Der Verein „All for Ukraine“ veranstaltet am 21. Februar unter dem Titel „United for Ukraine“ ein Benefizkonzert in der Wiener Stadthalle. Der Eintritt zu diesem Event, bei dem heimische und ukrainische Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne stehen werden, ist nach persönlicher Vorreservierung gratis. Nach Wien kommt auch die Sängerin Sussana Dschamaladinowa, die als Jamala 2016 mit dem Lied „1944“ für die Ukraine den Song Contest gewonnen hat.
Der KURIER hatte die Möglichkeit, den ukrainischen Superstar schriftlich zu erreichen, bei der 40-Jährigen nachzufragen, wie die aktuelle Situation in der Ukraine ist, warum Putin nach ihr fahndet und ob sie an einen (baldigen) Frieden glaubt.
KURIER: Das Wichtigste zuerst: Wie geht es Ihnen?
Jamala: Ich arbeite, mache neue Musik, versuche zu leben und zu lächeln, aber im Allgemeinen geht diese Angst, diese Traurigkeit nirgendwo hin. Denn Krieg ist jeden Tag.
Wo leben Sie gerade?
Ich habe grundsätzlich mein ganzes Leben in Kiew verbracht: Ich habe in Kiew studiert und bin Ehrenbürgerin der Stadt. Aber während dieser zwei Kriegsjahre war ich ständig unterwegs. Der Krieg hat mich zu einer Nomadin gemacht. Dabei ergreife ich jede Chance, um der Ukraine, den Bewohnern dieses Landes zu helfen. Allein in den letzten drei Monaten war ich dafür sehr viel unterwegs, habe an Wohltätigkeitsveranstaltungen in Australien, den USA, Frankreich, Litauen und anderen Ländern teilgenommen. Meine Kinder leben in Warschau, also bin ich auch oft in Polen.
Kürzlich hat Russland Sie zur Fahndung ausgeschrieben. Wissen Sie warum? Und wie gehen Sie damit um?
Wie viele andere Ukrainer und Ukrainerinnen auch, poste ich in den sozialen Medien das, was ich sehe und denke. Ich sammle Spenden zur Unterstützung der Ukraine, versuche, unsere Schulen wieder aufzubauen. Vielleicht ist Putin entsetzt über meinen Einfluss, den ich mir mit meiner Musik erarbeitet habe. Ich bin keine Politikerin, sondern eine Sängerin, die sich zu 100 Prozent ihrer Arbeit widmet – und die sich nicht zum Schweigen bringen lassen wird.
Fühlen Sie sich überhaupt noch sicher?
Das ist eine schwierigste Frage: Im Moment fühle ich mich nicht sicher, denn in der Ukraine herrscht nun schon das zweite Jahr dieser furchtbare Krieg. Ich fühle mich immer in Gefahr, wenn ich in Kiew bin.
Am 24. Februar 2024 jährt sich der Beginn des russischen Angriffskrieges zum zweiten Mal. Können Sie sich noch erinnern, was Sie an diesem Tag, am 24. Februar 2022, gemacht haben?
Als die Invasion in vollem Umfang begann, empfand ich einen unbeschreiblichen Schmerz angesichts der Tatsache, dass wir wieder einmal fliehen und noch mehr leiden müssen. Denn meine Kinder sind bereits die 5. Generation, die vor den Russen flieht. Zunächst war es die Krimfeldzüge. Dann, 1944, wurde meine Urgroßmutter mit fünf Kindern im Arm aus ihrem Dorf auf der Krim nach Asien vertrieben. Während dieser Reise starb ihre Tochter und wurde von sowjetischen Soldaten wie Abfall weggeworfen. Und seit zwei Jahren geht es weiter: Am ersten Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine herrschte ein Schockzustand. Ich erinnere mich, wie wir aus Kiew herausfuhren, um die Kinder zu holen, als eine Rakete vor uns einschlug und wir nicht wussten, wohin wir gehen sollten. Es gab riesige Staus, viele Autos standen still und bewegten sich nicht. Es war beängstigend.
Wie sieht momentan der Alltag in der Ukraine aus?
