Gabalier im Wiener Stadion: Feierstunde mit Früher-Fetisch
Andreas Gabalier liegt am Boden. Ein ungewöhnliches Bild, das einem während des Konzerts immer wieder begegnet: Der Star muss verschnaufen. Und das ausgerechnet am höchsten Gipfel: Am Samstagabend feierte der Schlagersänger im Ernst-Happel-Stadion in Wien die ersten zehn Jahre seiner in jeder Hinsicht einzigartigen Karriere. Die jüngste Erkrankung steckte ihm dabei noch merkbar in den Knochen. Trotzdem gab es eine Marathon-Show, viel Selbstlob – und genügend Gelegenheit zum Rückblick auf zehn Jahre Masse und Tracht.
Es war aber auch perfektes Timing, das zum Erfolg führte. Schon früh erspürte Gabalier (mittlerweile 34), was uns seither prägen würde. Und er nahm diese sich abzeichnende toxische Nostalgie, diese Ursprünglichkeits-Fantasie, diesen Früher-Fetisch, aus denen inzwischen Politik und Kultur zusammengebraut werden, und spritzte sie auf. Und zwar zu gleichen Teilen mit Skiwasser und Schnaps, bis daraus ein homöopathisches Mittel wurde, das er fortan hoch erfolgreich in Drei-Minuten-Songs verabreichte: Eine Dosis Gabalier hilft, wenn man ganz fest daran glaubt, gegen die große Identitätslücke, in die der Mensch der 2010er Jahre beim Smartphonewischen hineinfiel, ja überhaupt gegen all die zivilisatorischen Zumutungen des letzten halben Jahrhunderts.
Gabaliers Versprechen: Für einen Song oder drei Stunden Konzert kann man mit Stromgitarre und Lederhose gediegen all das vergessen, was schwierig ist. All das Neue halt. Und all das, was sich vielleicht gerade ändert.
Dieser Mann, das weiß man einfach, lässt sich sicher sein Schweinsschnitzel nicht verbieten. Mehr noch, er backt es so tiefgolden heraus, dass die Bürokraten in Brüssel in Tränen ausbrechen.
Das Schlüsselwort zum Eintritt in diese Rückzugswelt heißt “noch”: Denn man feiert zu Mitsingmelodien und leicht zu merkenden Refrains (das Konzert am Samstagabend verließ man mit “Hallo Halli Halli Hallo Halli Halli Hallo” im Ohr) einen stets in der Vergangenheit erreichten Idealzustand, der gegen den Abstieg ins komplizierte Heute verteidigt werden muss. Bei Gabalier ist die Welt also “noch in Ordnung”, die Männer sind noch Männer, die Frauen noch Lipstickladys, und der Sänger ist froh, dass er “noch hier oben stehen darf”.
Und weil sich dieses prototypische “Noch” in der Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert bei genauerer Ansicht irgendwie schwer verorten lässt, buchte Gabalier den Höhepunkt der Idylle halt in der Zeit der Stromgitarre ein: Er brachte den längst durch die Verklärungsmaschine gewursteten Rock’n’Roll ins Spiel, und mit welchen Worten diese Musik in den so gepriesenen 1950ern hierzulande beschrieben wurde, daran muss man ja wirklich nicht erinnern.
Es reimt sich jedenfalls auf Fegermusik.
Das alles jedenfalls unterhält heute ganz, ganz viele Menschen ganz hervorragend. Gabalier hat allen Grund zu feiern: Er ist der mit großem Abstand erfolgreichste heimische Musiker seit DJ Ötzi, und der war der erfolgreichste österreichische Musiker seit Falco. In Wien beschloss er nun eine Stadiontournee durch den deutschsprachigen Raum, die kein anderer in dem Alter auf die Beine gestellt hat. Und er brauchte nur ein paar Minuten, um das Publikum zu begeistern.
