Tobias Moretti als Beethoven: "Einen Giganten beim Schopf packen“
Von Gabriele Flossmann
Aufbrausend, jähzornig, griesgrämig – das ist das gängige Bild von Ludwig van Beethoven bis heute. Zweieinhalb Jahrhunderte, nachdem er in Bonn, genau am 17. Dezember 1770, getauft wurde, sind die Klischees noch in Kraft. An welchem Tag Beethoven geboren wurde, wissen wir bis heute nicht.
Doch es gab auch einen anderen Beethoven – jung, verführerisch, temperamentvoll, und vor allen Dingen kämpferisch. Als der Komponist Ludwig van Beethoven im Alter von 56 Jahren in Wien stirbt, taucht ein Testament auf, das er 25 Jahre vor seinem Tod verfasst hat. Es offenbart: Bereits in jungen Jahren ist Beethoven praktisch taub, noch bevor er die meisten seiner bahnbrechenden Werke komponiert hat.
Tobias Moretti spielt den vereinsamten Patriarchen am Ende seines Lebens: Überzeugender kann man Beethoven kaum darstellen.
KURIER: Sie haben die womöglich „undankbarste“ Lebensphase übernommen: Sie spielen den alternden Beethoven, der sich von der Welt unverstanden fühlt. Was hat Sie an dieser Rolle gereizt?
Tobias Moretti: Man hat immer das Klischee des alten Komponisten vor Augen, der nichts mehr hört und sich daher immer mehr in seine Innenwelt verstrickt. In Wahrheit begann Beethovens Gehörleiden schon im 27. Lebensjahr, weshalb die Lebensphasen des revolutionären und des zurückgezogenen, verbitterten Komponisten viel mehr ineinander verschwimmen. Natürlich ist man als Schauspieler von einem so unglaublichen Genie fasziniert. Aber zu viel Ehrfurcht ist da auch hinderlich. Man sucht daher, wie man so einen Giganten beim Schopf packen kann. In seinem Fall ist es klarerweise die Taubheit. Also versucht man, sich in den klaustrophoben Zustand hineinzuversetzen, aus dem Beethoven nur durch seine Musik ausbrechen konnte.
Beethoven war einer der ersten, der versuchte, sich aus der Abhängigkeit von Adelshäusern zu befreien. Hätte er sich Ihrer Meinung nach als freier Komponist musikalisch anders entwickelt?
Was seine revolutionären Ideen und die Ausbruchsversuche aus der Abhängigkeit betrifft, da heroisieren wir aus heutiger Sicht etwas, was sich vielleicht nicht ganz so abgespielt hat. Beethoven hat am Anfang sehr wohl versucht, diverse Hof-Stellungen zu ergattern. Dazu die Enttäuschung seiner Liebe zu Eleonore von Breuning und die Horrorvorstellung eines „Hauslehrer“-Schicksals. Eine Heirat wäre nie akzeptiert worden. Das hat sich auch in ihn hineingefressen. Aber all das treibt ihn in seine Radikalität als Künstler. Seine Musik hätte kaum radikaler sein können, wenn er unabhängig gewesen wäre. Eher umgekehrt. Wenn wir an die Große Fuge denken – damit war er ganz einfach fast 100 Jahre voraus.
Leben
Ludwig van Beethoven wurde am 17. Dezember 1770 in Bonn getauft und stirbt im Alter von 56 in Wien. Er ertaubt noch in jungen Jahren, bevor er die meisten seiner bahnbrechenden Werke komponiert hat
Film
Der aufwendig inszenierte Spielfilm „Louis van Beethoven“ geht Beethovens Mythos auf den Grund. Der Jungpianist Colin Pütz spielt das Wunderkind der Bonner Kindheitstage, Anselm Bresgott den rebellischen Beethoven der Wiener Zeit und Tobias Moretti den vereinsamten Patriarchen am Ende seines Lebens
TV-Ausstrahlung
„Louis van Beethoven“ läuft am Mittwoch (23.12.), 20.15 Uhr auf ORF 2 und am Freitag, 20.15 Uhr (ARD)
In der Zeit von Corona hat man das Gefühl, dass Künstler aufgrund des Lockdowns wieder in die Abhängigkeit der „Herrschenden“ geraten. Da Theater und Opernhäuser geschlossen werden, sind sie auf finanzielle Unterstützung der Regierung angewiesen. Sind diese Zustände mit jenen zu Beethovens Zeiten vergleichbar?
