Theaterszene Wien: "Eine Mischung aus Verzweiflung und Verharren"
Im Herbst 2019 schlossen sich 15 Theaterbühnen zum „Pakt Wien“ zusammen, um ihre Forderungen gegenüber der Kulturpolitik gemeinsam durchzubringen. Klarerweise geht es in erster Linie um ausreichend Geld. Einer der treibenden Kräfte ist Regisseur Harald Posch, der mit Ali M. Abdullah das Werk X in Meidling leitet: „Zusammen hatten wir 2019 rund 320.000 Besucherinnen und Besucher – das ist nicht nichts.“ Der gebürtige Steirer vertrat die sogenannten „Mittelbühnen“ auch kürzlich in der Zoom-Konferenz mit Kulturminister Werner Kogler und Staatssekretärin Andrea Mayer.
KURIER: Wie geht es der Wiener Theaterszene derzeit?
Harald Posch: Die Grundsituation ist eine Mischung aus Verzweiflung und Verharren in Warteposition. Die großen Fragen gibt es in allen Kulturinstitutionen: Werden die Besucher wieder kommen? Wird es im Herbst einen Overkill an Premieren geben? Rein von den Präventionskonzepten her wären aber alle Bühnen bestens gerüstet.
Die Theater sind geschlossen, wirtschaftliche Probleme gab es aber bisher keine.
Nicht jedes Haus konnte die Kurzarbeitsregelung in Anspruch nehmen. Der Spielraum konnte leider auch keine Gelder vom NPO-Unterstützungsfonds beantragen. Da trifft es kleine Strukturen härter als die mittleren und größeren. Aber grosso modo können wohl alle mit einer schwarzen Null bilanzieren.
Auch deshalb, weil der Eigendeckungsgrad – abgesehen vom Rabenhof – eher gering ist, die Struktur also von der öffentlichen Hand finanziert wird. Und weil die Ausgaben geringer waren.
Der Eigendeckungsgrad beträgt im Schnitt um die 20 bis 25 Prozent. Und ja, es gab Kosteneinsparungen, aber die waren nicht sehr hoch. Denn wir hatten auch nicht einkalkulierte Ausgaben – etwa für die regelmäßigen Testungen. Und es gab erhebliche Verluste – beim Ticketverkauf, bei Vermietungen, zudem den Totalausfall der Gastro-Pacht. Einnahmenstarke Häuser wie etwa den Rabenhof rettete, dass sie im November und Dezember beim Umsatzersatz mit einer vergleichsweise hohen Summe bedacht wurden. Aber keiner von uns sitzt auf einem Batzen Geld, mit dem man nichts anzufangen weiß.
Generell können die meisten Bühnen auch heuer über die Runden kommen?
Die Stadt Wien hat die Förderungen für viele Häuser, auch das Werk X, nach über zehn Jahren erstmals erhöht – um zehn Prozent. Dieses Geld muss für Fair Pay verwendet werden. Das haben wir auch gemacht. Denn es hat schon lange keine Gehaltsanpassungen gegeben.
Und man muss nicht die im Fördervertrag fixierte Zahl an Premieren erfüllen ...
Wir müssen aufgrund der Pandemie bereits fixierte Produktionen in die Zukunft verschieben; meine Inszenierung von „Früchte des Zorns“ ist jetzt einmal für den Herbst geplant. Was mir leidtut: Dass wir Produktionen, die wir nur drei- oder viermal spielen konnten, so bald nicht wieder zeigen können. Denn im Ensemble von „Geschichten aus dem Wiener Wald“ waren Schauspieler aus der Elfenbeinküste. Wie soll ich die jetzt nach Wien kriegen?
Ist Streaming ein Weg?
Unsere Produktion „Dunkel lockende Welt“ von Händl Klaus, die den Off-Theater-Nestroy gewonnen hat, wird gerade von ORFIII aufgezeichnet – und vielleicht noch vor Ostern ausgestrahlt. Vor allem die performativen Häuser wie das Tanzquartier und Brut bringen recht viel online. Ihre Künstlergruppen haben auch das Know-how. Ich denke nur an Chris Haring und Liquid Loft: Deren Produktion war fantastisch! Ich habe sie mir bis zum Ende angeschaut, ohne auf die Fast-Forward-Taste zu drücken. Aber sie war auch für dieses digitale Format hin konzipiert.
Die Sprechtheater hingegen?
Sind da im Hintertreffen, auch wenn wir im digitalen Bereich viel dazugelernt haben. Einige spielen eben die Premiere live vor geladenem Fachpublikum – also vor Dramaturgen, Journalisten und der Off-Theater-Jury. Und das Ergebnis wird dann gestreamt. Es gibt eben Produktionen, die sich nicht verschieben lassen: Die Künstler treffen sich für ein paar Wochen in Wien und sind danach wieder in alle Winde zerstreut. Aber die meisten von uns halten vom Streamen nicht viel.
Es gibt verschiedene Fördermodelle und ein Kunterbunt von städtischen Bühnen und Privattheatern. Können Sie uns einen Überblick geben?
Zwei Theater, das Schauspielhaus und das Tanzquartier, befinden sich im Eigentum der Stadt. Einige Häuser unterstehen dem Theaterverein Wien als Eigentümer, darunter der Dschungel, TAG, Werk X Meidling und Brut. Die Stadt hat über den Verein Zugriff auf den Mietvertrag. Die Leitungen dieser Häuser sind jederzeit ausschreibbar. Und dann gibt es die Privattheater, darunter die Drachengasse und den Rabenhof: Der Betreiberverein oder die Betreiber-GmbH ist mehrheitlich in der Hand von Privatpersonen. Die Stadt Wien war einige Zeit lang interessiert, in die Mietverträge einzutreten. Doch das würde die Mieten extrem verteuern. Und für diese Privattheater gibt es eben die Konzeptförderung.
Aber auch das Werk X Meidling erhielt bisher die Konzeptförderung!?
Ja, bis Ende 2021. Aber es wurde vereinbart, dass wir künftig zum Intendantenmodell gehören. Also: Wir sind nicht aus der Konzeptförderung gefallen, wie es in manchen Medien hieß.
Es bleibt beim Verbund mit dem Werk X Petersplatz?
Der Petersplatz wird von Cornelia Anhaus völlig eigenständig programmiert; wir haben nur die geschäftliche Leitung über – zusammen mit ihr. Das bringt enorme Synergien. Der Stadtrechnungshof hat das Modell kürzlich als vorbildhaft für die gesamte Szene beurteilt. Daher denke ich, dass eine Zerschlagung kein Thema sein wird.
Kürzlich wurden die neuen Konzeptförderungen bekannt gegeben. Die Kulturstadträtin sprach von einer Reform der Theaterreform. Woran erkennt man diese?
Ich erkenne wenig. Im Sprechtheaterbereich wurden praktisch alle Verträge, auch die meisten im Intendantenmodell, bis 2025 verlängert. Und dann sind wieder Wahlen in Wien. Nur im Musiktheater gab es Absagen. Ja, auch die innovativsten Musiktheaterregisseure sind irgendwann nicht mehr die innovativsten. Aber man hätte sie einst, als sie innovativ waren, zum Leiter eines größeren Hauses bestellen können. Was nicht geschehen ist.
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