „seltsamsten Orte der Antike“  ist noch dazu ein besonderer Ort des Wissens: eine Latrine in Salamis auf Zypern. 44 Toilettensitze im Halbkreis, darunter ein Wasserkanal. Dort diskutierten die Wohlhabenden, Politik wurde gemacht. „In“ war, wer „drin“ war. Ähnlich in Ephesos, wo die Sitze für bestimmte Berufsgruppen reserviert waren. Martin Zimmermann, Münchner Uniprofessor für Alte Geschichte beschreibt auch Geisterstädte, goldene Pferdeställe, den Eingang zur Unterwelt, die Urstadt der Menschheit  ... Vorher ahnte man gar nicht, wie neugierig man auf diese Geschichten ist.

Martin Zimmermann:
„Die seltsamsten Orte der Antike“
Illustriert von Lukas Wossagk.
Verlag C.H.Beck.
336 Seiten. 22,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

Alma Seidler, vollendet

Persönliches Lieblingsbuch der Woche – weil’s so wenig  gibt über Alma Seidler (1977): eine Jahrhundertschauspielerin, die relativ unbekannt ist. Trotz 10.000 Vorstellungen im Burgtheater, trotz der Liebe von Publikum UND Kritikern UND Kollegen. Als „vollendet“ gilt sie. Aber sie mochte kein Tamtam. Ging nie ins Ausland.  Spielte im Film Nebenrollen. Das Buch ist randvoll mit Daten und  Leben: Sohn im Widerstand, der Ehemann – Jude – im Schweizer Exil. Oskar Werner trug als Talisman immer ihren Schlüsselbund in der Hose. Wer sie nie gesehen hat: Jetzt wird er sie trotzdem lieben.

Bernhard A. Macek:
Alma Seidler
Verlag Morawa Lesezirkel.
316 Seiten.
18,50 Euro.

KURIER-Wertung: ****

 

Was es heißt, Weltbürger zu sein

 Eine Stadt – drei Namen. Byzanz und Konstantionopel und Istanbul. Noch dazu: eine reale Stadt und eine aus den Erzählungen. In Istanbul kollidieren Geschichte und Geschichten. Hier schauen Ost und West einander sehnsuchtsvoll an. Die Britin Bettany Hughes – Historikerin und Bestsellerautorin –  schreibt: Wer Istanbul kennt, der weiß, was es heißt, Weltbürger zu sein. Wer ihre Istanbul-Biografie  kennt, der weiß, dass man die vielen Fakten  durch Liebe zur Stadt zu Literatur machen kann. Bis zum letzten Kalifen reicht das Buch.  Orhan Pamuks Romane könnten  die anschließende Lektüre sein.

Bettany Hughes:
Istanbul
Übersetzt von Susanne Held.
Mit 92 Abbildungen und Karten. Verlag Kett-Cotta. 940 Seiten. 36 Euro.

KURIER-Wertung: *****

Die Tür bleibt für die Toten offen

Die Schriftstellerin Karin Ivancsics – eine gebürtige Burgenländerin, die in Wien lebt – gehört zu jenen, die sagen: Man sollte jeden Tag ein bissl sterben üben. Ihr aktueller Roman  ist eine gute Gelegenheit, mit dem Verdrängen aufzuhören. Er handelt von einer Frau, die gern Lieder von Prince hört und die Tür immer einen Spalt offen lässt. Denn dann klopfen Verstorbene an und treten ein und führen sie  „da oben oder sonstwo, unter uns, neben dir und mir“ in ihre Gesellschaft ein. Ist aber nicht ganz ungefährlich. Man kann sich verirren. Das will man ja nicht glauben, aber: Eine Geschichte wie „Die Gastgeberin“   tut gut.

Karin Ivancsics:
„Die Gastgeberin“
Verlag Bibliothek der Provinz.
160 Seiten.
18 Euro.

KURIER-Wertung: ****

Das Buch, das die FPÖ ärgert

Das ist das Buch, das die FPÖ aufregte, weil es in der „ZiB“ vorgestellt wurde, und die FPÖ will so was im ORF nicht haben, nein, nein. Seither klettert das Buch die Bestsellerlisten hinauf, und das kann nicht schaden. Spott  tut zwar weh. Aber in Florian Scheubas kurzen Texten steht die Wahrheit im Vordergrund, Aufklräung - und das tut noch  viel mehr weh.

Florian Scheuba:
„Schrödingers Ente“
Brandstätter Verlag.
176 Seiten.
22 Euro.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

Wege für Gewalt und Weisheit

Weltgeschichte, vereinfacht vom britischen Historiker Peter Frankopan für kleine Menschen. Und „große“ profitieren. Auf den Seidenstraßen – Zentralnervensystem, das die Organe miteinander verbindet – wurden nicht nur Gewürze und Menschen transportiert, sondern Krankheiten, Kriege, Ideologien und manchmal  Weisheit.

Peter Frankopan:
„Die Seidenstraßen“
Übersetzt von Nortbert Juraschitz.
Illustriert von Neil Packer. Rowohlt
Verlag. 128 Seiten. 20,60 Euro.

KURIER-Wertung: ****

Der Überfallene ist so anders

Ungewöhnlich für die Irin. „Der dunkle Garten“ gehört nicht zu ihren Dubliner Kriminalromanen. Die Geschichte fängt  spät  an, spannend zu sein. Aber sie ist immer interessant: Ein liebenswürdiger junger Mann ist nach einem Überfall so anders – so unangenehm. Aber schon Shakespeare sagte: Wir wissen, was wir sind, aber nicht, was wir werden.

