KURIER: Sie haben die womöglich „undankbarste“ Lebensphase übernommen: Sie spielen den alternden Beethoven, der sich von der Welt unverstanden fühlt. Was hat Sie an dieser Rolle gereizt?
Tobias Moretti: Man hat immer das Klischee des alten Komponisten vor Augen, der nichts mehr hört und sich daher immer mehr in seine Innenwelt verstrickt. In Wahrheit begann Beethovens Gehörleiden schon im 27. Lebensjahr, weshalb die Lebensphasen des revolutionären und des zurückgezogenen, verbitterten Komponisten viel mehr ineinander verschwimmen. Natürlich ist man als Schauspieler von einem so unglaublichen Genie fasziniert. Aber zu viel Ehrfurcht ist da auch hinderlich. Man sucht daher, wie man so einen Giganten beim Schopf packen kann. In seinem Fall ist es klarerweise die Taubheit. Also versucht man, sich in den klaustrophoben Zustand hineinzuversetzen, aus dem Beethoven nur durch seine Musik ausbrechen konnte.
Beethoven war einer der ersten, der versuchte, sich aus der Abhängigkeit von Adelshäusern zu befreien. Hätte er sich Ihrer Meinung nach als freier Komponist musikalisch anders entwickelt?
Was seine revolutionären Ideen und die Ausbruchsversuche aus der Abhängigkeit betrifft, da heroisieren wir aus heutiger Sicht etwas, was sich vielleicht nicht ganz so abgespielt hat. Beethoven hat am Anfang sehr wohl versucht, diverse Hof-Stellungen zu ergattern. Dazu die Enttäuschung seiner Liebe zu Eleonore von Breuning und die Horrorvorstellung eines „Hauslehrer“-Schicksals. Eine Heirat wäre nie akzeptiert worden. Das hat sich auch in ihn hineingefressen. Aber all das treibt ihn in seine Radikalität als Künstler. Seine Musik hätte kaum radikaler sein können, wenn er unabhängig gewesen wäre. Eher umgekehrt. Wenn wir an die Große Fuge denken – damit war er ganz einfach fast 100 Jahre voraus.
In der Zeit von Corona hat man das Gefühl, dass Künstler aufgrund des Lockdowns wieder in die Abhängigkeit der „Herrschenden“ geraten. Da Theater und Opernhäuser geschlossen werden, sind sie auf finanzielle Unterstützung der Regierung angewiesen. Sind diese Zustände mit jenen zu Beethovens Zeiten vergleichbar?
Für mich ist das absolut nicht vergleichbar. Wir durchleben die schlimmste Pandemie seit der Spanischen Grippe, und die erfordert gewisse Maßnahmen. Es gibt begrenzte Verordnungen, die ständig überprüft und evaluiert werden, aber es gibt ja keine unbegrenzten „Ermächtigungsgesetze“. Es ist einfach unendlich traurig, dass die Theater und Opernhäuser geschlossen wurden, dass Konzerte nicht stattfinden dürfen. Unsere Gesellschaft braucht die Kunst. Aber Corona zu leugnen und die Maßnahmen prinzipiell abzulehnen, hat nichts mit Freiheit und schon gar nicht mit Kunstverständnis zu tun.
Hat die Verschärfung der Situation auch mit dem Verhalten der Menschen zu tun?
Schweden hat derzeit die höchsten Todeszahlen statt der viel zitierten „Herdenimmunität“, mehr als je in einem November seit 100 Jahren, seit der Spanischen Grippe. An der sind vor 100 Jahren weltweit über 25 Millionen Menschen verreckt, mehr als im Ersten Weltkrieg. Das Wichtigste ist jetzt wohl, dass man eine Zivil- und Kulturgesellschaft rettet, bevor Ärzte nach fixen Vorgaben entscheiden müssen, wer überleben darf und wer nicht.
Schauspieler verleihen den Figuren immer auch ein Stück der eigenen Lebenserfahrung. Wie viel Moretti steckt in Beethoven?
Es wäre eine schreckliche Selbstüberhebung, persönliche Parallelen ins Spiel bringen zu wollen. Aber auch ein Genie „menschelt“ und daraus ergeben sich auch Anhaltspunkte. Auch ein Beethoven mäkelt am Essen, grantelt mit der Magd, ist geizig aus Überlebensangst – aber sein Aus-der-Haut-Fahren und seine Ungeduld kommen auch mir nicht ganz unbekannt vor (lacht). Das Besondere an dieser Figur für den Schauspieler ist der ständige Ausnahmezustand. Die Vorstellung von diesem unfassbaren Drang, Gefühlswallungen in Musik zu fassen zu müssen, ohne etwas zu hören.
Sie spielen Beethoven in einer Lebensphase, in der er unter der Angst leidet, die Kunst des Komponierens zu verlieren. Für Sie nachvollziehbar, oder wäre für Sie ein Rückzug aus der Schauspielerei kein Problem?
Nachvollziehbar ja, aber wie schon erwähnt, kann keiner von uns sich die Dimension dieses Schicksals nur im Geringsten vorstellen. Die Frage nach Parallelen zur eigenen Existenz, stellt sich da nicht. Wenn ich so eine Rolle zu spielen habe, geht es um was anderes, dann bin ich mir wurscht.
Würde Sie wieder eine Operninszenierung reizen?
Oper als dramatische Ausdrucksform macht mir generell Freude. Besonders mit der jungen Sänger-Generation wird es immer spannender. Aber was Beethoven betrifft, habe ich mich immer gefragt, warum das Spektrum seines Schaffens sich nicht in Opern verwirklichen wollte. Abgesehen davon, dass er, glaube ich, eher nicht vokal gedacht hat, findet man bei ihm schon in einem Klavierstück das ganze symphonische Werk wieder. Das Klavier war Orchester. Das ist mir heuer beim Beethoven-Zyklus von Igor Levit in Salzburg klar geworden.
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