Ulli Lust: "Ich schlachte deinen Text"

Szenen aus „Flughunde“: Die Hitlerjungen bereiten den „Aufmarsch der Weltkriegskrüppel“ vor
Die Künstlerin Ulli Lust zeichnete Marcel Beyers Roman "Flughunde".

Zwei Punk-Mädchen auf einem Trip quer durch Europa: "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" heißt die autobiografische Graphic Novel, mit der Ulli Lust bekannt geworden ist. Die freche Road-Story wurde mit Preisen überhäuft. Für ihre Adaption von Marcel Beyers Roman "Flughunde" wurde die in Berlin lebende Österreicherin nun als Beste deutschsprachige Comic-Künstlerin mit dem "Max und Moritz-Preis" ausgezeichnet.

Der erschütternde Roman, der nach seinem Erscheinen 1995 in 15 Sprachen übersetzt wurde, erzählt vom Zweiten Weltkrieg aus der Sicht einer der Töchter Goebbels. Ulli Lust ist es gelungen, dem verstörenden Roman ihre eigene Note des Grauens zu verleihen. Sie hat ihn "geschlachtet und neu zusammengesetzt".

KURIER: Comic gilt traditionell als Männer-Domäne. Wie haben Sie sich da durchgesetzt?

Ulli Lust: Heute wird in Comics ein weites Themenspektrum verhandelt, deshalb interessieren sich auch mehr Leserinnen dafür und die Verlage suchen nach neuen Stoffen. Ich hatte das Glück, mit dem Zeichnen von Comics anzufangen, als sich die Szene gerade geöffnet hat. Ich musste mich nicht durchsetzen,ich wurde willkommen geheißen. Letzten Herbst habe ich den amerikanischen Ignatz-Award gewonnen. In meiner Kategorie "Best Graphic Novel" waren fünf Bücher nominiert und alle fünf stammten von Autorinnen. Das war auch für die USA ungewöhnlich, aber gibt einen guten Ausblick in die Zukunft.

Warum haben Sie sich jetzt für "Flughunde" entschieden?

Die düstere Atmosphäre des Romans hat mich angeregt, ich war beeindruckt vom Text und habe ein Faible für historische Comics. Vor allem aber habe ich in Helga Goebbels, der ältesten Tochter von Hitlers Propagandaminister, eine faszinierende Hauptfigur gefunden.

Darf man das als feministisches Statement werten? Einen Comic mit weiblicher Hauptfigur?

Ja. Ich hatte eine weibliche Protagonistin gesucht.

Berühmt geworden sind Sie mit Ihrer Road-Story "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens", ein autobiografisches Projekt, dem man Ihre große Erzähllust anmerkte. Hat Ihnen das bei den "Flughunden" nicht gefehlt? Anders gefragt: Haben Sie auch weitere autobiografische Projekte?

Ich wollte immer schon eine Literaturadaption machen. Adaption – wie ich sie verstehe – bedeutet, als Szenarist und Zeichner mit dem Stoff frei umgehen zu dürfen. Und glücklicherweise hat mir das der Autor Marcel Beyer auch gestattet. Ich zeichne nie Fiktion. Normalerweise adaptiere ich Realität in meinen Comics und hier war die Vorlage eben ein großartiger Roman mit dokumentarischen Anteilen. Ich habe zu Marcel Beyer gesagt:"Entschuldige bitte, ich bin grade dabei, deinen Text zu schlachten und neu zusammenzusetzen." Er hat nur genickt und gesagt:"Natürlich. Das musst du." Jetzt arbeite ich wieder an einem autobiografischen Comic.

Was muss ein guter Comic können, um Sie zu interessieren?

Für gute Comics gilt dasselbe wie für gute Filme, Bücher, Fernsehserien: Wenn der Leser vergisst, dass er liest, dass er Druckerschwärze auf Papier betrachtet, wenn die Szenarien und Figuren in seinem Kopf lebendig werden, wenn er mitfühlt und bangt, dann hat er ein gelungenes Werk vor sich. Das Prädikat "gut" verleihe ich einem Werk, wenn es sich nach der Lektüre in meinem Kopf einnistet und nicht aufhört, mein unteres und oberes Bewusstsein zu beschäftigen.

Nach den Literatur-Graphic-Novels sehen wir zurzeit besonders viele politische Geschichten: Unter Ihren Mitbewerbern beim Max&Moritz-Preis war etwa eine Flüchtlings-Geschichte. Wohin entwickelt sich das? Gibt es im Comic Trends?

Der Comic hat sich inhaltlich aus den engen Genre-Grenzen befreit und behandelt alle möglichen Stoffe, wie es die geschriebene Literatur auch tut. Preisjurys und Pressevertreter haben eine Vorliebe für politische Geschichten, deshalb tauchen sie in der öffentlichen Wahrnehmung häufiger auf.

Sie haben Comic-Reportagen über Berlin veröffentlicht. Wann kommt endlich Wien dran?

Wien wurde nicht übergangen: Ich habe im MuseumsQuartier gezeichnet und im Rahmen der Aktion "Zeichner gehen ins Museum" im Museum der Stadt Wien. Der lange autobiografische Comic, an dem ich derzeit arbeite, spielt in Wien Mitte der Neunzigerjahre und ich zeichne mit großem Vergnügen Lokalkolorit.

Szenen aus "Flughunde"

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Ulli Lust, Comiczeichnerin und graphic-novelist…

INFO: Ulli Lust, Marcel Beyer: „Flughunde“. Suhrkamp. 364 Seiten. 25,70 Euro.

Ulli Lust*1967 in Wien, lebt in Berlin und hat eine Professur für Illustration und Comic in Hannover inne. Ihr autobiografischer Comic „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ wurde in 7 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet (u. a. LA Times Book Award). Ihre Comicreportagen werden auch in französischen Zeitungen veröffentlicht.

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