Tolle Seelenakrobatik: Schnitzler in Reichenau

Reichenau
Arthur Schnitzlers "Der einsame Weg" bei den Festspielen Reichenau ist eine Ereignis

Arthur Schnitzler und die Festspiele Reichenau – diese Kombination passt seit inzwischen mehr als 25 Jahren einfach perfekt zusammen. Denn an der Rax stehen bekanntlich immer die Schauspieler im Zentrum. Und wenn man ein Drama wie „Der einsame Weg“ so besetzt, wie auch heuer wieder in Reichenau – dann, ja dann, wird selbst ein sperriger, zum genauen Zuhören nötigender Text zu einem Ereignis.

Böse Egoisten

Aber der Reihe nach: „Die Egoisten“ wählte Schnitzler für sein 1904 in Berlin uraufgeführtes Stück als (passenden) Untertitel. Denn Egoisten sind sie beide, der Maler Julian Fichtner und der dichtende Lebemann Stephan von Sala. Wie so oft geht es bei Schnitzler um Sünden von einst, um schwangere, aber sitzen gelassene Geliebte, um männliche Zyniker und um eine junge Generation, die aufgrund des Egoismus und der Brutalität der Altvorderen büßen muss. Und das Schauspiel handelt auch von zwei allmählich älter werdenden Herren: todgeweiht der Eine (Sala), in Einsamkeit gefangen der Andere (Fichtner) – beide stellen Ansprüche und Forderungen, ergehen sich in klugen, verbalen Vexierspielen. Bezahlen müssen das Einige, teils sogar mit dem Leben.

Vollendete Egoisten

Es sind Joseph Lorenz (Sala) und Miguel Herz-Kestranek (Fichtner), die diesen beiden Charakteren vollendetes Profil verleihen. Hinreißend, wie etwa Lorenz für seinen Sala sogar Sympathie erwecken kann. Abstoßend gut, wie er den jungen, in Sala verliebten Backfisch Johanna (irrlichternd gut: die begabte Alina Fritsch, Tochter von Regina Fritsch) beiläufig in den Selbstmord treibt. Berührend, wie er letztlich selbst den Freitod wählt.

Nicht minder grandios: Herz-Kestranek als Fichtner. Ein im Selbstmitleid badender Bonvivant, der glaubt, sich unter dem Deckmantel des Künstlertums alles erlauben zu dürfen, der aus Eigeninteressen seinen leiblichen Sohn Felix (fast) vernichtet.

Dominik Raneburger ist dieser gebeutelte Felix – ein junger und fescher Schnitzler-Leutnant aus dem Bilderbuch. Wie auch Sascha Oskar Weis als braver Arzt und Rainer Frieb als selbstlos liebender „Kunstbeamter“ Wegrat überzeugen. Dazu kommt Julia Stemberger in der Mini-Rolle der Gabriele – sie stirbt bereits nach dem ersten Akt. Viel luxuriöser kann man Schnitzler nicht besetzen.

Besonders dann nicht, wenn auch noch eine Regina Fritsch dabei ist. Was Fritsch aus der Figur der Irene Herms macht, ist ein Ereignis. Wie alle trifft sie den Tonfall des Autors perfekt, macht aus der eher kleinen Partie eine ganz, ganz große. Seelenakrobatik pur!

Hermann Beil hat all das in Peter Loidolts fein stilisiertem Bühnenbild (toll auch Licht und Kostüme von John Lloyd Davies bzw. Erika Navas) klug, weil völlig uneitel inszeniert. Schnitzler unverfälscht – so darf es auch sein.

Bewertung: Ein starkes Stück, das vor allem von Joseph Lorenz, Miguel Herz-Kestranek und Regina Fritsch mit Leben erfüllt wird. Grandioses, bejubeltes Schauspielertheater.

KURIER-Wertung: ***** von *****

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