"Theaterberserker" Paulus Manker: „Es geht nur mit Ausbeutung“
Vor ein paar Wochen berichtete der KURIER, dass Paulus Manker in Kalamitäten steckt: Ein Gläubiger wollte dessen „Verein zur Förderung künstlerischer Aktivitäten zum Thema Erster Weltkrieg und dessen Auswirkungen auf das Drama ,Die letzten Tage der Menschheit‘ von Karl Kraus“ in Konkurs schicken.
Doch im Konkurseröffnungsverfahren stellte das Handelsgericht Wien fest, dass kein Vermögen vorhanden ist, um das Verfahren auch tatsächlich zu eröffnen. Wie das? Der KURIER traf den Theaterberserker, Jahrgang 1958, zum Interview.
KURIER: Ihr Theaterverein ist wirklich zahlungsunfähig?
Paulus Manker: Wundert Sie das nach dem Corona-Jahr bei einem Ein-Personen-Unternehmen? Der Direktor der Josefstadt hat in der Coronazeit nur große Töne gespuckt, aber nicht gespielt. Auch die meisten anderen haben nicht gerade mit Ideenreichtum geglänzt, außer vielleicht der Staatsoperndirektor. Aber wir haben letzten Herbst „Die letzten Tage der Menschheit“ aufgeführt. Die vom Gesetz geforderten Präventionsmaßnahmen haben jedoch Zusatzkosten verursacht. Wir durften etwa 150 Personen reinlassen, haben daher pro Woche eine zusätzliche Vorstellung gespielt. Ich muss sagen, die Leute waren sehr diszipliniert. Nur ganz selten mussten wir einen Querulanten wegschicken, der keine Maske tragen wollte. Es musste aber extra ein Covid-Konzept erstellt werden, ein Covid-Beauftragter wurde engagiert, zusätzliches Personal war notwendig, Hygiene-Artikel mussten angeschafft werden, Desinfektionsmittel, Masken.
Jedenfalls: Ihr Budgetplan ließ sich nicht einhalten.
Ich habe natürlich beim Wiener Kulturamt um Unterstützung für diese Zusatzkosten angefragt. Es ging ja nicht um viel, nur um 20.000 bis 25.000 Euro. Aber das wurde schlichtweg abgelehnt. Und so wurde der Verein eben in den Konkurs getrieben. Die meisten Gläubiger haben unsere Notsituation anerkannt, einer jedoch nicht. Beim Theaterverein ist jedoch nichts zu holen.
Ich dachte, Ihnen gehört der riesige Fundus für „Die Letzten Tage“ und für „Alma“ …
Nein. Die Ausstattung wird jedes Jahr von uns angemietet. Es war zu lesen, dass die Schauspieler bei mir schlecht bezahlt würden. Aber da sucht man zum Beispiel um 80.000 Euro Subvention an, bekommt aber nur 30.000. Da fehlen einem dann 50.000 Euro. Was also soll man tun? Man kann nur bei den Gehältern einsparen.
Angeblich ist der Staatssekretärin und der Stadträtin „Fair Pay“ ein Anliegen.
Das wäre sehr zu begrüßen. Von Herzen gern zahle ich mehr! Glauben Sie, es macht Spaß, schlecht zu zahlen? Nein, es ist erniedrigend – auch für mich. Ich besitze auch keine Häuser in Kitzbühel oder St. Moritz, die ich mir mit der Produktion finanziert hätte. Und ich fahre auch keinen Jaguar.
Wollten Sie nicht wieder in der Remise Meidling spielen?
Sie wird bereits zu einem Kulturzentrum umgebaut. Das ist ja eine riesige Baustelle dort in der Eichenstraße! Letztes Jahr war auf dem Gelände gar nichts – außer der denkmalgeschützten Remise. Und jetzt stehen bereits die Häuser, das „Wohnquartier Wolfganggasse“ mit rund 850 Wohnungen. Daher wurde alles nach Berlin geschafft.
Die Aufführung findet statt?
Berlin war bereits für Herbst 2020 geplant, aber wir mussten wegen Corona verschieben. Dann wollten wir heuer im Mai spielen. Ging wieder nicht. Nun ist die Premiere am 20. August.
