Twin Peaks: Fernsehen ist nicht, was es scheint

In der Nacht auf Montag geht die Kultserie nach mehr als 25 Jahren weiter. Mit "Twin Peaks" revolutionierte David Lynch ab 1990 die Fernsehwelt nachhaltig.

Einer der seltsamsten Menschen in Hollywood bringt eine der seltsamsten Serien der Welt nach der längsten Pause aller Zeiten wieder auf Sendung. David Lynch hat zweieinhalb Jahrzehnte verstreichen lassen, bis er "Twin Peaks" fortgesetzt hat. Die Serie hat einst das Fernsehen inhaltlich verändert. Bis zu ihrer Fortsetzung haben sich auch die Rahmenbedingungen für das, was wir früher TV nannten, von Grund auf revolutioniert. Auf HD folgte 4K, auf Streaming folgte die Kino-Krise. Und was heißt das heute überhaupt, "TV"? Der größte Teil des Publikums wird die Fortsetzung von "Twin Peaks" streamen.

Erstaunlich wenig hat sich an der Rezeption von "Twin Peaks" verändert. Die verschrobene Mystery-Serie aus dem kleinen Holzfällerort im Bundesstaat Washington ist konserviert. Kein Wunder: Die Story war schon in den Neunzigerjahren einigermaßen aus Raum und Zeit gefallen. US-Filmkritiker Jordan Hoffman hat wie viele andere Fans beim Erzählen noch heute glänzende Augen: "Ist es ein Krimi? Ja! Ist eine Seifenoper? Ja! Ist es ein völlig gestörter, avantgardistischer, surrealistischer, psychosexueller Bewusstseinsstrom? Ja! All das ist es – und mehr!"

Coming-of-Age

Was hatte Lynch für Figuren aufgefahren: Das mysteriöse Mordopfer Laura Palmer, ihre unter allen Zwängen heranwachsenden, leidenden Teenagerfreunde, die das Ganze zu einer Art Coming-Of-Age-Geschichte machten. Ein Einarmiger, ein Kleinwüchsiger, ein Dämon, die Frau, die mit dem Holzscheit sprach. Und mittendrin Agent Dale Cooper, der als FBI-Agent aus der großen Stadt ins Holzfällerkaff reiste und den dortigen Kirschkuchen lieben lernte. Als "Twin Peaks" ausgestrahlt wurde, blieb kein Stein auf dem anderen: Lynch hatte die Spielregeln für Fernsehserien auf einen Streich völlig neu geschrieben. "Twin Peaks" wurde zum Social Event: Teenager und Erwachsene verabredeten sich zu Kirschkuchen und Kaffee, um gemeinsam die neueste Folge anzusehen.

1992 folgte ein Kinofilm, der den schönen und rätselhaften Titel "Fire walk with me" trug und in Cannes ausgebuht wurde. Quentin Tarantino, der damals im Publikum saß, verwendete öffentlich einige Kraftausdrücke in Richtung Lynch, um das Gesehene zu verarbeiten.

Mit 18 neuen Folgen können die Fernsehzuschauer in die Kleinstadt zurückkehren, in der alles möglich zu sein scheint. Nicht nur Kyle MacLachlan als FBI-Agent Dale Cooper ist wieder mit dabei. Auch Mädchen Amick (Shelly Johnson), Sherilyn Fenn (Audrey Horne), Ray Wise (Leland Palmer) und viele andere haben sich an der Fortsetzung beteiligt. Unter den mehr als 200 Darstellern sind laut Medienberichten auch eine Reihe neuer prominenter Gesichter – Laura Dern, Ashley Judd, Tim Roth, Naomi Watts und Michael Cera.

Kimmy Robertson (die kieksstimmige Polizeisekretärin Lucy Moran) sagt: "Es ist, wie einen Handschuh anzuziehen, den man vor 25 Jahren verloren hat. Man ist aufgeregt, und dann sitzt alles immer noch perfekt."

Zu sehen ist das hierzulande in der Nacht auf Montag auf der Onlineplattform Sky Go, am Donnerstag auf Deutsch auf Sky Atlantic. An diesem Tag wird "Twin Peaks" übrigens auch beim Filmfestival in Cannes gezeigt – Lynch weigerte sich dem Vernehmen nach, die Serie im Kino zu starten.

Fröhlicher Hype

Die ganze Welt scheint in einen fröhlichen Hype verfallen zu sein. Sogar der Originaldrehort, das Hotel Salish Lodge & Spa im idyllischen Kaff Snoqualmie erfreut sich guter Buchungen. Dort können Hardcore-Fans beim Rauschen des Wasserfalls aus der Originalserie in Lynchs neueste TV-Eskapaden eintauchen.

Was zu sehen sein wird, bliebt bis zuletzt ein streng gehütetes Geheimnis. Der verschrobene Regisseur hat lediglich rätselhafte und optisch imposante Trailer veröffentlicht. Die sonst bei diesen Gelegenheiten verwendeten Vorab-Screenings für die Fachpresse entfielen vollkommen und auch die Hauptdarsteller durften für ihre PR-Auftritte keinerlei Inhalte verwenden. Kyle MacLachlan, der Agent Dale Cooper erneut verkörpert, erklärte bei einem Talkshow-Auftritt lediglich: "So etwas haben Sie noch nicht im Fernsehen gesehen, auch im Kino nicht. Es wird die Welt erschüttern."

Mit der Fortsetzung erhält jedenfalls eine der rätselhaftesten Szenen von "Twin Peaks" endlich einen Sinn. Cooper begegnet 1990 als gealterter Mann Laura Palmer und einem Kleinwüchsigen. Laura sagt zu ihm: "Wir werden uns in 25 Jahren wiedersehen." Der kleine Mann ergänzt: "Deine Lieblingsserie kommt bald wieder in Mode."

Wer sich inhaltlich vorbereiten will, möge nicht nur die ersten beiden Staffeln anschauen, sondern auch den Kinofilm, raten die Produzenten. Den Rest muss man dann selbst verdauen.

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