Wenn Albträume zur Theaterwirklichkeit werden

Furioses Pandämonium aus Licht und Schatten: Samuel Youn als Holländer mit dem Satan (Pavel Strasil).
Kritik: Richard Wagners "Der fliegende Holländer" an der Wien – ein Triumph der Finsternis.

Mut macht sich manchmal eben doch bezahlt. Denn Richard Wagners "Der fliegende Holländer" im Theater an der Wien, mit einem Originalklangorchester und mit einem Regisseur, der szenisch aufs Ganze geht – kann das wirklich funktionieren? Ja, es kann. Denn mit wenigen Abstrichen ist diese Neuproduktion der Urfassung (1843) dieser romantischen Oper ein Musiktheaterereignis.

Und das, obwohl Regisseur Olivier Py dem Werk jede Romantik, jeden Gedanken einer Erlösung gründlich austreibt und stattdessen auf Psychoanalyse, heutige, seelische (Alb)-Träume und irrlichternde, dämonische Finsternis setzt.

Scheinwelten

Ja, auch bei Py will Senta den zum ewigen Herumfahren auf den Weltmeeren verdammten Holländer durch ihre Liebe und Treue erlösen. Nur dass hier der Holländer eine Fantasieprojektion Sentas bleibt, die in Pys Inszenierung klar im Zentrum steht. Senta ist dabei eine junge, dem Wahnsinn nahe gekommene Frau, die aus der Enge ihres spießigen Umfelds ausbrechen will, die teils auch sexuell motivierte Fantasien hat und letztlich in einer theatralischen Scheinwelt (?) ihre Erfüllung findet. Oder auch nicht.

Denn Py und sein grandioser Bühnenbildner Pierre-André Weitz kreieren ein Spiel mit dem Spiel. Weitz hat dafür ein hölzernes, drehbares, sich immer wieder öffnendes oder auch schließendes Bühnenkonstrukt geschaffen, das sich je nach Bedarf in einen Schiffsbauch, ein Boot, eine Landschaft, eine Theaterbühne oder auch nur einen Bilderrahmen verwandeln lässt. Eine ausgefeilte Lichtregie (Bertrand Killy) unterstützt dieses Pandämonium aus Licht und Schatten – es gibt sogar einen tatsächlichen, tanzenden Satan (Pavel Strasil) – perfekt.

Und Py hat Singschauspieler zur Verfügung, die in diesem Umfeld alles geben. An der Spitze Ingela Brimberg als jugendlich-hochdramatische Senta, deren strahlender Sopran sich für weitere Aufgaben (nicht nur) im Wagner-Fach empfiehlt. Dazu kommt mit Samuel Youn ein mehr als profunder Holländer, der allerdings durchaus noch etwas dämonischer agieren dürfte. Lars Woldt als Sentas Vater (hier Donald, weil die Urfassung!) begeistert mit seinem herrlichen, mächtigen Bass. Als Georg (nicht Erik, weil Urfassung!) brilliert Bernard Richter mit seinem traumhaften Tenor.

Manuel Günther (Steuermann), Ann-Beth Solvang sowie der überragende Arnold Schoenberg Chor fügen sich ideal ein. Bleibt Dirigent Marc Minkowski, der am Pult "seiner" Les Musiciens du Louvre offenbar beweisen will, dass ein ohne Rücksicht auf Verluste aufspielendes Originalklangorchester (das passt übrigens gut) jede Arena problemlos beschallen kann. Da wäre weniger Drastik mehr.

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