„Ich hab vergessen, dass es dich gab“ – „Es ist weder Liebe noch Hass, sondern einfach Gleichgültigkeit“. So trägt man sein gebrochenes Herz einigermaßen würdevoll dem Horizont entgegen. Eingebettet in eine Midtempo-Tanzpartie bringt dieser Track die Hörer gleich mal auf die richtige Spur, worauf eine der erfolgreichsten Künstlerinnen der Gegenwart beim Thema Liebe hinauswill. Trost spendet man im Jahr 2019 bestenfalls so.
Die erfüllende Intimität der Zweisamkeit frei von Zwängen und allzugroßer Verantwortung besingt Swift in der titelgebenden Ballade, die als dritte Nummer eingeschoben ist: „Have I known you 20 seconds or 20 years?“, stellt sie die Frage aller Fragen im Liebes-Business.
In der vorgestellten Welt der Protagonistin schlafen die Freunde einfach spontan im Wohnzimmer – und auch wenn Taylor Swift gemessen an durchschnittlichen Verhältnissen einen Palast bewohnt, folgt man ihr gerne in die Fiktion. Überhaupt scheint die ehemalige Country-Sängerin die Meisterin der Grätsche zu sein: Wo sie jetzt steht, hat mit dem Beginn ihrer Karriere herzlich wenig zu tun, aber es wirkt, als hätte sie nie etwas anderes gemacht als höchst gelungenen Pop. Entsprechend wurscht ist es auch, dass die Frau Superreich auf Supernormalo tut. Im Kern sind wir das nämlich eh alle.
Diskursives Highlight, wenn man das von einer Pop-Platte wünscht, ist „The Man“, in dem Swift der Welt vorhüpft, was es bedeutet, eine Frau in der Öffentlichkeit zu sein: Statt berechnend wäre sie strategisch, könnte Parties mit ihren reichen Freunden feiern, ohne dafür angegriffen zu werden (wie etwa Leonardo DiCaprio das tut) und so weiter. Sieht man sich die Attacken der Öffentlichkeit auf nahezu jede Regung Swifts an, ist dieser Track eine traurige Bestandsaufnahme des Status Quo einer erfolgreichen Künstlerin in Zeiten des Internets.
Insofern ist das lyrische Outing der Kunstfigur Taylor Swift (man soll ja Autorin und Werk nie verwechseln), sich ständig in Täterinnen- und Opferrolle abzuwechseln „(The Archer) eine logische Konsequenz: Diese Frau hat nicht zuletzt deshalb viel zu besprechen, weil sich dauernd alle das Maul über sie zerreißen.
In „I think he knows“ lässt sie die Gedanken um einen Mann mit bubenhaften Zügen kreisen. „Also, wo gehen wir hin?“, flüstert sie in der Dunkelheit: „I think he knows.“
In die sorglose Sehnsucht mischen sich aber auch politische Töne, etwa wenn sie in „You need to calm down“,die sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung besingt und im Video dazu berühmte Travestiekünstler auftreten lässt. In einer Welt, die immer enger zu werden droht, stampft die Popkünstlerin kräftig auf den Bühnenboden. Wer will sich schon mit einem Donald Trump zufrieden geben, wenn er Lady Gaga und Taylor Swift haben kann?
Dafür scheint die Sängerin eine gewisse Gelassenheit in anderen Dingen gefunden zu haben: Es gibt keine Seitenhiebe auf Rivalen, Kontrahenten und Stressmacher wie Kanye West, sondern einfach nüchterne Introspektion.
Warum Taylor Swift das Zeitalter des Audiostreamings nicht dazu benutzt, offenkundige Füller einfach wegzulassen, bleibt ein Rätsel. Womöglich ist es ihren früheren Feldzügen gegen Spotify und Co. geschuldet, dass Tracks wie „Paper Rings“ der gefälligen Vielfalt wegen auf das neue Album geschafft haben.
Apropos Feldzug: Swift überlegt die Neuaufnahme früherer Alben. Dadurch will sie die Kontrolle über ihren Song-Katalog erlangen, der an US-Unternehmer und Talentmanager Scooter Braun ging, wogegen sie heftig protestierte. Mehr Taylor? Ok.
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