Heute Morgen bin ich zum Beispiel um sechs Uhr in der Früh aufgewacht, weil es Explosionen gab. Russland hat etwa 20 Raketen auf Kiew abgefeuert. Durch den Angriff wurden 40 Menschen verletzt und vier Menschen getötet. Durch die Beschädigung des Heizungsnetzes sind nun viele Wohnhäuser ohne Heizung. Und in einem der Kiewer Stadtteile stand ein Hochhaus in Flammen. Diese Rakete hätte auch in mein Haus fliegen können. Nachdem der Luftalarm beendet war, las ich alle Nachrichten, frühstückte, packte meine Sachen und ging zu einem Fototermin. Unmittelbar nach dem Termin rief ich meine Freunde an, um zu fragen, wo sie sind und wie es ihnen geht. Vor drei Tagen fand in Kiew die nationale Auswahl für den diesjährigen Eurovision Song Contest in Schweden statt, wo ich Mitglied der Jury war. Leider musste das Ganze in einem Luftschutzkeller stattfinden.
Wie könnte Frieden erreicht werden?
Wir alle kämpfen für das Recht, in unserem Land zu leben – unabhängig von ethnischer Herkunft, sexueller und religiöser Orientierung. Wir sind ein Volk und wollen in einem freien und unabhängigen Land leben. Wenn wir jetzt zu Russland sagen: „Okay, wir haben Angst und hören auf“, dann werden wir keine Heimat, keinen Frieden haben. Das funktioniert nur, wenn die Russen aufhören, uns zu beschießen, aufhören unsere Männer, Frauen und Kinder zu töten; aufhören uns auszurauben und uns zu vergewaltigen. Wenn das aufhört, ist auch der Krieg beendet.
Was vermissen Sie derzeit am meisten?
Am schwersten ist es für mich, die Kinder wochenlang nicht zu sehen. Erst waren sie in Istanbul, jetzt in Warschau – bei den Eltern meines Mannes. Natürlich haben sie alles, was sie brauchen: Essen, Kindergarten, Liebe, Betreuung. Aber ich bin traurig, dass ich diese Zeit, die ich mit ihnen verbringen könnte, jetzt verliere. Wahrscheinlich ist das jetzt das Opfer von jedem von uns, der wirklich nicht aufhört und etwas gegen diesen Wahnsinn tut. Ich möchte, dass wir alle zusammen wieder in Frieden und in Freiheit in der Ukraine leben können. Ich werde auch alles dafür unternehmen, damit das bald wieder möglich sein wird.
Wie geht es den Kulturschaffenden, Musikern und Künstlern in der Ukraine? Sind viele in der Ukraine geblieben oder sind die meisten von ihnen ins Ausland gegangen?
Ich kämpfe mit anderen Künstlern an der kulturellen Front für unseren gemeinsamen Sieg im Krieg. Von meinen Musikerfreunden sind alle in der Ukraine geblieben und arbeiten weiter. Durch Musik kann man mehr Empathie wecken als durch jede politische Rede.
Wo produzieren Sie derzeit Ihre Musik? Wann werden Sie ein neues Album veröffentlichen?
In den ersten vier Monaten nach Ausbruch des Krieges konnte ich überhaupt nichts Neues schreiben. Das erste Lied, das ich während des Krieges schrieb, war "Thank you, Stranger". Dazu habe ich in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium ein Video gedreht, um den Bewohnern der Nachbarländer dafür zu danken, dass sie ukrainischen Flüchtlingen Obdach gewähren. Dann erschien meine EP "POKLYK". Ich habe sie überall aufgenommen: im Auto, im Flugzeug, mit einem Diktiergerät. Ich erinnere mich auch, dass ich in der Musikschule meiner Schwester in Istanbul saß, dort entstand der Song "Take Me To A Place". Was mir in der Ukraine fehlt, ist ein Tonstudio, ein Ort, wo ich in Ruhe aufnehmen kann. Trotzdem schaffe ich es, Musik zu machen, weil sie ein wichtiger Teil meines Lebens ist, etwas, ohne das ich nicht leben kann. Über das neue Album kann ich noch nichts sagen, denn erst im Mai 2023 habe ich mein letztes Album "QIRIM" vorgestellt. Darauf verarbeite ich die krimtatarischen Kultur, über die die Welt so wenig weiß. Ich habe das Album auch bereits zweimal in Begleitung von Orchestern präsentiert: in Kiew mit dem Nationalen Symphonieorchester der Ukraine und in Liverpool, wo die Weltpremiere mit dem BBC Orchestra stattfand. Das waren außergewöhnliche Emotionen, die ich hoffentlich irgendwan wieder wiederholen kann.