Für mich ist das absolut nicht vergleichbar. Wir durchleben die schlimmste Pandemie seit der Spanischen Grippe, und die erfordert gewisse Maßnahmen. Es gibt begrenzte Verordnungen, die ständig überprüft und evaluiert werden, aber es gibt ja keine unbegrenzten „Ermächtigungsgesetze“. Es ist einfach unendlich traurig, dass die Theater und Opernhäuser geschlossen wurden, dass Konzerte nicht stattfinden dürfen. Unsere Gesellschaft braucht die Kunst. Aber Corona zu leugnen und die Maßnahmen prinzipiell abzulehnen, hat nichts mit Freiheit und schon gar nicht mit Kunstverständnis zu tun.
Hat die Verschärfung der Situation auch mit dem Verhalten der Menschen zu tun?
Schweden hat derzeit die höchsten Todeszahlen statt der viel zitierten „Herdenimmunität“, mehr als je in einem November seit 100 Jahren, seit der Spanischen Grippe. An der sind vor 100 Jahren weltweit über 25 Millionen Menschen verreckt, mehr als im Ersten Weltkrieg. Das Wichtigste ist jetzt wohl, dass man eine Zivil- und Kulturgesellschaft rettet, bevor Ärzte nach fixen Vorgaben entscheiden müssen, wer überleben darf und wer nicht.
Schauspieler verleihen den Figuren immer auch ein Stück der eigenen Lebenserfahrung. Wie viel Moretti steckt in Beethoven?
Es wäre eine schreckliche Selbstüberhebung, persönliche Parallelen ins Spiel bringen zu wollen. Aber auch ein Genie „menschelt“ und daraus ergeben sich auch Anhaltspunkte. Auch ein Beethoven mäkelt am Essen, grantelt mit der Magd, ist geizig aus Überlebensangst – aber sein Aus-der-Haut-Fahren und seine Ungeduld kommen auch mir nicht ganz unbekannt vor (lacht). Das Besondere an dieser Figur für den Schauspieler ist der ständige Ausnahmezustand. Die Vorstellung von diesem unfassbaren Drang, Gefühlswallungen in Musik zu fassen zu müssen, ohne etwas zu hören.
Sie spielen Beethoven in einer Lebensphase, in der er unter der Angst leidet, die Kunst des Komponierens zu verlieren. Für Sie nachvollziehbar, oder wäre für Sie ein Rückzug aus der Schauspielerei kein Problem?
Nachvollziehbar ja, aber wie schon erwähnt, kann keiner von uns sich die Dimension dieses Schicksals nur im Geringsten vorstellen. Die Frage nach Parallelen zur eigenen Existenz, stellt sich da nicht. Wenn ich so eine Rolle zu spielen habe, geht es um was anderes, dann bin ich mir wurscht.
Würde Sie wieder eine Operninszenierung reizen?
Oper als dramatische Ausdrucksform macht mir generell Freude. Besonders mit der jungen Sänger-Generation wird es immer spannender. Aber was Beethoven betrifft, habe ich mich immer gefragt, warum das Spektrum seines Schaffens sich nicht in Opern verwirklichen wollte. Abgesehen davon, dass er, glaube ich, eher nicht vokal gedacht hat, findet man bei ihm schon in einem Klavierstück das ganze symphonische Werk wieder. Das Klavier war Orchester. Das ist mir heuer beim Beethoven-Zyklus von Igor Levit in Salzburg klar geworden.
Kommentare