Tana French:
„Der dunkle Garten“
Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Scherz Verlag. 656 Seiten. 17,50 Euro.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

Kannibalen aßen mit der Gabel

Seit dem Mittelalter wird Exotisches gesammelt. Wobei man früh merkte: Muscheln sind problemloser als ausgestopfte Vögel, denn in ihnen macht es sich Ungeziefer bequem. Streifzug durch Sammlungen und zu Exponaten. Die Spezialgabel von Kannibalen für ein bessere Herausreißen von Menschenfleisch ist der absolute Hit.

Thijs Demeulemeester:
„Wunderkammer“
Prestel Verlag.
176 Seiten.
30,90 Euro.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

Unendlichkeit über dem Polarkreis

Wo die Gletscher verschwinden, tauchen Gebirge auf, in Schwarzblau, Rot, Grün. Der amerikanische Geologe  Glassley erforschte über dem Polarkreis einen 150 km breiten Landstrich. von Fels zu Fels. Diese Wildnis ist kein Ort, sondern eine Erfahrung. Er ist in der Lage zu beschreiben, was die Schönheit mit einem macht – und was Unendlichkeit ist.

William E. Glassley:
„Eine wildere Zeit“
Übersetzt von Christine Ammann.
Kunstmann Verlag.
224 Seiten. 22,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

Der Gugelhupf war ihm nicht egal

„Ich bin ein Sammler von guten Menschen.“ Zitat Ludwig Wittgenstein, dessen große, anstrengende Familie  sich ebenfalls  Menschen einverleibte.  Smalltalk verboten. Aus dem zum Teil bisher unveröffentlichten Briefwechsel des Philosophen mit seinen Geschwistern kann man sein Werden beobachten. Sogar Gugelhupfformen waren ihm Überlegungen wert.

Brian McGuinness und Radmilla Schweitzer (Hrsg.): „Wittgenstein – Eine Familie in Briefen“. Übersetzt von Joachim Schulte. Haymon
Verlag. 384 Seiten. 29,90 Euro.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

Lieber Rio Bravo als Rio Grande

Man kann sich die Geschichte vom Ufer des Rio Grande aus anschauen. Oder vom Rio Bravo. Zwei Namen für einen Fluss – es macht  den amerikanisch-mexikanischen Unterschied. Sozialanthropologin Heufelder sitzt lieber am Rio Bravo. Ihr  Wissen teilt sie ohne moralischen Zeigefinger mit – jedoch: Für jede 15 Meter hohe Mauer gibt es eine 16 Meter hohe Leiter.

Jeanette Erazo Heufelder:
„Welcome to Borderland“.
Berenberg Verlag.
160 Seiten.
25,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

Vorsicht, Bruder hört mit!

Mela Hartwig (1893–1967) gehört zu jenen Wiener Schriftstellerinnen, die wiederentdeckt, vergessen, wiederentdeckt, vergessen wurden. In „Inferno“, dem Roman aus dem Nachlass, muss sich eine 18-Jährige entscheiden, ob sie die Nazis unterstützen oder bekämpfen soll. Ihrem Bruder  ist Denunziation jederzeit zuzutrauen. Ein Bild aus Angst und Zerrissenheit.

Mela Hartwig:
„Inferno“.
Nachwort von Vojin Saša
Vukadinović. Literaturverlag Droschl.
216 Seiten. 20 Euro.

KURIER-Wertung: ****

Die Tote wartet auf Miroslav Nemec

Der „Tatort“-Kommissar hat seinen zweiten Krimi geschrieben, in dem er
 (= berühmter Schauspieler) die Hauptrolle spielt. Der erste, „Die Tote von der Falkneralm“ , war ein Kammerspiel, jetzt wird Miroslav Nemec kompromittiert, erpresst, und muss in sein Geburtsland Kroatien, wo – in Rijeka – bereits eine Tote auf ihn wartet. Naja. Sehr naja.

Mela Hartwig:
„Inferno“.
Nachwort von Vojin Saša
Vukadinović. Literaturverlag Droschl.
216 Seiten. 20 Euro.

KURIER-Wertung: ***

Bevor der Vulkan das Paradies zerstörte

Inselhüpfen in der Karibik 1887 ... und die schönste Zeit des Lebens in St-Pierre auf Martinique. Lafcadio Hearn, Journalist und Schriftsteller, hat es so empfunden und alle Farben eingefangen, von den Menschen und Pflanzen. Er hat sozusagen aufbewahrt. 1902 wurde St-Pierre von einem Vulkanausbruch zerstört. Den Wiederaufbau erlebte Hearn nicht.

Lafcadio Hearn:
„Die Inseln über dem Winde“.
Übersetzt von Alexander Pechmann. Verlag Jung und Jung.
144 Seiten. 20 Euro.

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

Nach der Odyssee war er erwachsen

Muss das ein tolles Vater-Sohn-Verhältnis gewesen sein ... Auf  Reisen hat der Alte den Jungen aus dessen „Eingeschlossenheit“ befreit, zuletzt gab’s 1967  eine Mittelmeerfahrt auf einem Frachter. Hanns-Josef Ortheil war 16 Jahre alt: Eine Odyssee ins Erwachsenenleben mit Fieber und Küssen. Damals schon Schriftsteller, wurde aus dem Erlebten, das er notiert hatte,  jetzt dieses Buch.

Hanns-Josef Ortheil:
„Die Mittelmeerreise“
Luchterhand Verlag.
640 Seiten.
24,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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