Sie singen nicht mehr so viel auf Englisch, sondern zunehmend in Ihrer Muttersprache. Tun Sie das, um den Ukrainern eine Stimme zu geben?
Was Lieder auf Englisch betrifft, so habe ich im August letzten Jahres eine Coverversion von Madonnas "Frozen" präsentiert. Für mich war bei diesem Cover wichtig, dass Madonna einer der einflussreichsten Hollywood-Stars ist, sie war eine der ersten, die die Ukraine unterstützt hat, und ich wollte "Danke" sagen, aber auf meine eigene Art und Weise, damit es keine weitere Kopie von Madonna wird. Ich wollte ein Cover machen und meine charakteristischen Stücke hinzufügen, und der Teil in "Frozen", der symphonisch war, wurde zu "Mugham". Ich mache Musik, die in erster Linie mit mir in Resonanz steht.
Was wollen Sie mit Ihrer Musik erreichen?
Ich träume davon, dass die Ukraine auf der Weltkarte der Musik erscheint. Wenn wir spanische, französische oder italienische Musik hören, empfinden wir sie als etwas Besonderes: sei es ein französisches Chanson mit einem einzigartigen Charme, seien es sanfte italienische Kompositionen oder lateinamerikanische Rhythmen. Ganz zu schweigen von amerikanischem Jazz oder britischer elektronischer Musik, die sich ihren festen Platz in den Charts erobert haben. Ich möchte, dass das auch die Musik aus der Ukraine schafft. Mit der Veröffentlichung meines Albums "QIRIM" konnte ich dazu bereits einen kleinen Beitrag leisten - es wurde kürzlich in der Kategorie "Bestes globales Musikalbum" nominiert. Unerwartet für uns war das Album auch der Spitzenreiter des Spotify-Streamingdienstes in Kroatien, und es wurde bereits in Polen, Griechenland, Amerika, Kanada, Georgien, Jordanien, der Türkei, Polen, Lateinamerika, Spanien, den Niederlanden und sogar in Japan gespielt. Wir bekommen von überall auf der Welt Rückmeldungen. Es war sehr schön, Feedback von einigen wirklich herausragenden Musikern und Komponisten zu bekommen, darunter war auch Gregory Porter. Es ist wirklich interessant, dass die Leute unabhängig vom Genre sagen, dass es sie in eine andere Welt versetzt, und genau das brauche ich. Einer meiner Träume war es, die Musik von "QIRIM" auf Weltniveau zu bringen und neben spanischer, lateinamerikanischer, kubanischer und anderer Musik zu hören, und jetzt wird dieser Traum wahr.
Werden Sie mit einer Band in Wien auftreten, was dürfen sich die Besucher erwarten?
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass dies ein sehr wichtiger Auftritt für mich ist, denn letztes Jahr bin ich am selben Tag in London am Trafalgar Square aufgetreten. Mein Auftritt war dem Jahrestag des Krieges in der Ukraine gewidmet. Und dieses Jahr werde ich am selben Tag in Wien auftreten. Für mich ist das ein wichtiges Konzert. Es ist auch für alle Ukrainer wichtig, denn sie haben nicht vergessen, dass der Krieg noch andauert. Während des Konzerts "United for Ukraine" werde ich Lieder singen, die ich hauptsächlich in Europa singe. Es wird "1944" sein, der Song, mit dem ich den Eurovision Song Contest 2016 gewonnen habe, sowie "Take Me To A Place", mit dem ich es in die Top drei der beliebtesten Künstler auf der Spotify Equal 2023 Global Playlist geschafft habe.
Benefizkonzert: Rund um das Benefizkonzert „United for Ukraine“ am 21. 2. in der Wiener Stadthalle wird zu Spenden für „Nachbar in Not“ aufgerufen. Derzeit ist das Ticketkontingent aufgebraucht. Morgen, Montag, soll es aber wieder die Möglichkeit geben, unter www.stadthalle.com Karten zu reservieren. Neben Jamala treten noch die beiden ebenfalls aus der Ukraine stammenden Musiker Tina Karol und Zlata Ognevich sowie die österreichische Sängerin Ina Regen und der Austro-Isländer Thorsteinn Einarsson auf. Das Konzert wird aufgezeichnet und am 23. Februar (22.45 Uhr) in ORF1 zu sehen sein.
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