Während man noch rätselte, ob die Einzugsmelodie der “Imperial March” aus Star Wars war (war es nicht), stand Gabalier auf der Bühne, begrüßte “Wüüün”, meinte damit Wien und legte los. Und das trotz sichtbarer Nachwirkungen seiner jüngsten Erkrankung: “Verzeiht mir die kleine schwitzende Schwäche”, sagte er nach einer der zahlreichen Pausen, “mir rinnt des Wasser den Oasch owi”. Es ist, “Hand auf’s Herz”, das “körperlich härteste Konzert” seiner Karriere.
Aber das hält eine steirische Zirbelkiefer nicht auf!
(Wenn Sie sich jetzt gefragt haben, was das soll: Nachdem die dort verortete Eiche ja schon prominent besetzt ist, vergleicht sich Gabalier vor dem Konzert mit eben diesem Baum, aus dessen Trieben man, ein Vorteil, ja auch Schnaps destillieren kann.)
Gabalier spielt und spielt und spielt, und gibt nicht auf, macht einen Akustikteil, bezwingt ein streikendes Klavier (“shit happens”, sagt er), und singt von Glück, das verdammt lang her ist, es gibt Feuer und Schunkeln und viele Handy-Lichter, u.a. beim “Steirerland”. Auch das Confetti ist Rot-Weiß-Rot. Der Sound, zumindest im Pressebereich, ist hervorragend.
Gabalier lobt sich und seine Karriere, etwa dafür, als erster Österreicher ein MTV Unplugged aufgenommen zu haben, er lobt das "legendäre" Stadion und die Hauptstadt Wüüün, und dass es nur in Österreich so vie Euphorie und Texttreue gebe. Es ist der Triumphzug einer aus der Fiktion irgendwie in die Realität übergeschwappten Siegerfigur.
Und Gabalier hält auch wieder eine kleine Ansprache. Man kennt das ja: Gabalier rühmt sich gerne, das zu sagen, was man nicht mehr sagen dürfe, was aber dann eh jeder spätestens nach dem ersten Achterl sagt, und wenn jemand sagt, dass das politisch ist, was er sagt, dann sagt Gabalier, dass das nicht politisch ist.
Man will also bei den ersten Worten schon auf Durchzug schalten, aber wenn einer in Österreich “Jetzt erst recht” in ein volles Stadion ruft, dann spitzt man halt wieder die Ohren.
Na gut, also: Es hat, so weit so gut, in zehn Jahren ein “Highlight das andere gejagt”, sagt Gabalier diesmal, und nach diesem unfallfreien Einstieg geht es los, denn angesichts dessen mache es auch nichts, was “gewisse journalistische Randgruppen von sich geben”, und er freue sich, dass es hier “noch so viele normal tickende Leute gibt”, die für eine “gesunde Form der modern gelebten Tradition” zu haben sind”, und dass er “noch hier oben stehen” darf, und eben “jetzt erst recht” (wobei nicht ganz klar wird, warum “jetzt” und “erst recht”), und vor dem Konzert ließ er wissen, dass es offenbar Großstädter gebe, die mit seinen Werten “nichts mehr zu tun haben wollen, weil diese in der Großstadt mittlerweile unbekannt seien”.
Auch bei dieser aktuellen Partie Stadt, Land, Stuss gab es keinen Sieger, und das vorgeführte Gegenteilspiel ist für Spieler ab 0,5 Jahren geeignet: Wenn wir normal und gesund sind, wer muss dann noch fragen (oder aussprechen), was die anderen sind? Der Kulturredakteur glaubt, hier verhalteneren Jubel im Publikum ausgemacht zu haben als bei den weniger unnötigen Ansagen des Sängers.
Jetzt aber ist erstmal über allen Gipfeln Ruh. Mit dem Wienkonzert verabschiedete sich Gabalier in eine längere Pause, über die sich die Fans mit einer Anfang September erhältlichen Gesamtwerk-CD-Box hinwegtrösten können. Der Musiker will in dieser Zeit über das Geschehene reflektieren. Beim nächsten Monolog zahlt sich zuhören dann vielleicht wieder mehr aus.
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