Sie bespielen auch dort eine alte Industriehalle …
Ja, die „Belgienhalle“. Sie heißt irrtümlich so, denn sie wurde im Ersten Weltkrieg eigentlich in Nordfrankreich erbeutet. Auf der Insel Gartenfeld in Spandau, umschlossen von Kanälen, hat man sie wieder aufgebaut. Sie ist viermal so groß wie die Remise in Meidling. Es kommt mir ein bisschen vor wie im Film „Fitzcarraldo“. Da lässt Klaus Kinski ein Schiff über einen Berg ziehen. Nur um sich einen Traum zu erfüllen: ein Opernhaus im Dschungel!
Das taugt Ihnen?
Freilich! Träume träumen – oder Träume leben. Darum geht es doch! Wozu sonst das Theater? Die Inszenierung ist nicht nur ein künstlerisches Unterfangen, es trägt den olympischen Gedanken in sich – größer, weiter, höher, schöner. Und neben Wien spielen die meisten Szenen in den „Letzten Tagen der Menschheit“ in Berlin. Das Deutsche Reich war ja der Verbündete Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg. Kaiser Wilhelm II. kommt im Stück vor, der ein pathologischer Trottel war, schlimmer noch als unser Franz Joseph, der kriegsbegeisterte Theaterkritiker Alfred Kerr, Soldaten der deutschen Wehrmacht und vieles mehr. Ein deutsch-österreichischer Kosmos an Niedertracht, Gemeinheit und Brutalität!
Wie kam es überhaupt zu diesem Berlin-Gastspiel?
Schuld ist der berühmte Rechtsanwalt Peter Raue mit der noblen Adresse Potsdamer Platz 1. Er war 2019 bei einer Aufführung in der Serbenhalle in Wiener Neustadt – und er sagte: „Das muss nach Berlin!“ Was gar nicht so einfach ist, weil viele Szenen bei uns auf einem Eisenbahnwaggon spielen, der auf Schienen fährt. Worauf uns die Deutsche Bahn 150 Meter Schienen in die Halle gelegt hat. Als Sponsoring!
Aber wie geht sich das Unternehmen finanziell aus?
Die Belgienhalle ist, wie die Berliner sagen, „j.w.d.“, also „janz weit draußen“. Sie liegt nicht im Zentrum der Stadt, sondern in Spandau. In Berlin kennt uns noch kein Arsch. Also ist der Aufwand enorm. Es geht daher nur mit Plünderung eigener und fremder Ressourcen – Ausbeutung genannt.
Förderungen gibt es keine?
Michael Häupl, der frühere Bürgermeister von Wien, hat alle unsere „Alma“-Gastspiele unterstützt – in Los Angeles, Venedig, Lissabon, Jerusalem, Prag; wir waren ja auf der ganzen Welt. Aber nun sagt man mir im Kulturamt, dass Auslandsaktivitäten von der Stadt Wien nicht mehr gefördert werden. Und verwies mich an das Staatssekretariat. Mit dem Effekt, dass ich mit Ach und Weh über die österreichische Botschaft in Berlin 4.000 Euro bekomme. So hat sich der Stil gewandelt… Und das Beste ist: Staatssekretärin Andrea Mayer und Stadträtin Veronica Kaup-Hasler haben die Aufführung in Wien nicht einmal gesehen! Die gehen lieber zu Michael Niavarani ins „Theater im Park“ und lassen sich dort mit dem Bürgermeister fotografieren, weil sie das für „populär“ halten und glauben, dass ihnen das Stimmen bringt. Suum cuique.
Das heißt, dass sich auch Ihr lang gehegter Plan, „Alma“ in New York zu zeigen, nicht realisieren lässt?
Das kommt noch. Aber im nächsten Sommer – zum 25-Jahr-Jubiläum – zeigen wir „Alma“ in Berlin. Und auch die „Letzten Tage“ wollen wir wieder in der Belgienhalle spielen. Schließlich sind noch viele neue Szenen einzustudieren. Das Stück besteht ja aus 220 – und wir spielen erst 85 davon. Irgendwann möchten wir das ganze Stück zeigen. Das wurde ja bisher noch nie gemacht. Noch nie! Diese Herausforderung wartet auf uns: Das Karl-Kraus-Schiff muss über den Berg!
Das „Lesedrama“: Karl Kraus beschrieb in 220 Szenen an 137 Schauplätzen mit 1.114 Rollen so gut wie alle Facetten des Ersten Weltkriegs. Er hielt seine Tragödie für nicht wirklich aufführbar
Das „Gesamtkunstwerk“: Paulus Manker wagte das Unmögliche: Er zeigte den „Abstieg in die Hölle“ 2018 und 2019 in der Serbenhalle und 2020 in der alten Remise Meidling. Ab 20. August in Berlin – mit neuen Szenen
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